Während gewisser Perioden der abendländischen Vergangenheit müssen offenbar bestimmte gesellschaftliche Bedingungen zusammengekommen sein, welche die Entstehung von Salons begünstigt haben. Frieden, Wohlstand, urbane Lebensart, Luxus und das Interesse der Mächtigen an Kultur stehen anscheinend mit den Salons in Verbindung. Salonartige gesellschaftliche Zusammenkünfte gab es schon im klassischen Griechenland und an den französischen Höfen des 12. Jahrhunderts. Ihren episodischen Charakter verloren sie erst im 15. Jahrhundert mit dem Beginn der Renaissance an den italienischen und französischen Höfen. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde Paris zur Hauptstadt der Salons. In keiner anderen europäischen Stadt fanden sie einen günstigeren Boden als hier. Die Gesellschaftsfunktionen, die von den besonders „feinen“ Pariser Salons des ausgehenden 17. Jahrhunderts, den précieuses, wahrgenommen wurden, hat Carolyn Lougee genauestens rekonstruiert. Sie stellt dabei die Frage, warum Molière und andere männliche Intellektuelle den Frauen dieser Salons Affektiertheit, Anmaßung und Ignoranz vorgeworfen haben.
Ihre Untersuchung des sozialen Aufstiegs, der den Salonteilnehmerinnen durch Einheirat in höhere Kreise gelang, zeigt, daß die Aversionen seitens männlicher Intellektueller eher von sozialen als von geschlechtsspezifischen Konflikten herrührten. Die Aufgabe dieser eher überfeinerten Salons bestand darin, Töchtern aus dem reichen Amtsadel, die in Familien des statushöheren Schwertadels eingeheiratet hatten, Glanz und Ansehen zu verleihen.
Zu Beginn des folgenden Jahrhunderts sahen sich die Pariser Salons in ihrer kulturellen Macht bedroht, weil Ludwig XIV. den Adel und das Gesellschaftsleben an den Hof von Versailles band. Doch schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte sich die kulturelle Patronage und das geistige Leben wieder auf Paris konzentriert. Das Zeitalter der Aufklärung war die Blütezeit der Pariser Salons, die unterdessen vielfältige Formen angenommen hatten. Manche Salongesellschaften kamen sogar in Klöstern zusammen, und wenigstens zwei Salons wurden von Männern geführt. In einem Haus blieb der Montag literarischen Berühmtheiten vorbehalten und der Mittwoch den politisch Einflußreichen. Wohlhabende Frauen konkurrierten miteinander im Eröffnen neuer Salons und waren darin so eifrig, daß ein Mißerfolg auf diesem Feld sie mehr als der Verlust eines Liebhabers getroffen haben soll. Die nicht nur gesellschaftliche, sondern auch geistige Funktion der Salons bereitete indes einigen männlichen Intellektuellen, wie Jean-Jaques Rousseau, gewisse Sorgen. Er griff Molières Spöttelei über die Salondamen auf und tadelte sie wegen ihrer Anmaßung und wegen mangelnden intellektuellen Ernstes. Gleichwohl hat Rousseau, der selbst in Salons verkehrte und dort aus seinen Werken vortrug, durch sein praktisches Verhalten die unentbehrliche öffentliche Rolle der Pariser Salons für das intellektuelle und künstlerische Leben der Aufklärungsepoche bestätigt.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden bedeutende Salons auch in London und in einigen mitteleuropäischen Städten. Die Londoner Zusammenkünfte wurden wegen des dort herrschenden intellektuellen Ernstes bluestocking- Salons genannt. (Blaue Strümpfe gehörten zur Alltagskleidung der Frauen.) Wenn die Gastgeberin an Sinn und Zweck der Zusammenkunft mahnend erinnerte, so hieß das, daß harte Diskussionen auf der Tagesordnung standen. Die Londoner „Blaustrümpfe“ waren gebildeter als die Pariser Salondamen und auch eher bereit, ihre literarischen Erzeugnisse zu veröffentlichen; ihre Salons blieben zudem Männern häufig verschlossen. Salons tauchten auch – zum ersten Mal – in den wichtigsten deutschen Städten auf, zum Beispiel Berlin. In Wien kamen während des Wiener Kongresses von 1814/15 zu drei bekannten Salons weitere hinzu. Zusammenkünfte, die als Salons bezeichnet wurden, gab es auch in Potsdam, Jena, Heidelberg, Darmstadt, Leipzig und Weimar. In der Regel waren die mitteleuropäischen Salons dieser Zeit an den Fürstenhöfen zu finden, was den Schluß nahelegt, daß sie sich in einem Stadium befanden, das die französischen und englischen Salons bereits überwunden hatten.
Schon dieser kurze Überblick zeigt uns die Salons als eine Institution, die sich in unterschiedlicher Umgebung entfaltete und dabei eine Vielfalt von sozialen und intellektuellen Funktionen erfüllte. Diese Zusammenkünfte wurden von Zeitgenossen oder späteren Historikern als Salons bezeichnet. Salons fanden fast stets zu Hause statt, wobei das Zuhause manchmal der Hof einer herrschenden Dynastie war.
Salons wurden gewöhnlich von reichen, verheirateten Frauen geführt, doch manchmal war auch ein Mann der Gastgeber. So haben beispielweise Goethe in Weimar und Baron d’Holbach in Paris zu informellen intellektuellen Zusammenkünften geladen, die denen glichen, welche anderswo Salons genannt wurden. Natürlich gab es auch unverheiratete Salondamen und solche, die zu arm waren, um etwas anderes als Tee und Gebäck reichen zu können.
Es ist schwierig, eine genaue Definition des Salons zu finden, nicht nur, weil sich die Art der Zusammenkünfte und die Gastgeber erheblich voneinander unterschieden, sondern auch, weil es sich zugleich um gesellschaftliche und intellektuelle Ereignisse handelte. In einigen Salons herrschte eine rege Arbeitsatmosphäre, in der Manuskripte laut vorgelesen und der Kritik ausgesetzt wurden sowie Urteile über neue Theateraufführungen und Bücher gefällt wurden. Andere Salons waren berühmt für ihre brillanten Konversationen, üppigen Soupers und musikalischen Darbietungen. Die Schwierigkeit einer Definition gilt dabei in jeder Beziehung: War der Salon eine öffentliche oder eine private Einrichtung? Zweifellos fanden die meisten Salonzusammenkünfte in Privathäusern statt, doch wurde das, was sich dort ereignete, zugleich einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Diese halb öffentliche und halb private Atmosphäre fand ihr Pendant darin, daß die Salons in der Regel von Frauen organisiert wurden. Diese Vereinigung von Öffentlichem und Privatem spiegelt sich auch darin wieder, wie Gäste ihren Weg dorthin fanden. Salons waren exklusive Treffen, für die es aber keiner gesonderten Einladung bedurfte. Die Salonbesucher waren häufig berühmte Menschen und die Verbindungen, die man dort anknüpfte, überaus nützlich. Uns erscheint das heute in der Tat verwirrend: Wie konnte ein gesellschaftliches Ereignis spontan und offen sein und dennoch exklusiv und elitär bleiben?
Je länger ich über die Vielfalt der Erscheinungen nachdachte, die sich unter dem Etikett Salons verbargen, um so dringender stellte sich mir die Frage, weshalb Salons überhaupt entstehen konnten. Daß derartige gesellschaftliche Institutionen im vorindustriellen Europa auftauchten, hat etwas Merkwürdiges an sich. Merkwürdig war, daß private Wohnzimmer als öffentliche Orte fungierten; daß Frauen zu einer Zeit, in der sie von Bildungsstätten und anderen bürgerlichen Institutionen ausgeschlossen waren, intellektuelle Diskurse zwischen den gelehrtesten Männern der Stadt vermittelt und geleitet haben sollen; daß Männer und Frauen in einer Zeit, in der die beiden Geschlechter sich gewöhnlich sehr wenig zu sagen hatten und es kaum öffentliche Orte gab, wo sie miteinander Umgang pflegen konnten, einem regen gedanklichen Austausch nachgingen. Merkwürdig war die Zusammensetzung der männlichen Gäste. Manche waren einflußreiche Staatsbeamte, Finanziers oder Grundbesitzer, andere besaßen nur ihren Esprit, ihren Ruhm als Schriftsteller und den Willen, der Welt ihren Stempel aufzudrücken. Daß die Reichen und Mächtigen sich dazu herabgelassen haben sollen, in kleinen intimen Zirkeln mit verarmten Autoren zu verkehren, bedarf einer Erklärung. Auch die These vom institutionellen Vakuum reicht nicht aus, um dieses Bündel von Fragen zu beantworten.
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