Mit gezogenen Schwertern stürmten sie auf die Reitereskorte zu. Doch die Bewaffneten, die den Planwagen begleiteten, überwanden ihre Überraschung schnell. Sie warfen ihre Wimpelstangen in den Staub und zückten ebenfalls ihre Schwerter. Ein heftiger Kampf entbrannte. Langsam gewannen die Wegelagerer die Oberhand und drängten die Reiter in Richtung des Strandes.
Sigurd und Bodo hatten den Sturz dank ihrer Erfahrung aus vielen gefährlichen Situationen und ihrer erworbenen Geschicklichkeit glücklich überstanden. Es blieb im Moment keine Zeit, nach Cassim zu schauen, der bewusstlos am Boden lag. Die Freunde griffen nun ebenfalls ihre Schwerter und stürmten auf den Kampfplatz. Wie ein Wirbelsturm flogen ihre Waffen durch die Reihen der Wegelagerer.
Schnell merkten die Schurken, dass sie dieser geballten Kampfkraft nicht mehr lange standhalten konnten. »Wir schaffen es nicht. Zurück!«, befahl ihr Anführer.
Da war von Eichenkamp mit seinen Leuten heran. »Nehmt uns die Fesseln ab, wir helfen euch«, rief er den schon fast unterlegenen Männern zu.
Sigurd drehte sich um und bemerkte, was hinter ihm vor sich ging. »Himmel, sie befreien von Eichenkamp und seine Schergen! Das sieht böse aus!« Doch sofort griff er wieder in den Kampf ein. »Brecht mit dem Wagen durch!«, rief er den fremden Rittern zu. »Wir halten die Räuber zurück.«
»Daraus wird nichts«, brüllte der Anführer wütend zurück, und mit einem Schwerthieb durchtrennte er die Zuggurte der Lastpferde, die in wildem Galopp auseinanderstoben.
Da geschah es. Einer der fremden Reiter wurde von einem Schwertstreich getroffen und fiel leblos vom Pferd. Der Kutscher lag bereits tot auf der Erde. Panik überfiel nun einen der anderen Ritter.
»Die Übermacht ist zu groß! Rette sich, wer kann!« Schon wendeten die drei Reiter ihre Pferde und preschten davon.
Sigurd konnte es kaum glauben. »Sie fliehen!«
»Dann sehe ich nicht ein, warum wir für sie unsere Haut zu Markte tragen sollen. Weg von hier, Sigurd!«, rief Bodo durch das Waffengeklirr, während er weiterhin die Räuber abwehrte.
»Aber Cassim …«, wandte Sigurd lautstark ein und schlug einem Feind das Schwert aus der Hand.
Auch Bodo schickte gerade einen Wegelagerer mit der Faust zu Boden. »Dort drüben liegt er. Decke mich ab, Sigurd, ich hole ihn.«
Wie durch ein Wunder waren die Pferde der Freunde ebenfalls unverletzt geblieben und standen schnaubend zusammen. Als Sigurd sah, dass Bodo kurz darauf ihren jungen Kameraden bereits vor sich auf den Sattel seines Braunen gelegt hatte, drängte er die weiterhin auf ihn einstürmende Meute mit einer letzten Kraftanstrengung von sich und rannte, so schnell er konnte, zu seinem Pferd. Mit einem wahren Hechtsprung war er im Sattel, und sofort trieben sie ihre Pferde zu einem schnellen Galopp an.
»Lasst sie laufen!«, stoppte der Anführer seine Kumpane etwas atemlos. »Was wir wollten, haben wir.«
Doch von Eichenkamp war wie besessen. »Nein, nein! Ich muss noch eine persönliche Rechnung mit dem blonden Ritter begleichen.«
Der Anführer legte seine rechte Hand auf von Eichenkamps Schulter. »Dazu ist später noch Zeit. Ihr habt gut gekämpft. Ohne Eure Hilfe wäre der Überfall misslungen. Wer seid Ihr?«
»Ein Mann, der alle Brücken hinter sich abgebrochen hat. Meine Männer und ich sollten vor das fürstliche Gericht gebracht werden. Uns alle erwartet die Todesstrafe«, erklärte sich von Eichenkamp.
»Oh«, bemerkte der Anführer. Ein überraschtes Grinsen überzog sein Gesicht. »Ihr passt zu uns! Ich hoffe, dass unser Kapitän meine Meinung teilt.«
»Ach«, staunte Baldowin von Eichenkamp. »Ihr seid Piraten, und das dort ist euer Schiff?«
»So ist es«, gab der Anführer zurück. »Wenn Ihr wollt … mit uns könnt Ihr reiche Beute machen!«
Von Eichenkamp strahlte mit ihm um die Wette. »Ich schlage ein!«
»Dann kommt! Wir wollen auf hoher See sein, bevor der Fürst Kunde von dem Überfall erhält.«
»Was habt ihr erbeutet?«, fragte Eichenkamp beiläufig.
»Zügelt Eure Neugierde. Wenn der Kapitän es für richtig hält, weiht er Euch bestimmt ein«, bekam er zur Antwort. Der Anführer drehte sich um. »Los, beeilt euch!« Kurz darauf bugsierten vier Männer aus dem Planwagen eine schwere Truhe herunter und trugen sie voran.
Es dauerte eine Weile, bis sie den Ankerplatz erreicht hatten.
»Da ist unser Schiff«, verkündete der Anführer stolz.
»Es sieht unheimlich aus«, antwortete von Eichenkamp etwas bedrückt.
»Das soll es auch! Außerdem ist der Anstrich für nächtliche Überfälle einfach ideal.«
Sorgenvoll versuchten Sigurd und Bodo, ihren jungen Freund aus der Bewusstlosigkeit wieder in die Realität zurückzuholen. Endlich schlug der Junker seine Augen auf.
»Gott sei Dank«, war Sigurd erleichtert. »Er ist zu sich gekommen!«
Cassim wirkte mit gesenktem Kopf noch sehr benommen. »Was … was ist geschehen?«, stammelte er.
Noch ehe Sigurd antworten konnte, wies Bodo auf das Meer hinaus. »Da, das schwarze Schiff segelt aus der Felsenschlucht!«
Sigurd stand auf, während Cassim sich an die Schläfe fasste und versuchte, ebenfalls wieder auf die Beine zu kommen. Sie blickten zu dem Schiff, das sich auf das offene Meer zu bewegte. Der ablandige Wind fuhr in die Segel und trieb es nun schneller voran.
Sigurd ballte die Fäuste. »Ich möchte wetten, dass von Eichenkamp und seine Schergen mit an Bord gegangen sind!« Die Enttäuschung war Sigurd förmlich anzumerken.
»Bestimmt«, meinte auch Bodo. »Etwas Besseres als dieser Überfall konnte ihm und seiner Bande auch nicht widerfahren. Sie haben ihren Hals gerettet und werden wahrscheinlich eine neue Laufbahn als Seeräuber beginnen!«
»Was nun?«, warf Cassim ein, dessen Lebensgeister langsam wieder zurückkehrten.

»Eigentlich erübrigt sich mit der Flucht von Eichenkamps und seiner Leute unser Besuch beim Fürsten«, überlegte Bodo laut.
»Nein«, antwortete ihm Sigurd bestimmt. »Der Gedanke, dass dieser Schurke jetzt dort an der Reling lehnt und sich über uns schieflacht, bringt mich noch mehr in Wut. Außerdem hat er genug Unheil über die Waldbauern gebracht. Sollen wir tatenlos zusehen, wenn er nun auch noch Schrecken und Tod auf See verbreitet?«
Bodo wusste sich keinen Rat. »Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, Sigurd«, gab er resigniert zurück.
Sigurd löste sich vom Strand und ging auf ihre Pferde zu. »Darüber bin ich anderer Meinung, Bodo! Lasst uns zurückreiten. Wir bergen den toten Ritter und bringen ihn mit dem Wagen zur Burg.«
Sie tasteten noch einmal vorsorglich die Beine ihrer Pferde ab und schwangen sich in die Sättel.
*
Als sich die Freunde ein paar Stunden später der Fürstenburg näherten, kamen ihnen einige bewaffnete Reiter entgegen. Zu ihrer großen Überraschung war einer der geflohenen Ritter unter ihnen. »Das sind die zwei Männer und der Knabe, die Schuld daran sind, dass wir den Überfall der Seeräuber nicht vereiteln konnten, Hauptmann Gerolf«, rief er laut und zeigte auf die Freunde.
»Wie?«, entfuhr es Sigurd, der glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.
»Oh, Hauptmann Gerolf, das sind ja die Ritter Sigurd und Bodo mit ihrem Knappen Cassim«, warf einer der Berittenen ein.
»In gewisser Weise hat der Ritter recht, Hauptmann«, sagte Sigurd, der seine Fassung wiedergewonnen hatte. »Leider sind unsere Gefangenen von den Seeräubern befreit worden, die sie natürlich dann unterstützt haben. Allerdings wäre unser Kampf erfolgreich gewesen, wenn dieser Mann und seine Kameraden nicht geflohen wären, als einer von ihnen fiel.« Hauptmann Gerolf war von Sigurds Aussage überrascht.
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