Diese Verfügung reagiert weniger auf den Leist-Wehlan-Skandal als vielmehr auf die deutsche Justiz. Heinrich Leist, noch Ende 1892 vom Großherzog von Sachsen mit dem »Ritterkreuz Zweiter Klasse des Ordens der Wachsamkeit und des Weissen Falken« dekoriert, muss sich am 16. Oktober 1894 vor der Kaiserlichen Disziplinar-Kammer Potsdam in öffentlicher Sitzung verantworten, nach der »für Recht erkannt wurde, dass der Angeschuldigte des Dienstvergehens schuldig und deshalb mit Versetzung in ein anderes Amt von gleichem Rang, jedoch mit Verminderung des Diensteinkommens um ein Fünftel zu bestrafen sei und die Barauslagen des Verfahrens ihm zur Last zu legen sind.« Das Urteil kommt einem Freispruch gleich, Reichstag und Öffentlichkeit protestieren, die Reichsregierung sieht sich genötigt, Rechtsmittel beim Reichsdisziplinarhof einzulegen, der am 6. April 1896 immerhin auf Dienstentlassung Leists erkennt, da sich »die Beamten in Afrika gemäß deutschen Sittlichkeitsvorstellungen einzurichten hätten«. Assessor Wehlan kommt mit einer Geldstrafe von 500 Reichsmark davon. Strafrechtlich aber werden weder der eine noch der andere von der Justiz behelligt. Kolonialdirektor Kayser begründet das folgendermaßen: »Ebenso [wie im Fall Leist] liegt es in dem Fall Wehlan wegen der von ihm begangenen Körperverletzung. Der Herr Abgeordnete Bebel sagte: wenn ihr ihn nicht als Richter bestrafen könnt, so bestraft ihn doch als Menschen! Das geht eben nicht. Wenn er nicht Richter gewesen wäre, so hätte er nach der Auffassung der Staatsanwaltschaft sich einer Körperverletzung schuldig gemacht. Da aber bis dahin das Verfahren gegen Eingeborene im Kamerun nicht geregelt war, da er als Richter eine Körperverletzung begangen hat, so kann er nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht bestraft werden.« Prügelt ein Deutscher in Kamerun als Privatperson, kann er sich unter Umständen strafbar machen, wird allerdings von der Kolonialverwaltung nicht verfolgt; handelt er als Beamter, kann er sich gar nicht erst strafbar machen.
Am 13. März 1896 spricht Bebel noch einmal im Reichstag zum Leist-Wehlan-Skandal, zu den Ursachen und dem brutalen Ende des Dahomey-Aufstands und ruft dem Kolonialdirektor zu: »Wenn Ihre Kolonialpolitik solche Folgen gebiert, dann haben Sie alle Ursache, so rasch wie möglich mit derselben aufzuräumen, dem ganzen Afrika den Rücken zu kehren und Ihre Zivilisations- und Kulturarbeit hier in Deutschland zu vollenden.« Aber für den Kolonialdirektor sind die Akten des Skandals zu diesem Zeitpunkt längst geschlossen, vor allem ist sein vermeintlicher Urheber beseitigt: Der emphatische Kolonialbeamte Wilhelm Vallentin, der Whistleblower avant la lettre, hat den Dienst quittieren müssen.
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