Fast um eben die Zeit, oder doch nicht viel später hat sich auch in Frankreich jemand an diese tragische Begebenheit gemacht, und sie auf die Schaubühne gestellet. Dieses war Herr Deschamps , der mir nicht weiter, als aus seinem Cato, der im Haag 1715 herausgekommen, bekannt ist. Es scheinet dieser Poet habe des Hrn. Addisons Arbeit noch gar nicht gesehen gehabt, oder vielleicht gar nichts davon gewusst, als er sein Trauerspiel unternommen: Denn beide haben nicht die geringste [15]Ähnlichkeit miteinander. Man findet eine ganz andre Fabel, andre Personen, andre Verwirrungen, und eine andre Auflösung derselben darinnen, als in der englischen Tragödie. Nur des Cato sein Charakter ist darin ebenso fürtrefflich beobachtet, als in Addisons Cato immermehr geschehen: Wenn man nur den Tod selbst, ja die ganze letzte Handlung ausnimmt. Denn wie ich bald erinnern will, so hat die englische Tragödie hierin ihren besonderen Vorzug: Da hergegen die französische ihrer regelmäßigen Einrichtung nach, der englischen weit vorzuziehen ist.
Wer da weiß, dass die afrikanische Königin Sophonisbe auch das Glück gehabt, von vier heutigen Nationen in Trauerspielen aufgeführet zu werden, nämlich von Italienern, Franzosen, Engelländern und Deutschen: Den wird es nicht wundernehmen, dass Cato auch dieser Ehre würdig geschätzet worden. Nur ist es zu beklagen, dass sich unter uns Deutschen keine geschicktere Feder an diese Arbeit gemacht, als eben die meinige. Eben diese Erkenntnis meiner Unfähigkeit aber hat auch verursachet, dass ich mich nicht unterfangen habe, eine ganz neue Fabel zum Tode Catonis auszusinnen. Zweene von meinen Vorgängern waren mir bekannt, und ich habe mir beider ihre Stücke zu Nutze gemacht, so dass man, wie dort von Terenz gesagt wird, auch von mir sagen kann:
Quae convenere in Andriam ex Perinthia,
Fatetur transtulisse atque usum pro suis.
Mein Trost aber ist gleichfalls, dass ich ebenso wohl, als dort an einem andern Orte geschieht, mit dem Exempel andrer berühmter Poeten entschuldiget werden kann:
Habet bonorum exemplum: quo exemplo sibi
Licere id facere, quod illi fecerunt, putat.
[16]Denn zu geschweigen, dass Terentius selbst vielmals aus dem Menander ganze Stücke, doch mit einiger Veränderung entlehnet oder anders zusammengesetzet hat; so haben ja auch die größten französischen Tragödienschreiber z. E. Corneille und Racine sehr oft den Sophokles und Euripides der Griechen dergestalt gebraucht, dass sie selbige teils nachgeahmet, teils übersetzet, teils nach ihrem eigenen Kopfe in etlichen Stücken was verändert haben: Wie unter andern aus dem Ödipus und der Iphigenia zu ersehen ist.
Nun ist es zwar gewiss, dass man mir anfänglich eine bloße Übersetzung des englischen Cato zugemutet, wozu ich auch in reimlosen Versen den Anfang gemachet, wie neulich in den Beyträgen zur Critischen Historie der Deutschen Sprache eine Probe davon mitgeteilet worden. Allein nachdem ich die ganze Einrichtung desselben nach theatralischen Regeln untersuchte, so fand ich dass selbiger so regelmäßig bei Weitem nicht war, als die französischen Tragödien zu sein pflegen. Die Engelländer sind zwar in Gedanken und Ausdrückungen sehr glücklich; sie formieren gute Charaktere, und wissen die Sitten der Menschen sehr gut nachzuahmen: Allein was die ordentliche Einrichtung der Fabel anlangt, darin sind sie noch keine Meister, wie fast aus allen ihren Schauspielen erhellet. Nun wollte ich auf unsrer deutschen Schaubühne nicht gern ein neues Muster aufführen lassen, so den Feinden aller Regeln einen neuen Vorwand geben könnte, zu sagen, dass ein Stücke auch ohne dieselben schön sein könne. Daher änderte ich meinen Vorsatz und beschloss einen ganz andern Cato als den, den Addison gemacht hatte, zu verfertigen.
Es kam mir hier ungemein zustatten, dass die französische Arbeit des Hrn. Deschamps weit genauer den Regeln Aristotelis und andrer Kunstrichter gefolget war: Ja die kritische Vergleichung so am Ende derselben befindlich ist, bekräftigte mich in meinen Gedanken von den Fehlern des englischen [17]Cato. Zum 1) hat Addison gleichsam drei Fabeln in einer gemacht, davon eine jede vor sich alleine bestehen kann, und nichts zu der Hauptfabel beiträgt, ja dieselbe oft dem Zuschauer oder Leser aus den Augen bringet. Das Hauptwerk ist dieses. Cato ist nebst wenigen Römern, und einiger numidischen Reuterei, in Utica von Feinden umschlossen. Cäsar schickt zu ihm, und bietet ihm den Frieden an. Man schlägt ihn aus; Cäsar lässt seine Armee anrücken; Cato sieht kein Mittel ihm zu widerstehen, und ersticht sich.
Diese Haupthandlung nun zu verlängern sind zwei Nebenfabeln mit eingeschaltet. Die erste ist diese: Portius und Marcus, Catons Söhne, lieben die Lucia, eines römischen Ratsherrn Tochter. Portius, dem sein Bruder sein Geheimnis anvertrauet, verhält sich als ein rechtschaffener Mensch, ohne seiner eigenen Liebe Eintrag zu tun, oder seinen Bruder zu verraten. Indessen wird Marcus ermordet, und Portius bekommt die Lucia.
Die andere ist folgende: Der junge Prinz Juba liebt Catons Tochter Marcia, die von dem Sempronius einem römischen Ratsherrn auch geliebet wird. Dieser ist ein Verräter, und will den Cato ausliefern. Syphax ein Numidier, will ihm darin behülflich sein; und die Soldaten empören sich schon: Cato besänftiget sie aber. Sempron verkleidet sich in des Juba Kleidung, und will die Marcia entführen. Darüber wird er von dem Juba erstochen, der endlich die Marcia bekommt.
Diese beide Zwischenfabeln haben nun mit der Hauptsache, das ist, dem Tode Catons, keine andre Verknüpfung, als dass sie zu einer Zeit, und an einem Orte vorgehen. Sie gehören also gar nicht mit dazu, und streiten wider die Einheit der Handlung, die in jedem Schauspiele sein muss: Zu geschweigen, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass man zu einer solchen Zeit, da alles in Lebensgefahr stund, auf viele Liebesverwirrungen werde gedacht haben. Auch die possierliche [18]Verkleidung des Sempronius sieht viel zu komisch vor eine Tragödie aus. Cato selbst kommt in den ersten Handlungen selten in seiner rechten Größe zum Vorschein; außer da er den Aufruhr stillet, und den Tod seines Sohnes Marcus beklaget. Die ganze übrige Zeit wird mit fremden Dingen, die ihn nicht viel angehen, zugebracht.
Zum 2) aber hangen auch die Auftritte der englischen Tragödie sehr schlecht aneinander; wovon Aubignac in seiner Pratique du Théâtre kann nachgesehen werden. Die Personen gehen ab und kommen wieder, ohne dass man weiß warum, und die Schaubühne bleibt oft leer, wenngleich noch keine Handlung aus ist. Endlich sind auch oft die Szenen gar nicht abgeteilet, wenngleich neue Personen auftreten, oder alte abgehen, welches bei den Franzosen niemals geschieht; weil es eine Unordnung in dem äußerlichen Ansehen verursachet.
Endlich zum 3ten gefiel mirs im englischen Trauerspiele nicht, dass der sterbende Cato, dieser strenge Verfechter der Freiheit, der ganz andre Dinge im Kopfe hatte, noch in seinem Letzten ein paar Heiraten bestätigen muss. Das Hochzeitmachen hat in theatralischen Vorstellungen dergestalt überhandgenommen, dass ich es längst überdrüssig geworden bin. Die Alten haben es überaus selten angebracht, und ich habe es daher auch hier versuchen wollen, ob denn ein Trauerspiel nicht ohne die Vollziehung einer Heirat Aufmerksamkeit erlangen könne? Dieses ist mir denn eben nicht übel gelungen: Obgleich hier noch nicht halb soviel von der Liebe geredet worden, als in des Racine, Bérénice; wo es gleichfalls zu keiner Vermählung kömmt.
Fragt mich nun jemand: Warum ich nicht den ganzen französischen Cato übersetzt? So sind dieses meine Ursachen. So wahrscheinlich anfänglich die ganze Fabel eingerichtet ist und so groß Cato in den ersten Handlungen dargestellet wird: So schlecht kommt mir die letzte Handlung vor. Er lässt diesen [19]großen Mann nicht als einen Weltweisen, sondern als einen Verzweifelnden sterben. Es entsteht ein Tumult in Utica, der von dem Pharnaz herrührt: Und da Cäsar eben daselbst zugegen ist, seine Soldaten aber außer der Stadt meinen, ihr Haupt sei in Gefahr; so dringen sie herein, und hauen alles darnieder. Darüber nimmt sich Cato das Leben. Das heißt aber gar zu sehr wider die Wahrheit der Geschichte und wider den philosophischen Charakter des Cato gehandelt.
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