Eberhard Bordscheck - Der Hölle entkommen

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Georg von Beeke und seine Kompanie geraten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Eingesperrt in ein Lager am Rhein erleben sie die Hölle auf Erden: Die Gefangenen leben im Matsch, zu Hunderten zusammengepfercht und der Witterung schutzlos ausgeliefert. Hunger und Krankheit sind ihre ständigen Begleiter. In der Gemeinschaft finden Georg und seine Kameraden immer wieder die Kraft, ihr Schicksal zu ertragen. Und noch etwas lässt Georg durchhalten: Die Sehnsucht nach seiner großen Liebe, Marie. Mithilfe seiner Kameraden kann Georg schließlich fliehen. Doch das Deutschland, das er kannte, gibt es nicht mehr. Er begibt sich auf den schwierigen Heimweg durch ein zerstörtes Land – eine Reise mit ungewissem Ausgang.

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Für Elisabeth und Julius, für Bärbel, Arne, Björn und Bianca und für Hollie, der die Zukunft gehört .

Die geschilderten Hintergründe entsprechen der geschichtlichen Wahrheit Die - фото 1

Die geschilderten Hintergründe entsprechen der geschichtlichen Wahrheit. Die handelnden Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2012

©2014 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: © Bundesarchiv, Bild 183-R77366

Lektorat: Gisela Faller, Stuttgart

Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth

eISBN 978-3-475-54353-1 (epub)

Inhalt

Zwischenspiel Zwischenspiel

Der Rhein

Das Lager

Der erste Tag

Eingewöhnung

Lagerleben

Krumbiegls Geschichte

Der Distelfalter

Unterwegs

Dieppe

Unterschlupf

Kämpfe

Begegnungen

Nacht und Morgen

Zu Unrat und Auswurf hast du uns gemacht inmitten der Völker. Ihren Mund rissen gegen uns auf all unsere Feinde. Grauen und Grube wurde uns zuteil, Verwüstung und Verderben .

Klagelieder 3,45-47

Zwischenspiel

Der Rhein

Das Wasser war kalt. Die Kälte durchdrang seinen mageren, nackten Körper, wickelte ihn in eine Decke aus tausend Nadeln und ließ ihn nach Atem ringen. Während seine Beine versuchten, mit kräftigen Schwimmstößen die sanfte Strömung des Rheins stromabwärts zu nutzen, klammerten sich seine vor Kälte erstarrten Finger an die beiden zusammengebundenen Benzinkanister. Um ihn herum war es dunkel. Der nächtliche Himmel leistete sich nach den letzten heißen Tagen und sternklaren Nächten einen watteweichen Wolkenteppich, durch den hin und wieder ein schüchterner Stern lugte, und ein feiner, kopfhoher Dunstschleier erschwerte ihm zusammen mit der nächtlichen Schwärze eine ungehinderte Sicht.

Die Strömung schien ihn immer weiter hinein in dieses unwirkliche Gespinst aus Kälte, Dunkelheit und Dunstschleiern zu ziehen. Obwohl sie nicht sehr stark war, nahm sie ihn doch, wie er deutlich spürte, weiter mit stromabwärts, als ihm lieb war. Ihre Kraft ließ ihn aber vermuten, dass er sich bereits in der Mitte des Stroms befinden musste. Trotz der Kälte hatte er inzwischen seinen Schwimmrhythmus gefunden und spürte, wie die Strömung ihm dabei half, allmählich wieder aus ihr herauszukommen. Wie lange er noch bis zum anderen Ufer brauchen würde, konnte er aber nicht abschätzen. Dafür hatte er jegliches Zeitgefühl verloren.

Die Strömung wurde allmählich schwächer. Daran erkannte er, dass er die Strommitte wohl überwunden hatte und sich nun dem anderen Ufer näherte. Seine Beinstöße brachten ihn in immer größeren Strecken in diese Richtung, das Schwimmen wurde leichter. Auch sein Kanisterfloß ließ sich nun leichter dirigieren. Er löste eine Hand von den zusammengebundenen Griffen der Kanister und prüfte mit der anderen, ob die Fracht verrutscht war, doch das Bündel auf dem Floß fühlte sich an der Unterseite zwar nass an, aber es schien noch alles an seinem Platz zu sein.

Das Floß trug alles, was er besaß. Eingerollt in eine Wolldecke waren sein verschlissener Militärmantel, seine Uniform, abgelaufene Stiefel und ein Brotbeutel mit Kochgeschirr und Wasserflasche.

Jetzt, im ruhigen Wasser, kam eine seltsame, zufriedene Ruhe über ihn. Es kann nicht mehr weit bis ans Ufer sein, dachte er, atmete zum ersten Mal bewusst tief durch und versuchte, durch den Dunstschleier hindurch die Uferlinie zu erkennen. Sie kam ihm mit diesem seltsamen Geruch aus Wasser und feuchter Erde entgegen, der ihm von zu Hause her so vertraut war. Als Junge hatte er nach manch heftigem Frühlingsregen, wenn die Lenne durch ihre Zuflüsse angeschwollen war, Steindämme mit Wasserrädern in die braunen, erdigen Fluten gebaut. In diesen Geruch aus Wasser und Erde mischte sich nun auch der Duft taufeuchten Grases.

Sein rechtes Knie stieß plötzlich an einen Stein, und die Kanister schrammten im selben Augenblick dumpf und blechern über kieselharten Grund. Erschrocken zog er das Floß zu sich heran und suchte mit den Knien nach dem festen Boden. Er streckte seinen Körper, tastete den Untergrund ab, fand einen Stein, der ihm Halt gab, und zog sich langsam auf festen Boden. Die sanfte Strömung des Wassers verursachte leise, rhythmisch schmatzende Geräusche an den Unterseiten der Kanister, als er versuchte, sie langsam ans Ufer zu heben.

Er bemühte sich, in der Dunkelheit seinen Landungsplatz genauer zu erkennen. Über ihm wölbte sich leise im Nachtwind wehendes maifrisches Weidengehölz, dessen Laubdach zu dem Weidensaum gehören musste, der den Strom auf dieser Seite des Ufers über einen Kilometer weit begleitete. Er hatte den lange ausgewählten Zielbereich offenbar gut getroffen. Seine Freude über die gelungene Überquerung bekam einen Dämpfer, als er erschrocken feststellte, dass ihn die Strömung doch weiter als gedacht mitgenommen hatte und er sich am äußersten stromabwärts gelegenen Ende des Gehölzes befand. Nur einige zehn Meter weiter und er wäre an dem unbewachsenen und deckungslosen Teil des Ufers gelandet, das von einer zufällig vorbeikommenden Patrouille, auch bei Dunkelheit, leicht zu überblicken war!

Obwohl es ihn drängte, so schnell wie möglich der Kälte zu entkommen, blieb er im Wasser und zog sich mit den Kanistern ein paar Meter weiter flussaufwärts an dem Weidengehölz entlang, bis er eine kleine, steinfreie Uferausbuchtung fand. Mit zitternden Fingern versuchte er den Knoten der Schnur, die das Bündel am Floß festhielt, zu lösen, und es dauerte eine Weile, bis er den einfachen Sicherheitsknoten endlich aufgezogen hatte und das Bündel, mit einer Hand das Floß festhaltend, anheben und es ans Ufer schwingen konnte. Dann öffnete er so geräuschlos wie möglich die Füllstutzen der Kanister und ließ sie voll Wasser laufen. Als sie nach dem letzten Schluck seufzende Schmatzer von sich gaben, stieß er sie in tieferes Wasser, wo sie versanken. Vorsichtig und jedes Geräusch vermeidend tastete er mit der Hand den Grund ab und holte einen etwa faustgroßen Kiesel aus dem Wasser, den er später in einen Strumpf stecken wollte. Damit hätte er dann eine Waffe, eine primitive zwar, aber immerhin etwas, womit er sich bei Bedarf Respekt verschaffen konnte.

Um ihn herum war nur die schwarze Stille der Nacht. Er schnürte das Deckenbündel auf und zog seine Kleider an. Mit der Kleidung kam die Wärme in seinen Körper zurück und ergriff allmählich von seinen starren Gliedern Besitz. Er genoss das wohlige Kribbeln der Haut. Vorsichtig arbeitete er sich zum Rand des Gehölzes vor.

Das Gelände davor stieg in mehreren mit Gras bewachsenen Stufen sanft zu einer Straße an, die dem Rhein folgte. Neben der Straße verliefen Eisenbahnschienen. Allerdings waren hier, solange er im Rheinwiesenlager gewesen war, keine Züge mehr entlanggefahren. Mit der Straße verhielt es sich da schon anders. Hier patrouillierten auch nachts in unregelmäßigen Abständen amerikanische Jeeps. Dieser Teil war der schwierigste Abschnitt seines Fluchtweges und auch bei Nacht nicht ungefährlich. Hinter der Straße und den Gleisen erhob sich eine lange Basaltmauer, die den Fuß eines Weinbergs markierte. Hatte er die Mauer erst einmal erreicht, konnte er, die Rebstöcke als Deckung nutzend, den Weinberg bis zum Plateaurand hinaufsteigen.

Nun erst warf er einen Blick zurück über den Rhein. Auf der anderen Seite blinkten in der Dunkelheit kleine Feuer, an denen er sich die Männer vorstellen konnte, wie sie zusammengekrümmt, in zerrissene Decken gewickelt, auf dem nackten Boden liegend den Feuern die nötige Wärme abzuringen versuchten. Gestern Nacht hatte auch er noch dort gelegen. Auf dieser Seite des Stromes kamen die Feuer ihm auf eine unerklärliche Weise unwirklich vor, wie vom Himmel gefallene Sterne.

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