Als sie eines Morgens um zwei Uhr nach Hause gekommen war und sich von ihren Frauen hatte entkleiden lassen, schickte sie die letzteren fort und setzte sich, um zu schreiben, an den Kamin. Plötzlich hörte sie ein dumpfes Geräusch in demselben und sah gleich darauf einen bis an die Zähne bewaffneten Mann mitten in einer Wolke von Ruß, Schwalbennestern und Kalk herabstürzen. Da der nächtliche Besucher bei seinem schnellen Sturze Feuerbrände und Kohlen mitten in das Zimmer geworfen hatte, so nahm er die Feuerzange und legte, ohne sich um die Wirkung zu kümmern, die ein so sonderbarer Eintritt ausüben musste, alle die herausgestoßenen Brände wieder in den Kamin, stieß einige Stückchen Kohle, damit sie nicht den Teppich verbrannten, mit dem Fuße zurück und wandte sich dann erst an Madame von Beauffremont.
»Dürfte ich Sie wohl zu fragen wagen, Madame,« sagte er zu ihr in höflichem Tone, »mit wem ich die Ehre habe zu sprechen?«
»Mein Herr,« stotterte die vor Schrecken zitternde Marquise, »ich bin Frau von Beauffremont; da ich Sie aber durchaus nicht kenne und Sie mir nicht das Aussehen und die Manieren eines Diebes zu haben scheinen, so kann ich wirklich nicht erraten, warum Sie mitten in der Nacht und obendrein durch den Kamin in mein Zimmer kommen.«
»Madame,« antwortete der Unbekannte, »Sie wollen mich entschuldigen; als ich hier eindrang, wusste ich durchaus nicht genau, welches Zimmer ich gezwungen sein würde zu belästigen. Erlauben Sie mir daher, um einen Besuch abzukürzen, den Sie ohne Zweifel für unpassend halten werden, Sie um die Güte zu bitten, mich bis an die Tür Ihres Hotels begleiten zu wollen.«
Dabei zog er ein Pistol aus seinem Gürtel und nahm eine brennende Kerze in die Hand.
»Aber, mein Herr!«
»Haben Sie die Güte, sich zu beeilen, Madame,« sagte er, den Hahn seiner Waffe spannend. »Wir werden zusammen die Treppe hinuntergehen, und Sie werden dann gütigst befehlen, dass man öffne.«
»Sprechen Sie leiser, mein Herr, sprechen Sie leiser, der Marquis von Beauffremont könnte Sie hören«, erwiderte die unglückliche Frau ganz außer sich.
»Nehmen Sie einen Mantel um, Madame, bleiben Sie nicht im Morgenkleid; es ist draußen abscheulich kalt.«
Alles geschah nach dem Willen des kühnen Besuchers. Madame von Beauffremont war darüber, als der Mann schon das Hotel verlassen hatte, noch so erschrocken, dass sie sich eine Weile in der Loge des Schweizers niedersetzen musste. Bald darauf hörte sie an das Fenster des Schweizers, das auf die Straße hinausging, klopfen, und die Stimme des Mannes mit der Pistole sagte:
»Herr Schweizer, ich habe in dieser Nacht ein oder zwei Meilen über die Dächer gemacht, um den Polizisten, die mir folgten, zu entwischen. Sagen Sie nicht Ihrem Herrn, dass hier ein Galanteriestreich geschehen und dass ich der Liebhaber Frau von Beauffremonts sei, sonst würden Sie es mit Cartouche zu tun haben, und übrigens wird man übermorgen von mir etwas durch die Stadtpost erfahren.«
Frau von Beauffremont ging wieder hinauf und weckte ihren Gatten, der behauptete, sie habe nur Albdrücken oder einen schlechten Traum gehabt.
Zwei oder drei Tage später erhielt sie einen Brief voll Entschuldigungen und durchaus ehrfurchtsvollen und sehr gewandt ausgedrückten Danksagungen, in dem ein Pass für sie und ihre Familie eingeschlossen war. Bei dem Briefe befand sich noch eine kleine Schachtel, in der ein schöner Diamant ohne Fassung lag. Madame Lempereur, die Juwelierin, schätzte ihn auf zweitausend Taler ab, welche Summe Herr von Beauffremont für die Kranken des Hotel-Dieu an den Schatzmeister von Frankreich ablieferte.
Noch sicherer und noch nie irgendwo gedruckt ist der Streich, den Cartouche dem Leutnant von der Polizeiwache spielte, indem er ihm am hellen Tage sein Silberzeug raubte.
Der Leutnant speiste in einem Saale des Erdgeschosses seines Hauses, dessen Fenster auf den Hof hinausgingen. Eines Tages gegen Mittag, als er sich eben zu Tische setzen wollte, öffnete sich das Hoftor mit Geräusch, und er sah eine prächtige Kutsche vorfahren, bei der zwei große Teufel von Lakaien, in Scharlach gekleidet und mit Tressen auf allen Nähten, hinten aufstanden.
Ein ernst und streng aussehender Greis stieg aus dem Wagen und verlangte, nachdem er sich als ein Engländer von hohem Stande genannt hatte, den Herrn Leutnant von der Polizeiwache zu sprechen.
Man führte ihn in den Speisesaal. Als der edle Fremde das Mahl des Beamten auf dem Tische bemerkte, erschöpfte er sich in Entschuldigungen, weigerte sich, Platz zu nehmen, und versicherte in einem Kauderwelsch, das keinen Zweifel an der Nationalität, zu der er sich bekannt hatte, ließ, dass er dem Leutnant nur einige Worte zu sagen habe; dabei zog er diesen in eine Ecke des Zimmers und war bemüht, sich so zu stellen, dass der andere gezwungen war, den Fenstern den Rücken zuzuwenden.
Er erzählte ihm, wie ein anonymer Brief ihn benachrichtigt habe, dass die Banditen in der folgenden Nacht sein Hotel angreifen würden; er bat um Schildwachen und versprach den Polizeisoldaten hundert Guineen, wenn sie sich des berüchtigten Cartouche würden bemächtigen können, gegen den der edle Lord eine wahrhaft britische Erbitterung an den Tag legte, dann empfahl er sich seinem Wirte, der ganz glücklich über die neue und angenehme Bekanntschaft war, dieselbe durchaus an den Wagen begleiten wollte und, auf der Schwelle stehenbleibend, eine Weile die prächtige Equipage, wie sie davonrollte, betrachtete.
Aus dieser Betrachtung riss ihn das Geschrei seines Dieners, der bei seiner Rückkehr in den Speisesaal bemerkt hatte, dass alles Silberzeug von der Tafel genommen sei.
Cartouche – denn er war es gewesen – hatte seine Rolle so gut gespielt, dass der Leutnant noch seinen Besucher gegen die Anschuldigungen seiner Leute verteidigte und versicherte, er habe sich nicht einmal der Tafel genähert. Aber einige Soldaten, die gerade über den Hof gegangen waren, hatten die beiden Leute des vornehmen Fremden sich nachlässig gegen die offenen Fenster lehnen sehen; die Tafel war nur wenige Schritt davon entfernt, und es wurde nun sehr wahrscheinlich, dass, während der falsche Engländer die ganze Aufmerksamkeit des Herrn Leutnants zu fesseln wusste, die großen Lakaien, nur die Arme auszustrecken brauchten, um reinen Tisch zu machen.
Eine kurze Weile später wurden diese Vermutungen zur Gewissheit, denn ein Kommissionär brachte dem Herrn Leutnant ein Dutzend Löffel und Gabeln von schönem Zinn, damit er seinen Verlust dadurch ersetzen könne.
Der hervorspringende Zug in allen Unternehmungen Cartouches ist der geistreiche Scherz, der sie fast immer begleitet. Der Dieb begnügt sich nicht damit, seine Opfer zu berauben, sondern zieht sie noch soviel als möglich auf. Das ist auch ein Geheimnis seines großen Rufes; er begriff recht gut, dass ihm viel verziehen werden würde, wenn er die, denen er Furcht machte, auch amüsierte.
Charles Sanson sah Cartouche am 27. Oktober zum ersten Mal. Er war im Châtelet, und eine ansehnliche Menschenmenge drängte sich vor der Tür des Gefängnisses. Jedermann wollte sagen können: »Ich habe ihn gesehen!« Und die Erlaubnis, den Banditen besuchen zu dürfen, wurde wie gewöhnlich als eine hohe Gunst gesucht. Die Frauen zeigten sich am neugierigsten auf dieses unmoralische Wild; die Mätresse des Regenten, Frau von Parabere, wollte trotz der grausamen Erinnerung, die ihr dies erwecken musste, als eine der ersten die Züge dieses Menschen betrachten, dem man ebenso viel Glück als Verbrechen zuschrieb. Sie kam, als Grisette verkleidet, nach dem Châtelet, begleitet von den Herren de Nocé und de Fresnel.
Infolge eines Fluchtversuches, der nicht mit Erfolg gekrönt wurde, brachte man Cartouche in die Conciergerie.
Cartouches Prozess zog sich nicht in die Länge. Am 26. November erließ der Gerichtshof seinen Spruch.
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