Rothens Deutscher Poesie, die 1688 hier in Leipzig herausgekommen. Alle übrige, auch sogar
Menantes in seinen Theatralischen Gedichten, und der von ihm ans Licht gestellten allerneuesten Art zur galanten Poesie zu gelangen, hatten nur eine seichte Anleitung zur Oper gegeben. Doch da mir auch Rotthe noch kein Gnügen tat, ob er gleich nicht übel davon gehandelt hat; und ich in ihm des
Aristoteles Poetik gelobt fand: So ward ich begierig dieselbe zu lesen; und es fiel mir zu allem Glücke
Daciers französische Übersetzung derselben in die Hände. Diese hielte außer dem Texte [11]sehr ausführliche Anmerkungen in sich, und gab mir also den längst gewünschten Unterricht in diesem Stücke. Es kamen mir nachmals
Casaubonus de Poesi Satyrica Graecorum ,
Rapollts Poetica Aristotelica , imgleichen
Heinsius De tragoediae constitutione , des Abts von
Aubignac Pratique du Théâtre , und andre Schriften mehr in die Hand, die nur beiläufig von diesen Sachen handelten; dahin ich hauptsächlich den englischen Spectator
, und den St. Evremont rechnen muss. Und zu geschweigen, dass ich mir des
Corneille, Racine, La Grange, la Motte, Molière, Voltaire u. a. Schauspiele nebst den ihnen vorgesetzten Vorreden und beigefügten kritischen Abhandlungen bekannt gemachet: So kam endlich noch des Abts
Brumois Théâtre des Grecs und des Italieners
Riccoboni Histoire du Théâtre Italien dazu, die mir noch mehr Licht in dieser Materie verschaffeten.
Je mehr ich nun durch die Lesung aller dieser Werke die wohl eingerichteten Schaubühnen der Ausländer kennenlernte: Desto mehr schmerzte michs die deutsche Bühne noch in solcher Verwirrung zu sehen. Indessen aber, dass mir das Licht nach und nach aufging: So geschah es, dass die Dresdenischen Hofkomödianten einen andern Prinzipal bekamen; der nebst seiner geschickten Ehegattin, die gewiss in der Vorstellungskunst keiner Französin oder Engelländerin was nachgibt, mehr Lust und Vermögen hatte, das bisherige Chaos abzuschaffen, und die deutsche Komödie auf den Fuß der französischen zu setzen. Den ersten Vorschub dazu tat so zu reden der Hochfürstl. Braunschweigische Hof, woselbst zu des höchstseel. Herzogs Anton Ulrichs Zeiten, schon längst ein Versuch gemacht worden war, die Meisterstücke der Franzosen in deutsche Verse zu übersetzen, und wirklich aufzuführen. Man gab ihnen die Abschriften vieler solchen Stücke; und ob sie gleich mit dem Regulus des Pradons , eines nicht zum Besten berüchtigten Poeten den Anfang machten, den Bressand an [12]obgedachtem Hofe schon vor vielen Jahren in ziemlich raue Verse übersetzt hatte: So gelung ihnen doch dieses Stücke durch die gute Vorstellung so gut, dass sie auch den Brutus, imgleichen den Alexander und Porus von ebendiesem Übersetzer; und bald darauf auch den Cid des Corneille aufführeten, der aber von einem weit geschicktern Poeten, in viel reinere und angenehmere Verse übersetzt war, als jene, und also auch ungleich mehr Beifall fand, als alle poetische Stücke, die man vorhin gesehen hatte.
Hierauf schlug ich, die angefangene Verbesserung unsrer Schaubühne, so viel mir möglich war, fortzusetzen, und zu unterstützen, dem dermaligen Direktor derselben, auch den von einem vornehmen Ratsgliede in Nürnberg übersetzten Cinna vor, der in der Sammlung seiner Gedichte, die unter dem Titel der Vesta und Flora herausgekommen, befindlich ist. Wie nun dieses Meisterstücke des Corneille durchgehends großen Beifall fand: So machte ich selbst endlich mit Übersetzung der Iphigenia aus dem Racine einen Versuch, und spornte zugleich ein paar gute Freunde, und geschickte Mitglieder der Deutschen Gesellschaft allhier an, dergleichen zu tun; da denn der eine den andern Teil des Cids, oder Chimenens Trauerjahr; der andre aber die Berenice aus dem Racine ins Deutsche brachte. Alle dreie wurden mit ziemlichem Beifalle aufgeführet, so dass man dergestalt schon acht regelmäßige Tragödien in Versen auf unserer Schaubühne sehen konnte. Ich schweige was wir der geschickten Feder Hrn. Kochs, eines der geschicktesten Acteurs hierin zu danken haben, der uns ein paar Stücke von Titus Manlius selbst geliefert, den verheirateten Philosophen aus dem Französischen übersetzet; die Sinilde aber aus des Herrn. Geh. Sekr. Königs Opera, Sancio entlehnet, und mit einiger Veränderung in eine Tragödie verwandelt hat.
Nachdem ich also beiläufig eine kurze Historie von der angefangenen Verbesserung der deutschen Schaubühne gegeben: [13]So muss ich endlich auch auf meinen Cato kommen, und überhaupt von der Einrichtung dieses Stückes Red und Antwort geben.
Cato von Utica ist zu allen Zeiten vor ein ganz besonderes Muster der stoischen Standhaftigkeit, und der patriotischen Liebe zur Freiheit gehalten worden. Poeten, Redner, Geschichtschreiber und Weltweisen haben ihn in ihren Schriften um die Wette bewundert und gepriesen. Sogar unter dem unumschränkten Regimente der römischen Kaiser, welche alle Cäsars Nachfolger waren, konnten sich die größten Leute in Rom nicht enthalten, diesen eifrigen Verfechter einer freien Republik zu loben, der in dem ersten Unterdrücker derselben alle Fortpflanzer seiner Herrschaft und Regierung vor Tyrannen erkläret hatte. Virgil und Horaz haben dieses unter Augusts Regierung, Lucan und Seneca aber unter dem Claudius und Nero getan. Maternus, ein Poet, der nach dem Berichte des alten Gespräches von Rednern, oder von den Ursachen der verfallenen Beredsamkeit, eine Tragödie von dem Cato gemachet, muss auch etwa um diese Zeiten gelebet haben: Und sein Trauerspiel wird gewiss den Hass gegen das monarchische Regiment nicht undeutlich oder schwach ausgedrücket haben, weil seine guten Freunde es vor anzüglich und gefährlich hielten, wie aus dem angezogenen Gespräche gleich im Eingange erhellet.
Cato hat sich in Utica selbst ermordet. Diese außerordentliche Todesart hat sein Ende zu einer Tragödie überaus geschickt gemacht, und es ist also kein Wunder, dass die Poeten aller Nationen diese Begebenheit in solcher Absicht ergriffen, und sie auf die Schaubühne zu bringen bemüht gewesen. Der obgedachte Maternus ist wohl der erste gewesen, der unter Catons Landsleuten solches versuchet hat: Nur ist es zu bedauren, dass dieses Trauerspiel verloren gegangen. Ohne Zweifel würden wir in demselben starke Überreste einer römischen, das ist edle [14]Liebe zur Freiheit, und einen großen Hass wider die Tyrannei angetroffen haben; die durch den nahen Eindruck, den so viel ungerechte und grausame Kaiser erhabnen Gemütern damals machten, ziemlich lebhaft werden vorgestellet worden sein.
Etwa im Jahr 1712 und also vor zwanzig Jahren hat sich Addison, ein englischer Staatssekretar und berühmter Poet, an eben diesen Helden gemacht, und im Anfange des 1713ten Jahres seinen Cato wirklich aufführen lassen, wie ich aus dem Guardian ersehe. Es ist unbeschreiblich, mit was für einer Begierde dieses Trauerspiel von jedermann besuchet, und wie wohl es von allen, die es gesehen, aufgenommen worden. Es kann sein, dass die Neigung der englischen Nation zu ihrer Freiheit, und der ihr gleichsam angeborne Abscheu vor einem tyrannischen Regimente, viel dazu beigetragen, dass die Vorstellung eines ebenso gesinnten Römers ihnen so wohl gefallen. Allein so viel ist auch gewiss, dass dieses Trauerspiel sehr viele wahrhafte Schönheiten in sich hält, die nicht nur Engelländern, sondern allen vernünftigen Zuschauern von der Welt gefallen müssen. Die Charaktere, Sitten und Gedanken der Personen sind überaus wohl beobachtet: Sonderlich ist Cato selbst, als der redlichste Patriot, als der tugendhafteste Mann und vollkommenste Bürger einer freien Republik darinnen vorgestellet. Doch dieses Trauerspiel bedarf meines Lobes nicht, da es auch in einer ungebundenen französischen Übersetzung schon diesseits des Meeres überall Beifall gefunden hat.
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