Allerdings hielt mich mein Großvater für zu jung, um mich gleich ganz ins kalte Wasser zu schmeißen, sprich, um eine richtige Lehre in einem anderen gastronomischen Betrieb anzufangen. Das aber war notwendig, denn wer ein guter Koch werden wollte, der musste raus in die Welt, um neue Sicht- und Arbeitsweisen kennenzulernen. Opa hatte recht mit seiner Einschätzung, denn jeder im Posthotel fasste mich bewusst oder unbewusst mit Samthandschuhen an. Das freilich wäre anderswo sicher nicht der Fall gewesen, im Gegenteil: Man wusste ja, dass der Ton in der Küche oft laut und ruppig war – und das war ich nicht gewohnt. Deshalb beschloss er, mich für ein Jahr in die Hotelfachschule nach Neuötting zu schicken, wo ich zumindest noch ein bisschen schützende Umgebung um mich herum haben würde. Erst im Nachhinein begriff ich, welche enorme finanzielle Tragweite diese Entscheidung für unsere gesamte Familie hatte: Die Fachschule war weit über die Grenzen Bayerns hinaus anerkannt, weshalb die Ausbildung dort stattliche 25.000 DM kostete, die nicht mal eben in einer Geldschublade an der Rezeption herumlagen – und von denen keiner wusste, ob sie gut angelegtes Geld waren. Allerdings bekam ich davon nichts mit. Stattdessen freute ich mich, mal aus Franken rauszukommen und nach Oberbayern zu dürfen, wo die Kirchturmdächer wie Zwiebeln aussahen.
Die privat geführte Einrichtung mit dem klangvollen Namen „Bavaria“, die sich im sehr ländlichen Neuöttinger Ortsteil Alzgern befand, war ein eher schmuckloser grauer 70er-Jahre-Bau, an dessen Eingang ein bayerischer Messinglöwe darüber wachte, dass die knapp 250 Schüler nicht zu viel Unsinn trieben. Die Schule war aufgebaut wie ein richtiges Hotel, sodass wir alle Stationen eines professionellen Betriebs durchlaufen konnten, von der Zimmerreinigung über den Service bis zum Küchendienst. Die Einteilung wechselte wöchentlich, nach sieben Tagen Theorie folgten sieben Tage Praxis. Fachlich, das stand schon nach kurzer Zeit fest, kam ich hier jedoch nicht wirklich weiter: Das meiste, das uns dort in den Praxiswochen beigebracht werden sollte, kannte ich längst. Und die Theorie machte mir keinen Spaß, weil ich gehofft hatte, nach der Mittleren Reife die ganze Lernerei erst mal hinter mir lassen zu können. Aber zumindest war ich das erste Mal in meinem Leben länger weg aus dem beschaulichen Wirsberg, insofern konnte mir der Aufenthalt eigentlich nur guttun.
Knapp die Hälfte meiner Mitschüler kam erkennbar aus einem reichen Elternhaus, teilweise aus dem Ausland, und war wahrscheinlich nur hier, weil zu Hause jeder froh war, die kleinen Besserwisser mal für eine längere Zeit los zu sein. Mit der anderen Hälfte aber verstand ich mich gut, obwohl ich mit Abstand der Jüngste von allen war. Wir wurstelten uns gemeinsam durch die Wochen und halfen uns gegenseitig. Um richtige Freundschaften zu schließen, blieb leider keine Zeit, aber wir „Normalos“ hielten auf jeden Fall zusammen.
Höhepunkte für mich waren jene Einsätze, die außerhalb des Schulkomplexes anfielen. Der Direktor hatte gute Kontakte zu renommierten Betrieben, und so konnte es schon mal vorkommen, dass eine ganze Kolonne Hotelfachschüler für „Feinkost Käfer“ nach München abkommandiert wurde, wenn der wieder eine größere Veranstaltung oder ein Bankett ausrichtete. Die anderen drückten sich gerne vor derartigen Zusatzaufgaben. Ich aber fand es total spannend zu beobachten, wie es funktionierte, 500 oder 600 Menschen auf einem Haufen gleichzeitig mit Essen und Getränken zu versorgen – außerdem gab’s zehn DM pro Stunde auf die Hand. Ich richtete im Akkord an, bediente im Stechschritt und trug genauso eilig wieder ab. Die Abende, die oft bis tief in die Nacht dauerten, waren härteste Knochenarbeit, zumal wir meistens im Anschluss auch noch die Tische und Stühle aufräumen mussten, und so sanken wir nach sechs oder sieben Stunden schweißüberströmt in die Sitze unseres Busses, der uns aus der Stadt zurück in die Prärie brachte. Die Faszination für solche im Idealfall bis ins Detail durchgeplanten Abläufe indes machte die körperliche Anstrengung beinahe wett. Während der Schulferien durfte ich jedes Mal nach Hause, und so ging auch das Jahr in Neuötting verhältnismäßig schnell vorbei.
Später, während meiner Lehre, kehrte ich noch mal hierher zurück – für einen Nachwuchswettbewerb, den die Schule ausgeschrieben hatte. Als ersten Preis gab es einen Meisterkurs zu gewinnen. Ich gewann, aber ich hatte keine Zeit dafür. Ich musste ja erst mal raus in die Welt.
KAPITEL 2
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