nell’attesa infantile
del gusto inconsueto
Si creava un accordo
per memorie invisibili
e con fierezza ostentavi
a noi del nucleo
la tua appartenenza.
Es waren die noch grünen
Früchte aus dem Garten
unten am Teich
die mein Vater in Scheiben
zerlegte für dich. Vielleicht
sahst du in ihm den deinen
der im Schlund barbarischer Zeit
entschwand
Diskret verfolgtest du den Ritus
in kindlicher Erwartung
ungewohnten Geschmacks
Ein Einklang stellte sich her
über unsichtbare Spuren
und voller Stolz zeigtest du
uns vom Kern
daß du dazu gehörtest.13
In einem anderen Gedicht wird im Dialog mit einem „Du“ die eigene Kindheit erinnert:
È difficile spiegarti il senso
delle pietre
che rafforzano il muro
del convento
Su quel muretto
ci camminavo
da ragazzo
cercando l’equilibrio
Le mie uscite notturne
mi riconducono
in quella strada
a pochi metri da casa
E mi vien di tentare.
Es ist schwer
dir den Sinn der Steine
zu erklären
die die Klostermauer stützen
Auf dieser kleinen Mauer
lief ich als Kind
mühsam das Gleichgewicht haltend
Meine nächtlichen Spaziergänge
führen mich von neuem
in diese Straße
nur wenige Meter von zu Hause
Und wieder muß ich es versuchen.14
Das Erinnern ist das zentrale Thema besonders in dem Band Mnemosyne . Dort heißt es:
I ricordi balzano fuori
dal fondo della terra
come le talpe in primavera
[…].
Die Erinnerungen schnellen empor
aus dem Erdgrund
wie die Maulwürfe im Frühling
[…].15
Die Gestalt der Mnemosyne, die dem Band den Namen gibt, gilt in der griechischen Mythologie als die Personifikation der Erinnerung und als die Mutter der neun Musen.
Vor diesem Hintergrund mag die Metapher des Maulwurfs ungewöhnlich erscheinen. Der Maulwurf ist ein Tier, das in der Erde gräbt, im Untergrund bleibt. Die beim Graben anfallende Erde schiebt er mit dem Kopf beziehungsweise dem Rüssel an die Erdoberfläche, wodurch die typischen, circa 25 cm hohen Erdhaufen entstehen. Der Maulwurf sieht schlecht. Seine kleinen Knopfaugen nehmen nur Unterschiede zwischen Hell und Dunkel wahr. Auch der Gehörsinn ist beim Maulwurf wenig ausgeprägt. Stattdessen kann er mit den Haaren „hören“. Sie nehmen kleinste Erschütterungen, Schwingungen, Bewegungen, ja sogar Luftdruckveränderungen auf. Der Maulwurf gräbt komplexe Tunnelsysteme, die bis 200 m lang werden und bis 70 cm tief unter der Erde liegen. Auch viele Erinnerungen bleiben zunächst einmal im Verborgenen, im Unbewussten. Der Maulwurf „schnellt“, wie es in dem Gedicht heißt, „im Frühling herauf“, vielleicht angelockt durch das Sonnenlicht, vielleicht aus Neugierde. Auf ähnliche Weise kommen manchmal auch Erinnerungen unversehens ans Licht. Gedichte können solche Lichtblicke im Dunkeln sein. Sie fangen Erinnerungen ein.
Kunst ist – so gibt uns der Mythos zu verstehen – geformte, inkarnierte Erinnerung. Kunst und Literatur führen uns durch das Labyrinthsystem der Erinnerung. Die Erinnerungsarbeit wird in Salvatore A. Sannas Lyrik kombiniert mit einer Identitätsarbeit.
2. Dichten als Identitätsarbeit
Im ersten Lyrikband Salvatore A. Sannas – Fünfzehn Jahre Augenblicke – sind die Gedichte, die sich auf die Erfahrung in Deutschland beziehen, und jene, die sich auf seine ursprüngliche Heimat Sardinien beziehen, klar getrennt. Man hat den Eindruck, dass Deutschland für das lyrische Ich ein Terrain ist, auf dem es neue Erfahrungen sammelt, mit neuen sinnlichen Eindrücken konfrontiert ist, neue Begegnungen macht. Sardinien hingegen erscheint als Chiffre einer früheren, einer vergangenen Zeit. Das, was als Kontrast erscheinen mag – Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Kontrast zwischen Sardinien und Deutschland, Kontrast zwischen Deutschland und vielen anderen Orten, von denen in Salvatore A. Sannas Gedichten die Rede ist –, erweist sich, betrachtet man sein Gesamtwerk, tatsächlich als Zusammenspiel. Aus diesem Zusammenspiel von Verschiedenem und bisweilen Gegensätzlichem konstituiert sich in Salvatore A. Sannas Lyrik eine individuelle Identität. Ich zitiere hierzu den Dichter selbst, aus der Tonbandaufnahme eines von mir geführten Interviews von 1990:
„È quindi il problema della identificazione culturale, e, nello stesso tempo, […], tutti noi dobbiamo, se l’Europa continua a marciare, […] rinunciare a una parte della nostra identificazione. […] Cioè, rinunciare nel senso che non possiamo credere solo ad essa, ma, ampliando […] il nostro campo culturale, riceveremo una identificazione più grande che non sarà più quella nazionale, ma sarà quella europea.“1
„Es ist also das Problem der kulturellen Identität und zugleich müssen wir alle, wenn es mit Europa weitergeht, auf einen Teil unserer Identität verzichten. Verzichten in dem Sinn, dass wir nicht nur an sie glauben dürfen, sondern indem wir unseren kulturellen Radius erweitern, erhalten wir eine umfassendere Identität, die nicht mehr die nationale, sondern die europäische ist.“ (Übers. aus dem Italienischen Immacolata Amodeo)
Die Geschichte – die individuelle wie die kollektive – ist Teil der Identität, sie steckt in der Identität. Zur europäischen Identität gehört z. B. auch die spanische Vergangenheit Sardiniens:
„Non si deve neanche dimenticare che la Sardegna per quasi 400 anni è stata territorio spagnolo, appunto dal 1321 al 1716. Allora questo fatto ci ha resi un po’ estranei, cioè, ha reso i sardi estranei alla cultura nazionale, anche se poi è il caso e il destino che opera, la Sardegna è stata la prima regione a far parte […] di quella che poi sarà stata, o sarà, l’Italia.“2
“Man darf nicht vergessen, dass Sardinien fast 400 Jahre lang spanisches Territorium war, und zwar von 1321 bis 1716. Aufgrund dieser Tatsache stehen wir der Nationalkultur etwas fremd gegenüber. Auch wenn dann der Zufall es wollte, dass Sardinien die erste Region war, die zu dem gehörte, was dann Italien sein würde.“ (Übersetzung aus dem Italienischen Immacolata Amodeo)
Salvatore A. Sannas Dichtung führt vor, wie sich aus unterschiedlichen kulturellen Einflüssen, aus partikularen Geschichten jenseits der Nationalgeschichte, aus der Begegnung der kulturellen Prägung einer scheinbar randständigen Region wie Sardinien mit mitteleuropäischen Mentalitäten eine Identität konstituieren kann. Diese ist natürlich nicht als homogene und statische Identität zu sehen, sondern als eine Identität, die sich gerade auf der Grundlage eines Lebens an verschiedenen Orten, unter unterschiedlichen kulturellen Einflüssen konstituiert, als eine Identität in Bewegung, offen für die vielfältigsten Veränderungen.
Zu einer solchen Identität gehören auch mehrere Sprachen. Sanna macht deutlich, dass die deutschsprachige Umgebung, in der er einen großen Teil seines Lebens verbracht hat, auf sein Italienisch, seine Sprache der Dichtung, Einfluss hatte, diese inspiriert und stimuliert hat. Wie hat man sich das vorzustellen? Ich zitiere den Dichter selbst, der es anhand einiger Beispiele erläutert:
„…in der Formulierung und auch in der Verwendung bestimmter Wörter, zum Beispiel der Goldregen ist eine Pflanze, die man in Italien selten sieht, aber der Goldregen blüht im Mai in unserem Garten, und so hat mich diese Pflanze besonders interessiert, oder zum Beispiel die Ebereschen, auch das ist etwas, was man in Italien selten sieht. Also das sind Stimuli, die ich aus dem deutschen Milieu entnehme und auch hier erlebe in einem Kontext, und insofern beeinflusst dieses Milieu auch die Auswahl der Wörter, die ich verwende.“3
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