“Ich habe nie irgendjemanden gewollt.” Traurig, aber wahr. Ich hatte mich noch nie so gefühlt. Hitzig und feucht und voller Sehnsucht.
“Gut,” flüsterte er. “Du gehörst mir und ich werde dich nicht teilen.”
Alles klar. Ich schloss meine Augen und befühlte ihn, ich wollte meine Hände in seinem Haar vergraben und ihn näher an mich ziehen. Aber so sehr ich es auch versuchte, ich konnte ihn nicht fassen. Es war, als ob er verblasste, als ob meine Hände ins Leere griffen.
Er ließ mich los und mir wurde kalt. Ich war allein.
“Komm zurück,” flehte ich.
“Bist du noch Jungfrau?” fragte er. Er berührte mich zwar nicht länger, jedoch konnte ich das Verlangen in seiner Stimme hören. Und ich hatte das bewirkt. Ich!
“Ja.” Ich nickte und mein Haar fiel über meine Wange. Ich hörte Tränen in meiner Stimme, keine traurigen, wütenden Tränen, sondern Tränen der Liebe und des Glücks und diese Tränen waren so überwältigend, dass es fast schon wehtat. Irgendwie kannte ich ihn. Ich wusste , dass er mir gehörte. Irgendwie wusste ich, dass er mich liebte, wirklich. Die Tränen waren wie mein Herz, das sich über meine Wangen in mein Gesicht ausschüttete.
“Soll ich dein Erster sein?” Ich konnte ihn nicht mehr sehen, aber seine Stimme flüsterte mir von hinten ins Ohr.
“Ja.”
“Akzeptierst du meinen Anspruch an dich? Und wirst du mich im Gegenzug zu deinem Partner machen? Für immer?”
“Ja,” bekräftigte ich. Ich kannte ihn zwar nicht, aber dieser Körper kannte ihn. Ich kam mir vor wie irgendjemand anderes, jemand, der magisch und mächtig war und sich nicht davor fürchtete im Bett zu versagen. Wenn ein einziger Kuss von ihm sich dermaßen gut anfühlte, wie würde es erst werden, wenn er mich ernsthaft anfasste? Wie würde es sich anfühlen, wenn sein fester, heißer Körper, seine Haut, gegen meinen presste? Wenn sein Schwanz in mir steckte? Wenn er mich mit seinem Mund eroberte, während er langsam in mich hineinstieß, während er sich Zeit ließ und unsere Hände sich ineinander verschlangen.
Mein Geist wurde mit allen möglichen romantischen Bildern überschwemmt und ich wusste, dass er sie alle verwirklichen würde. Er war der Richtige. Er würde mich glücklich machen. So glücklich.
“Träum von mir.” Seine Stimme verblasste zu kaum mehr als einem Flüstern und ich wollte sie festhalten, aber der Traum schlüpfte mir durch die Finger wie Wasser.
Träum von mir.
Ich öffnete die Augen und blickte mich blinzelnd um. Es dauerte ein paar Momente, ehe ich mich wieder gesammelt hatte, ehe mir klar wurde, dass nichts davon real gewesen war. Der Mann. Der Kuss. Nichts.
Meine Wangen waren feucht und mir wurde klar, dass ich wirklich geweint hatte. Jetzt schienen die Tränen einen guten Grund zu haben. Verlust. Ich fühlte mich bedürftig. Leer. Zurück in meinem kalten, stillen Dasein, das bis jetzt niemand durchdringen konnte. Niemand außer ihm.
Ich war im Zentrum für interstellare Bräute. Das Testzimmer war klein und zweckdienlich und ähnelte eher einem Untersuchungszimmer beim Arzt, als einer hochmodernen Matchmaking-Einrichtung des Weltraumzeitalters. Der Raum brachte meine Erinnerungen zurück. Meine Handgelenke waren an den Metalllehnen einer Art Zahnarztstuhl fixiert.
Die Fesseln störten mich jetzt. Ich hatte gehört, dass weibliche Strafgefangene sich freiwillig als Braut melden konnten. Vielleicht waren die Fesseln ja notwendig, schließlich handelte es sich dabei um Kriminelle. Vielleicht hatte es Fluchtversuche gegeben. Vielleicht waren sie einfach nur gewalttätig oder gemeingefährlich und das Bräutezentrum wollte daher keine Risiken eingehen.
Aber ich war keine Kriminelle. Ich? Ich hatte nicht einmal ein Päckchen Kaugummi im Eckladen mitgehen lassen, wie meine bekloppten Freunde in der Unterstufe. Ich hatte bei keiner Prüfung gemogelt oder meine Mutter angeschwindelt. Ich war öde und traurig und armselig und so einsam, dass ich kaum noch klarkam. Die Aufseherin hatte gesagt, die Handfesseln wären zu meiner Sicherheit. Als sie mich festgeschnallt hatte, hatte ich mich gefragt, wie riskant der Testvorgang wohl war. Dann aber hatte sie sich mit einem Lächeln auf den Lippen entfernt und mit dem Finger über ein Tablet gewischt. Das war alles, woran ich mich erinnern konnte.
Der Traum war ganz und gar nicht gefährlich. Gefährlich vielleicht für meine Unschuld. Meine Eierstöcke waren jetzt definitiv aufgewacht.
Ich lungerte auf dem gebogenen Sitz, würde aber nirgendwo hingehen. Der Stuhl war gekrümmt und nach hinten gewinkelt, als ob ich gleich eine Füllung bekommen würde. Nicht, um mit einem Alien verpartnert zu werden.
“Alexis, alles in Ordnung?”
Die Aufseherin trug zum Glück ihren Namen an der Uniform. Eine Gedächtnisstütze. Egara. Sie war ziemlich nett, besonders, da das Programm für interstellare Bräute als durch und durch geradlinig und effizient galt. Sogar ein bisschen militärisch. Sie aber hatte mich beruhigt und mich in meiner Entscheidung bekräftigt. Die Fernsehwerbung zeigte glückliche Frauen, die mit Aliens auf fremden Planeten lebten. Ihre verliebte Ausstrahlung—und dieses offensichtlich gut gefickte Strahlen auf ihren Gesichtern—hatte mich aufhorchen lassen, aber ich hatte nichts unternommen. Bis jetzt. Bis ich absolut nichts mehr zu verlieren hatte.
Jetzt war ich soweit. Mein Vater war tot, meine Mutter war bereits vor zwei Jahren gestorben und bei Rosie, meinem Golden Retriever wurde eine Woche nach dem Tod meines Vaters Knochenkrebs festgestellt und ich hatte schließlich auch sie verloren. Mein Hund war seit meinem elften Geburtstag meine beste Freundin und sie hatte sich mehr Geheule und schreckliche Popmusik angehört, als irgendein anderes Tier. Sie war nicht von meiner Seite gewichen, hatte Zuhause in meinem Bett geschlafen und mir an Vaters Bett Gesellschaft geleistet, als sonst niemand für mich da war.
Ich liebte diesen Hund. Meine Eltern liebte ich auch. Aber sie alle waren jetzt tot. Alles war fort, außer das große Haus, in dem ich es einfach nicht mehr aushielt. Der Hof war riesig, das Haus ein Ungetüm mit vier Schlafzimmern und ich wollte es auf keinen Fall behalten. Die Bilder an den Wänden, die Möbel, die Gerüche …
Es fühlte sich an, wie in einem Schrein für meine toten Eltern zu wohnen und ich konnte das einfach nicht mehr. Also hatte ich es verkauft und das Geld dem Baby meiner Cousine gespendet, dann hatte ich ein Auto gemietet und war nach Miami gefahren. Von Denver aus drei Tage. Ich hatte kaum geschlafen und noch weniger gegessen.
Ich fühlte mich leer. Vollkommen leer. Bis jetzt. Bis zu diesem Traum. Und die Tränen wollten gar nicht mehr versiegen, wie ein leckender Wasserhahn. Dieser Mann hatte meine Gefühle aufleben lassen. Seinetwegen verspürte ich Verlangen. Hunger. Lust. Das Mädchen aus dem Traum war so anders als ich. Sie war voller Liebe und Hoffnung und ihre Lebensfreude sprudelte wie ein Brausebonbon unter ihrer Zunge.
Genau das wollte ich. Ich wollte mich so fühlen wie sie.
“Miss Lopez? Hören Sie mich?”
Ich blinzelte die Aufseherin an und verscheuchte die Spinnenweben aus meinen Gedanken. Diese Gedanken gehörten der Vergangenheit an, jener komplizierten, verworrenen, schmerzhaften Vergangenheit, die ich hinter mir lassen würde. Heute noch. Jetzt gleich.
“Ja, alles in Ordnung. Das ging aber schnell.” Es kam mir vor, als ob ich mich vor einer Minute erst mit dem tristen, mit dem Logo des Bräuteprogramms bedruckten Krankenhauskittel auf den Stuhl gesetzt hatte.
“Ja, in der Tat,” erwiderte sie. Ich hörte die Verwunderung in ihrer Stimme und plötzlich wurde mir ganz flau im Magen.
Kein Typ in der Welt hatte auch nur ein Zehntel von dem bewirkt, was mir in diesem Traum widerfahren war. Für keinen Mann auf der Erde war ich je heiß geworden. Niemals. Vor ungefähr einem Jahr war ich sogar zur Ärztin gegangen und hatte meinen Hormonspiegel testen lassen, aber sie hatte nur lächelnd auf meinen Bluttest geschaut und mir versichert, dass alles normal war. Sie hatte gesagt, dass alles in Ordnung war. Ich war kerngesund.
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