»Das ist eine Beleidigung«, warf der fremde Ritter dazwischen.
»Ich wünsche keinen Streit«, stoppte der Hauptmann den Heißsporn. »Von Gefangenen habt Ihr nichts berichtet, Ritter Hagard!«
»Es waren auch keine Gefangenen. Die Männer gehörten zu diesen Rittern!«
»Das ist eine schwere Anschuldigung, Hagard von Stolzenfeld«, ließ sich der Hauptmann nicht aus der Ruhe bringen. »Ritter Sigurd von Eckbertstein, Ritter Bodo von Brauneck und Junker Cassim haben landauf, landab einen tadellosen Ruf.«
Nun war es an Sigurd, der langsam die Geduld verlor. »Und es ist eine völlig haltlose und lächerliche Anschuldigung dazu! Der Ritter und seine beiden Kameraden haben sich dieses Märchen ausgedacht, um ihre Feigheit zu bemänteln!«
»Ah«, rief Hagard wutentbrannt aus. »Zieht blank! Ich will Euch beweisen, wer hier feige ist!«
Jetzt hatte Hauptmann Gerolf genug von diesem Streit und zwängte sich zwischen die beiden Pferde der Streithähne »Halt! Ich dulde keinen Zweikampf! Der Fürst soll entscheiden, was geschehen soll!«
»Vorwärts, zurück zur Burg!« Mit Ritter Hagard und Hauptmann Gerolf an der Spitze, setzte sich die Reiterschar in Bewegung. Sigurd, Bodo und Cassim ritten hinter ihnen, während die Zugtiere mit dem Planwagen folgsam hinter ihnen hertrotteten.
»Junge, Junge. Dieser Hagard ist ja ein schönes Früchtchen«, wandte sich Bodo seinem Freund zu.
»Mir tut er leid«, entgegnete Sigurd. »Er und seine Kameraden können nun nicht mehr zurück. Wenn sie die Wahrheit sagen würden, wären sie erledigt. Sie haben offensichtlich nicht damit gerechnet, dass sie uns jemals wieder begegnen würden.«
Bodo nickte zustimmend. »Wir müssen auf jeden Fall auf der Hut sein. Aus Ritter Hagards Augen leuchtet kalter Hass!«
Schweigend ritten sie weiter. Bodo gab Cassim einen Wink. Der Junker verstand sofort die Geste. Er ließ sich etwas zurückfallen, um das Gespann im Auge zu behalten.
*
Nach einer halben Stunde erreichten sie endlich das vom Meerwasser umgebene stolze Burgschloss des Fürsten.
»Lasst die Zugbrücke herab!«, ertönte die befehlsgewohnte Stimme von Hauptmann Gerolf.
In der Fensteröffnung des Turmwachtzimmers erschien das Gesicht des Wachthabenden. Er nickte, und kurz darauf senkte sich mit kettenklirrendem Geräusch die hölzerne Plattform und bildete nun eine Verbindung zum Land. Auf dem Platz davor streckte eine kleine Kirche ihren Turm in die Höhe. Daran reihten sich auf beiden Seiten die Häuser der dörflichen Gemeinde an. Ein paar Dorfbewohner schauten den Reitern nach, als sie mit dem führerlosen Planwagen über die Zugbrücke in das Innere der Burg ritten.
Kurz darauf befanden sich auch die Freunde im Burghof, auf dem ein reges Treiben herrschte.
»Hier wimmelt es ja von Bewaffneten«, staunte Cassim.
»Du hast wohl vergessen, dass Fürst Friedrich in Fehde mit Fürst Eberhardt liegt«, erinnerte Sigurd ihn.
Im selben Moment verhielt Hauptmann Gerolf und lenkte sein Pferd an ihre Seite. »Ich melde Eure Ankunft unserem Herrn, Ritter Sigurd. Wartet hier im Innenhof.«
Die Freunde stiegen von ihren Pferden und schauten sich das rege Treiben im Burghof an, während sie ihre Pferde zu den Stallungen brachten.
Nach einer Weile kam der Burghauptmann wieder zurück. Zunächst konnte er die Freunde nicht ausfindig machen. Als er aber den Durchgang zum großen und weiträumigen Schlossplatz erreichte, kamen ihm Sigurd, Bodo, und Cassim entgegen. Sigurd schaute ihn erwartungsvoll an.
»Mein Herr glaubt Euch, dass die Männer, die den Kampf für die Seeräuber entschieden haben, Eure Gefangenen waren, Ritter Sigurd!«
»Gut«, entgegnete Sigurd erleichtert. »Führt uns zu Eurem Herrn!«
Der Hauptmann blickte etwas betreten zu Boden. »Das kann ich leider nicht! Mein Herr lässt Euch mitteilen, dass Euer Besuch unerwünscht ist und bittet Euch, die Burg sofort zu verlassen.«
»Aber …«, reagierte Bodo fassungslos.
»Ihr müsst verstehen«, unterbrach ihn Hauptmann Gerolf. »Wenn auch unschuldig, so seid Ihr doch die Ursache für den geglückten Überfall der Seeräuber.«
»Das ist Unsinn«, widersprach Sigurd sofort.
Doch der Hauptmann ließ ihn nicht weiterreden. »Wie dem auch sei, der Fürst ist außer sich, dass der Transport verloren ist. Auf dem Wagen waren die Abgaben seiner Lehnsmänner für ein halbes Jahr. Ein Vermögen!« Er legte seine Hand beruhigend auf Sigurds Schulter. »Mit diesem Geld sollten seine Truppen entlohnt werden! Bitte reitet jetzt! Ich möchte nicht auch noch in Ungnade fallen.«
Sigurd nickte verstehend. »Schon gut, Hauptmann Gerolf!« Er erkannte, dass es sinnlos war, weiter auf ein Gespräch mit Fürst Friederich zu hoffen und zu drängen. Er reichte dem Hauptmann die Hand und wandte sich seinen Freunden zu. »Ihr habt es gehört, lasst uns von hier verschwinden.«
*
Enttäuscht über den Verweis aus der Burg, befanden sich die Freunde kurz darauf wieder in den Gaststallungen am anderen Ende des großen Burghofes. Ohne Worte hatten sie ihre Pferde gesattelt und führten sie aus den Stallungen hinaus. Sigurd drehte sich noch einmal kopfschüttelnd um. Dann gab er seinen Freunden mit einem Kopfnicken das Zeichen zum Aufsteigen. Die Tiere schnaubten und wieherten kurz, als die drei die Zügel locker ließen. Sigurd schnalzte mit der Zunge, und sie ritten über den Platz, erreichten den kleinen Innenhof und setzten im Galopp über die immer noch herabgelassene Zugbrücke.
Nachdem die Freunde die sich anschließende kleine Bogensteinbrücke passiert hatten, fanden sie sich auf dem Dorfplatz wieder. Sie ritten an der Kirche vorbei, als plötzlich ein lauter Ruf hinter ihnen ertönte.
»Nicht so eilig, Ihr Herren!« Es war Ritter Hagard von Stolzenfeld, der mit seinen beiden Begleitern herangeritten kam.
Die Freunde zügelten ihre Pferde. »Wenn Ihr mit uns Händel anfangen wollt, dann rate ich Euch, lieber gleich umzukehren«, stoppte Sigurd die ungestümen Ritter.
Doch Hagard unterbrach ihn sofort lautstark. »Der Fürst hat Euch geglaubt! Wir sind in Ungnade gefallen und mussten die Burg verlassen!«
»Ihr seid des Todes«, drohte nun auch noch einer seiner Begleiter.
Ritter Hagard war mit seiner wütenden Rede noch nicht am Ende und deutete mit seiner linken Hand nach vorne. »Dort hinter der Wegbiegung beginnt Eure Reise in die Ewigkeit!«
Doch damit konnte er Sigurd nicht aus der Ruhe bringen. »Was für große Worte«, sinnierte er.
»Der Ritter war wohl bei einem Schmierentheater, bevor er in die Dienste des Fürsten trat«, gab nun auch noch Cassim etwas vorlaut seinen Beitrag zum Besten. Hagard von Stolzenfeld reagierte nicht auf die Worte des für ihn nicht beachtenswerten Jünglings.
Schließlich ritt die so gegensätzliche Gruppe bis zur von Hagard bezeichneten Wegbiegung hinter dem Dorf. Sie bogen um die Wegkurve und waren somit außer Blickweite von Fürst Friedrichs Burg. Auch hier fiel der Felsen steil zum Meeresstrand hinunter. Nur ein schmaler Weg führte an der Steilwand die Küstenlinie entlang.
Da versperrten Hagard und seine Begleiter mit gezogenen Schwertern den Weg. »Wir sind angelangt. Zieht blank«, forderte Ritter Hagard von Stolzenfeld.
Sigurd zuckte nur mit der Schulter. »Ihr habt es nicht anders gewollt!«
Während Bodo auf dem schmalen Weg, der entlang der Steilküste verlief, ohne zu zögern Hagard angriff, drängten die zwei anderen Ritter mit ihren Pferden Sigurd an den Schluchtenrand. Um sich zu verteidigen, hob Sigurd abwehrend sein Schwert, weil er immer noch nicht einsah, hier und jetzt einen Kampf auf Leben und Tod führen zu müssen, der aus seiner Sicht völlig unnötig war.
Da surrte plötzlich vom oberen Felsenrand ein Pfeil heran, der sich mitten in Sigurds Brust bohrte. Die Waffe glitt aus seiner Hand, und mit einem Aufschrei fiel er rücklings vom Pferd. Ehe er sich‘s versah, stürzte er über den Steilhang hinab ins unruhig gewordene Meer.
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