Christian Bommarius - Der gute Deutsche

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In der ruhmlosen deutschen Kolonialgeschichte dürfte das Kapitel über Kamerun eines der finstersten sein. In einträglicher Zusammenarbeit verleibten sich wilhelminische Kolonialbeamte und ehrbare Kaufleute das Land und seine Schätze ein und unterjochten die Bevölkerung. Einem Sohn des Häuptlings der Duala wurde dennoch gestattet, nach Deutschland zu reisen und sich dort zu bilden. Als Prinz Manga Bell allerdings von seinen Kenntnissen des deutschen Rechtssystems Gebrauch machte und gegen die nicht nur grausame, sondern auch vertragsbrüchige Kolonialregierung klagte, wurde er des Hochverrats bezichtigt und in Windeseile aufgehängt. Christian Bommarius, Publizist und Jurist, hat den Fall aufgerollt: Seine Geschichte eines infamen Justizmordes ist zugleich eine Fallstudie über Rassismus, Gier und abgrundtiefe politische Dummheit.

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Der gute Deutsche - изображение 1 Christian Bommarius DER GUTE DEUTSCHE Die Ermordung Manga Bells in Kamerun - фото 2

Christian Bommarius

DER GUTE DEUTSCHE

Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914

BERENBERG

Afrique dis-moi Afrique

Est-ce donc toi ce dos qui se courbe

Et se couche sous le poids de l’humilité

Ce dos tremblant à zébrures rouges

Qui dit oui au fouet sur les routes de midi

Aus: David Diop: Afrique (À ma mère)

Afrika sag mir Afrika

Bist also du dieser Rücken der sich krümmt

Und sich hinlegt unter dem Gewicht der Demut

Dieser zitternde Rücken mit roten Streifen

Der Ja zur Peitsche sagt auf den Straßen des Südens

Aus: David Diop: Afrika (Meiner Mutter)

PROLOG

Am 7. August 1914 sah sich das Bezirksgericht Duala zu zwei Justizmorden veranlasst. Es verurteilte Rudolf Duala Manga Bell und Adolf Ngoso Din wegen Hochverrats zum Tod durch den Strang am folgenden Tag. Zwar war dem Gericht in der ehemaligen Hauptstadt der deutschen Schutzkolonie bekannt, dass weder Manga Bell, der Häuptling der Duala, noch sein Vertrauter Ngoso Din Hochverrat begangen hatten. Doch war das in diesem Fall ohne Belang. Die Aufgabe des Gerichts war nicht, Recht zu sprechen, vielmehr war die Durchsetzung des Rechts mit allen Mitteln zu verhindern. Auf Geltung und Anwendung des Rechts aber hatten Manga Bell und Ngoso Din bestanden, des Rechts, das sich aus dem Vertrag ergab, den Vertreter der Duala dreißig Jahre zuvor mit Vertretern zweier Hamburger Handelshäuser geschlossen und damit die Kolonisierung Kameruns ermöglicht hatten.

Damals, am 12. Juli 1884, hatten Eduard Schmidt und Johannes Voss, deren Firmen C. Woermann und Jantzen & Thormählen seit Jahrzehnten an der Küste Kameruns Handel trieben, mit den wichtigsten »Kings and Chiefs« der Duala vereinbart, dass auf die Deutschen die Hoheitsrechte, die Gesetzgebung und die Verwaltung übergehen sollten. Doch hatten sich die Duala ausbedungen, dass der von ihnen bewirtschaftete oder bebaute Boden ihr Eigentum bleibe und – in einer von den Deutschen akzeptierten Zusatzvereinbarung – dass ihr Monopol auf den Handel mit dem Hinterland nicht angetastet werde: »Wir wünschen, dass Weiße nicht hinaufgehen und mit den Buschleuten handeln, sie dürfen nichts mit unseren Märkten zu tun haben, sie müssen hier an diesem Fluss bleiben und uns Vertrauen schenken, so dass wir mit unseren Buschleuten handeln.« * * Bei den Zitaten handelt es sich ausschließlich um Auszüge aus historischen Quellen, die nicht einzeln nachgewiesen werden. Im Literaturverzeichnis ab Seite 146 finden sich Angaben zu allen relevanten Quellen und Studien. Nur dank dieser Zusicherung war es den Deutschen gelungen, die Briten als Rivalen am Kamerunfluss auszuschalten. Der lukrative Zwischenhandel war die entscheidende Erwerbsquelle der Duala – sie bezogen aus dem Hinterland Elfenbein, Kautschuk und Palmöl und tauschten die Produkte in den deutschen und britischen Faktoreien gegen Stoffe, Eisenwaren, Pulver, Tabak, Salz und Branntwein –, seine Zerstörung hingegen das vorrangige Interesse der deutschen Firmen, die direkt und damit einträglicher auf den Märkten im Landesinneren Handel treiben wollten. Gleichwohl sahen sie in der Zusage, das Zwischenhandelsmonopol zu respektieren, nicht das geringste Problem. Sie hatten niemals vor, sie einzuhalten.

Ohnehin begründete der Vertrag nach Ansicht der Deutschen eher einen Rechtsanspruch auf koloniale Besitzergreifung gegenüber anderen europäischen Mächten, die im Scramble for Africa ebenfalls Küstenstreifen besetzen wollten, als die Legitimation der Herrschaft gegenüber der afrikanischen Bevölkerung. Deshalb fühlten sich die Deutschen von Anfang an nicht an den Vertrag gebunden und schoben ihn beiseite, sobald es ihnen möglich war. Die Duala bestanden zwar von Anfang an auf dem Protektoratsvertrag und der Zusatzvereinbarung, hatten allerdings über den Gegenstand und die Reichweite andere Vorstellungen als die Deutschen. Die Europäer bezeichneten die Vertreter der Duala als »Kings« und »Chiefs«, aber sie waren weder das eine noch das andere. Die Duala waren eine akephale Gesellschaft, also ohne politische Führer, sie kannten nur Familienvorstände, die in der Regel die Handelsgeschäfte mit den Europäern übernahmen und deshalb eine gewisse Autorität genossen. Jedenfalls waren sie keine Souveräne – auch wenn sie die europäischen Herrschaftstitel zum Teil selbst übernahmen – und damit zur Abtretung von Souveränitätsrechten weder berechtigt noch gewillt. Ihnen ging es nicht um Unterwerfung, sondern um Schutz. In früheren Bittschreiben an die britische Königin Victoria hatten sie geklagt, sie seien außerstande, den innerhalb der Duala-Gesellschaft fortwährend geführten Streit um die Beteiligung am Außenhandel zu schlichten, jede Auseinandersetzung führe zum Krieg, sie seien müde, das Land zu regieren. Mit anderen Worten: Als King Bell – eigentlich hieß er Ndumb’a Lobe – und King Akwa – er hieß Ngand’a Kwa – sowie andere Chiefs der Duala den Vertrag unterschrieben, wollten sie den Deutschen die Rechtsprechung nicht nur in Handelskonflikten zwischen den Duala und den Weißen übertragen, sondern auch in Auseinandersetzungen zwischen ihnen selbst und den anderen Duala.

Zwei Tage nach Vertragsschluss, am 14. Juli 1884, wurde in Duala am Ufer des Wuri die deutsche Flagge gehisst. Der von Reichskanzler Bismarck zum Reichskommissar für Deutsch-Westafrika ernannte Arzt Dr. Gustav Nachtigal, ein schon damals berühmter Afrikaforscher, der sich bis dahin mehr mit der afrikanischen Kultur als mit deutschen Exportinteressen beschäftigt hatte, war in Begleitung Dr. Max Buchners – ebenfalls Arzt und Afrikareisender – auf dem Kanonenboot SMS Möwe von Togoland gekommen, das er am 5. Juli für Kaiser und Reich erworben hatte. Wie vereinbart, ließ sich Nachtigal von den Vertretern der Hamburger Handelshäuser C. Woermann und Jantzen & Thormählen die »Souveränitätsrechte« über Kamerun, das heißt über die Siedlung Duala, übertragen: ein dreifaches Hoch, Trommelwirbel, drei Gewehrsalven des Kommandos und einundzwanzigmal Salut aus den größten Geschützen der Möwe. Damit war das Land, das die Deutschen Kamerun nannten, als Kolonie in die deutsche Geschichte getreten. Und es begannen – wie in allen Kolonien aller Kolonialreiche – die Eroberungen, die Feldzüge ins Landesinnere, die Unterwerfung der Bevölkerung, kurz, all das, was die Zeitgenossen als Zivilisierung bezeichneten.

Vom Anfang bis zum Ende des deutschen »Schutzgebiets« Kamerun verging kaum ein Tag ohne Krieg, jedoch nicht – von einer dramatischen Ausnahme gleich zu Beginn abgesehen – zwischen den Deutschen und den Duala. Die protestierten zwar, als die Deutschen ihr Handelsmonopol zerstörten und Steuern einführten; auch protestierten sie gegen die Nilpferdpeitsche auf ihren Rücken, die die Deutschen zumeist besser beherrschten als die Sprache der Duala. Aber abgesehen davon bestand ihre Verteidigung in der Strategie des Wandels durch Annäherung. Als die Deutschen ihnen ihre Existenzgrundlage nahmen, machten sie die Deutschen zu ihrer Existenzgrundlage, lernten Deutsch und traten in deutsche Dienste, als Händler, Verwaltungsangestellte, Missionare, Lehrer und selbst als »Oberhäuptling«, ein von den Deutschen vergebenes bezahltes Amt. Die Friedfertigkeit folgte nicht nur der Einsicht, waffentechnisch den Deutschen unterlegen zu sein – eine Erfahrung, die etliche Völker aus dem Kameruner Hinterland machen mussten. Auch die Rivalität der Duala-Clans verbot zunächst jeden Gedanken an einen gemeinsamen bewaffneten Widerstand.

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