Der Master Sergeant ließ die Sensoren seiner Rüstung einen 360-Grad-Scan durchführen. Francine blieb dicht bei ihm. »Ich orte nichts«, gab sie durch.
»Ich auch nicht«, informierte er sie. »Das gefällt mir nicht.«
»Stellung halten!«, brüllte Rinaldis Stimme plötzlich durch seinen Helm. »Das Empfangskomitee wird nicht lange auf sich warten lassen.«
Die Landezone der 7. Legion lag in einem Areal, das früher einmal der Stadtpark gewesen war. Ein Ort aus Grün und Blau, der von der örtlichen Bevölkerung zur Erholung und Entspannung aufgesucht worden war. Nun zeugten nur noch einzelne verdrehte, vertrocknete Gerippe toter Bäume von der Vielfalt an Leben, das hier geherrscht haben musste.
Die Kohorten der 7. Legion nahmen Kampfstellung ein und sicherten das Gebiet hoch professionell ab. Das völlige Fehlen von Feindaktivität machte aber nicht nur Tian stutzig.
»Sarge?«, meldete sich Rinaldi über Funk. »Ihr Trupp klärt die nähere Umgebung auf. Falls Sie den Feind ausmachen, greifen Sie nicht an. Erkunden Sie lediglich seine Stärke und kehren Sie anschließend zurück.«
»Verstanden«, erwiderte Tian ohne erkennbare Gefühlsregung. Tatsächlich knirschte er aber mit den Zähnen. Er schaltete auf die allgemeine Truppfrequenz. » Blutiger Dolch ? Ausrücken zur Feindaufklärung.«
Bernadette betrat die Brücke genau in dem Moment, in dem das Schwarmschiff im Samadir-System materialisierte. Und es war der Augenblick, in dem sie realisierte, dass etwas nicht stimmte.
Die Unruhe, die Ad’""bana auf einer tiefen, kaum wahrnehmbaren Bewusstseinsebene verströmte, ließ Bernadette für eine Sekunde aus dem Tritt geraten. Ihre Konzentration war kurz gestört, normalisierte sich aber sogleich wieder.
Ad’""banas Hologramm stand stocksteif mit hinter dem Rücken verschränkten Händen an der Stirnseite der Brücke unweit des Kontrollstuhls. Sie rührte sich keinen Millimeter. Genauso gut hätte sie eine Statue sein können.
Sie war allerdings alles andere als untätig. Ad’""bana kontrollierte jeden Aspekt der Schiffssysteme und hatte noch mehr als genug Kapazitäten übrig, um sich über etwas große Sorgen zu machen.
Etwas huschte kurz durch Bernadettes Geist. Ihr schwindelte und sie stoppte, um nicht versehentlich zu stolpern. Auch dieser Augenblick ging vorüber. Doch nun hörte sie etwas. Es schienen Worte zu sein. Jedoch war sie nicht in der Lage, auch nur eines davon zu verstehen. Es war, als betrete man einen Raum voller Menschen. Das Hintergrundmurmeln war jederzeit vorhanden, plätscherte aber einfach dahin, ohne dass man konkret Gesprächsfetzen heraushören konnte. Bernadette wusste sofort, worum es sich handelte. Sie setzte sich wieder in Bewegung und trat neben ihre Freundin, ihre Kameradin, ihre Seelenverwandte.
Sie warf der Inkarnation des Schwarmschiffes einen Seitenblick zu. »Deine Schwestern?«
Ad’""bana nickte abgehackt. »Sie wissen, dass wir hier sind – dass ich hier bin.«
»Was haben sie vor?«, wollte Bernadette wissen. »Warum greifen sie nicht an.«
»Sie warten erst einmal ab«, erklärte das Schwarmschiff. »Sie werden erst angreifen, wenn sie sicher sind, dass das Ziel ihrer Begierde auch wirklich hier ist.«
»Was bedeutet das?«
Ad’""bana rümpfte ihre holografische Nase. »Das bedeutet, sie werden erst einmal ihre Lakaien vorschicken.«
Als hätten ihre Worte sie beschworen, hallte ein Alarm durch die Korridore des mächtigen Kriegsschiffes und auf einem der Bildschirme tauchten mehrere rote Symbole direkt über dem Planeten auf. Sie erschienen aus dem Nichts. Ad’""bana benötigte lediglich Sekundenbruchteile, um sie zu identifizieren. Ihre Stimme troff vor Verachtung, als sie ein einzelnes Wort aussprach: »Hinrady.«
Lieutenant Colonel Samuel Thurnball von der 3. Schattenlegion führte seine Leute durch das, was von der drittgrößten Stadt auf Samadir noch übrig war.
Dem Namen nach handelte es sich bei seiner Einheit noch um eine der gefürchteten Schattenlegionen. Doch seit der verheerenden Schlacht auf Risena bestand seine Einheit aus nicht einmal mehr achthundert Mann. Das war weniger als halb so stark wie eine Kohorte einer Schattenlegion. Bisher hatte man weder die Mittel noch die Zeit gehabt, seine Legion wieder auf volle Stärke zu bringen. Aus diesem Grund hatte sich General Delgado entschieden, Thurnballs Dritte als Stoßtrupp einzusetzen.
Samuel biss sich auf die Unterlippe. Es gefiel ihm nicht. Er befehligte eine Schattenlegion und das sollte sich auch in der personellen Stärke widerspiegeln. Auf der anderen Seite verstand er die Notwendigkeiten des Krieges. Es gab im Moment einfach nicht genug Mittel, um seine Einheit auf Vordermann zu bringen. Und wenn er die Wahl hatte zwischen den Möglichkeiten, mit einer unterbesetzten Legion in die Schlacht zu ziehen oder auf der Ersatzbank zu sitzen, bis alles vorbei war, nun, da zog er jederzeit Ersteres vor. Außerdem hatte er mit den Nefraltiri und deren Handlangern noch eine Rechnung offen.
Sam ging in die Hocke und bedeutete zwei nachfolgenden Feuertrupps, Flankenposition einzunehmen. Die Legionäre stürmten an seiner Position vorbei. Der zu seiner Rechten bezog Stellung in den Überresten eines Fast-Food-Restaurants, der zu seiner Linken in den Ruinen einer Drogerie.
Indem er seine Wangenmuskeln anspannte, öffnete er eine Funkverbindung. »Hier Schatten drei-sechs an Kobra fünf-sechs. Erbitte Lagebericht.«
In seinen Ohren knackte es und er befürchtete schon, seine Nachricht wäre nicht durchgekommen. Sam machte sich bereit, die Worte zu wiederholen, als plötzlich Alice Listens Stimme durch seinen Helm dröhnte.
»Hier Kobra fünf-sechs. Feindeinheiten in erheblicher Stärke weniger als einen halben Klick nördlich ihrer Position. Krabbler.«
Sam verzog die Miene. Der Begriff Krabbler hatte sich inzwischen als Bezeichnung für die Jackury etabliert. Die Hinrady nannte man einfach Flohteppich.
»Verstanden. Sonst noch was?«
Alice zögerte mit ihrer Antwort. Dann erwiderte sie jedoch: »Ich glaube, es befindet sich ein Nest innerhalb der Stadt. Ich sehe eine Menge Krabbler, die sich in konzentrischen Kreisen über einem bestimmten Punkt bewegen.«
Sam stutzte. Das war in der Tat typisch für Jackurykrieger, die ihren Stock bewachten. Dadurch ließ sich der entsprechende Standort relativ einfach lokalisieren und ausschalten. Sein Blick glitt nach oben. Der Himmel war im Moment frei. Keine feindlichen Jäger waren zu sehen. Und kaum Jackury. Sam erwog, Luftunterstützung anzufordern und das Nest auf die denkbar einfachste Art zu beseitigen, entschied sich jedoch dagegen.
Die Piloten wurden an anderer Stelle dringender benötigt. Das schafften seine Leute auch in Eigenregie. Eine Stimme ganz hinten in seinem Verstand mischte sich ein und erinnerte ihn daran, dass dies nicht unbedingt eine kluge Vorgehensweise war und er von seinen persönlichen Gefühlen unter Umständen beeinflusst wurde.
Sam leckte sich über die Lippen. Da war vielleicht sogar was dran. Fast fünfzehntausend Mann der Dritten waren auf Risena elendig verreckt. Sie waren in Stücke gerissen, an Larven verfüttert oder in ihren Rüstungen zerquetscht worden. Nicht zuletzt auch Talbot, der frühere Kommandant der Legion – und Sams engster Freund.
Ja, seine persönlichen Gefühle hatten die Entscheidung womöglich beeinflusst. Aber er sah das ein bisschen anderes. Seine Erfahrungen auf Risena gaben ihm die Motivation, den Krieg in Talbots Namen weiterzuführen. In diesem Fall war das doch etwas Gutes. Oder nicht? Sam verbannte die unwillkommene Stimme in den hintersten Winkel seines Verstands, wo er sich nicht mit ihren moralischen Einlassungen auseinandersetzen musste.
»Position halten«, wies er Alice Listen mit tonloser Stimme über Funk an. »Lotsen Sie uns rein.«
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