1.2 Werte angemessen berücksichtigen
»Die Kultur einer jeden Organisation wird geprägt durch das schlechteste Verhalten, welches die Führung zu tolerieren bereit ist.« (Gruenert/Whitaker, 2015: 36).
Die Bedeutung von personenzentrierten Werten wurde in der pädagogischen Forschung bisher unterschätzt. Die Werte, von denen die Rede ist, sind: Beziehung, Respekt und Empathie (Juul/Jesper, 2019: 27). Werden diese Werte den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen zugeschrieben und in der Folge nicht als Kompetenzen verstanden, so führt das zu einer Einschränkung der Möglichkeiten, an der Qualität und dem Umfang der Beziehungskompetenz der Führungskraft zu arbeiten. (vgl. analog die Ausführungen zur Unterrichtsarbeit von Lehrern von Juul/Jesper, 2019: 28)
In der Personalarbeit gilt es ebenso, die Beziehungskompetenz der Führungskräfte zu entwickeln. So können sie ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und ihre Werte an ihre Mitarbeiter weitergeben.
1.2.1 Vorbildfunktion der Führungskräfte
Führungskräfte haben einen großen emotionalen Einfluss auf ihre Mitarbeiter. Hatfield, Cacioppo und Rapson untersuchen dieses Phänomen und bezeichnen den Effekt als »emotionale Ansteckung« (Hatfield u. a., 1993: 96 ff, im englischen Original: emotional contagion). Darunter ist zu verstehen, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter in sozialen Interaktionen mit ihren Emotionen und ihrem daraus abgeleiteten Verhalten wie mit einem Virus infizieren (vgl. Rose, 2019a: 105). Diese Art der emotionalen Beeinflussung verläuft meistens top-down. Barsade und Knight haben experimentell gezeigt, dass die größte Ansteckungsgefahr (positiv wie negativ) für die Mitarbeiter besteht und die Führungskräfte sozusagen virulent sind. (vgl. Barsade/Knight, 2015: 21 ff)
Führungskräfte nehmen eine Vorbildfunktion ein und haben über den Effekt der »emotionalen Ansteckung« die Möglichkeit, ihre eigenen Werte an die Mitarbeiter weiterzugeben. Rose geht davon aus, dass es sehr hilfreich ist, wenn Führungskräfte erwünschtes Verhalten vorleben und umschreibt das mit dem Begriff des »Walk the Talk« (Rose, 2019a: 76). Darunter ist zu verstehen, dass Personen mit Vorbildfunktion das umsetzen sollen, was sie vorschlagen und selbst nach den Werten leben sollen, die sie mündlich vertreten. Derartig gelebte Authentizität ist immens wichtig. Das wird auch im Interview mit Tobias Esch deutlich.
Auszug aus einem Interview mit Prof. Dr. Tobias Esch, Universitätsprofessor und Leiter des Instituts für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/ Herdecke, zum Thema Werte und Glücksempfinden.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Dinge, die Führungskräfte gewährleisten müssen, damit ihre Mitarbeiter tatsächlich so etwas wie Glück im Rahmen der Arbeit empfinden?
Prof. Dr. Esch: »Vor allem: authentisch sein! Das heißt nicht, immer gute Laune haben, trotzdem geht es darum, immer wieder auch positive Dinge zu betonen, sie aktiv zu benennen, Dankbarkeit und Wertschätzung auszudrücken. Es hilft, »die Tür offenzuhalten« – das fällt vielen schwer. Ziel ist es, erreichbar zu sein, aber vor allem im Sinne innerer Präsenz. Und es geht noch einen Schritt weiter: Viele Menschen in Unternehmen vermissen Transparenz: Anerkennung, aber auch konstruktive Kritik. Führungskräfte müssen nicht immer alles begründen, aber es hilft nachweislich, sich hier ein Stück weit »über die Schulter schauen zu lassen«. Die Leute wollen spüren, dass es keinen doppelten Boden, keine geheime Agenda gibt. Die Karten sollten offen auf dem Tisch liegen, Transparenz und Fairness sind die Schlüssel.
Dazu gehört auch, für sich persönlich einen Wertekanon zu definieren, nach dem man konsequent führt. Das sind nicht diese platten Leitsprüche oder Pamphlete mit Phrasen, die eh keiner liest. Es geht vielmehr um ein Tun, um einen mir gemäßen, ethischen Rahmen, an den ich mich konsequent halte und mit dem ich auch auf meine Mitarbeiter schaue. Und an dem diese mich messen können! Hier ist es nicht das Ziel, alles schön zu reden. Führungskräfte sollten differenzieren, aber nach Möglichkeit im positiven Bereich. Wenn sie das tun, werden sie »lesbar« für andere – das zeitigt dieses Gefühl von Kontrolle, das wir so dringend benötigen.« (Rose, 2019: 64 f; Hervorhebungen durch die Autorin).
Mitarbeiter fühlen sich, wenn sie eine Wahlmöglichkeit haben, zu den Führungskräften stärker hingezogen, die positive Werte verkörpern und z. B. ihre Mitarbeiter besonders respektvoll behandeln und insgesamt wertschätzend agieren (vgl. Cameron/McNaughtan, 2014: 445 ff und Rose, 2019a: 77). In dem Fall erfolgt eine positiv geprägte Ansteckung und die Mitarbeiter werden sich gegenseitig ebenfalls mit Respekt behandeln. Der Virus des respektvollen Umgangs verbreitet sich in der Folge, wenn auch in abgeschwächter Form, ebenfalls bei sozialen Interaktionen zwischen Mitarbeitern auf einer Hierarchiebene. (vgl. Rose, 2019a: 105)
Der Multiplikatoreffekt übt insgesamt einen großen Einfluss auf das emotionale Klima der gesamten Organisation aus (vgl. Tee, 2015: 654 ff). Der Vergleich mit einem Stein, der an einer Stelle im See ins Wasser geworfen wird, bietet sich an. Die kreisförmigen Wellenbewegungen, die von der Stelle ausgehen, an der der Stein im Wasser gelandet ist, breiten sich immer weiter aus, so lange, bis die Wellen das Ufer erreichen und damit alles Wasser im See in Aufruhr geraten ist. Barsade nimmt dieses Bild auf und bezeichnet die Auswirkungen auf die Organisation als »Ripple Effect« (Barsade, 2002: 644).
Beispiel zum »Ripple Effect«
Der Bereichsleiter macht einen Teamleiter in einem Feedbackgespräch regelrecht »zur Minna«. Der Teamleiter gibt die so in ihm entstandenen sehr negativen Emotionen im darauffolgenden Teamleiterkreis direkt an seine Teamleiterkollegen weiter. Die wiederum sind nun ebenfalls negativ emotional aufgeladen. Einer der Teamleiter hat im Anschluss einen wichtigen Kundentermin. Ein anderer Teamleiter führt mit einem seiner Mitarbeiter ein am Vortag angesetztes konstruktiv-kritisches Feedbackgespräch. Und der dritte Teamleiter geht mit einem Lieferanten Mittagessen. Alle drei Gespräche verlaufen nicht so positiv wie geplant. Es ist unschwer zu erraten, warum das so ist. (in Anlehnung an ein Beispiel in Rose, 2019a: 108)
Das Beispiel macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Führungskräfte achtsam mit ihren Mitarbeitern umgehen. Achtsamkeit ist ein Wert, der es der Führungskraft ermöglicht, den »Ripple Effect« bei sich selbst aufzuhalten. Eine achtsame Führungskraft wird in der Lage sein, die eigenen Emotionen soweit zu regulieren, dass sich die negativen Emotionen anderer (sei es aus höheren Führungsebenen oder auch aus der gleichen Hierarchieebene) nicht ungehindert im Unternehmen weiter verbreiten können. (vgl. Rose, 2019a: 108)
1.2.2 Werte definieren mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat
Die individuellen Werte von verschiedenen Mitarbeitern können sich sehr stark voneinander unterscheiden. Aber bestimmte Werte tendieren dazu, universell gültig zu sein, z. B. Achtsamkeit, Fürsorge, Hilfsbereitschaft, Genügsamkeit und den Schwächeren zu helfen. Die Verknüpfung der eigenen Arbeit mit solchen positiven Werten führt dazu, dass die Sinnhaftigkeit der Arbeit für die Mitarbeiter zunimmt (vgl. Cameron, 2012: 95).
Wird Achtsamkeit also als wichtiger Wert definiert, so kommt es nicht nur darauf an, den Wert an sich festzuhalten. Vielmehr sollten in turnusmäßigen Abständen grundsätzlich bestehende Werte hinterfragt und neue Werte definiert und damit der eigene Wertekanon festgelegt werden. Ein Modell, das es Führungskräften und Mitarbeitern ermöglicht, genau das zu tun, ist das Werte- und Entwicklungsquadrat, das maßgeblich auf Friedemann Schulz von Thun zurückgeht.
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