Alle schwiegen eine Minute lang. Dann sagte Filby, er ließe sich hängen.
Der Psychologe erholte sich aus seiner Erstarrung und blickte plötzlich unter den Tisch. Da lachte der Zeitreisende heiter. »Nun?« sagte er mit einer Reminiszenz an den Psychologen. Dann stand er auf, ging zum Tabakkrug auf dem Kaminsims und begann sich, uns den Rücken zugekehrt, seine Pfeife zu stopfen.
Wir starrten einander an. »Hören Sie«, sagte der Arzt, »ist das Ihr Ernst? Meinen Sie im Ernst, daß diese Maschine in die Zeit gereist ist?«
»Sicherlich«, sagte der Zeitreisende und bückte Sich, um einen Fidibus am Feuer anzuzünden. Dann wandte er sich um, während er die Pfeife anzündete, und sah dem Psychologen ins Gesicht. (Der Psychologe wollte zeigen, daß er nicht aus den Angeln gehoben war, nahm sich eine Zigarre und versuchte, sie unbeschnitten anzuzünden.) »Noch mehr – ich habe da hinten« – er zeigte nach dem Laboratorium – »eine große Maschine fast fertig, und wenn sie zusammengesetzt ist, denke ich selber eine Reise zu machen.«
»Sie wollen sagen, die Maschine sei in die Zukunft gewandert?« sagte Filby.
»In die Zukunft oder die Vergangenheit – wohin, weiß ich nicht sicher.«
Nach einer Pause hatte der Psychologe eine Inspiration. »Sie muß in die Vergangenheit gewandert sein, wenn sie irgendwohin gewandert ist,« sagte er.
»Warum?« sagte der Zeitreisende.
»Weil ich annehme, daß sie sich im Raum nicht bewegt hat, und wenn sie in die Zukunft gewandert wäre, würde sie noch immer hier sein, weil sie diese Zeit hätte durchwandern müssen.«
»Aber«, sagte ich, »wenn sie in die Vergangenheit gewandert wäre, hätte sie zu sehen sein müssen, als wir in dieses Zimmer kamen, und letzten Donnerstag, als wir hier waren, und den Donnerstag davor und so fort.«
»Ernste Einwände«, bemerkte der Bürgermeister aus der Provinz mit einer Miene der Unparteilichkeit, indem er sich zum Zeitreisenden wandte.
»Keine Spur«, sagte der Zeitreisende; und zum Psychologen: »Sie denken. Sie können das erklären. Es ist eine Wahrnehmung unter der Schwelle, wissen Sie, verflüchtigte Wahrnehmung.«
»Natürlich«, sagte der Psychologe und beruhigte uns. »Das ist etwas ganz Gewöhnliches in der Psychologie. Daran hätte ich denken sollen. Das ist einfach genug und hilft dem Paradoxen wundervoll. Wir können diese Maschine so wenig sehen und wahrnehmen, wie wir die Speiche eines wirbelnden Rades oder einer Kugel, die durch die Luft fliegt, sehen können. Wenn sie fünfzig oder hundertmal so schnell durch die Zeit wandert wie wir, wenn sie eine Minute durchläuft, während wir eine Sekunde durchlaufen, so wird der Eindruck, den sie macht, natürlich auch nur ein Fünfzigstel oder ein Hundertstel von dem sein, den sie machen würde, wenn sie nicht durch die Zeit wanderte. Das ist ganz klar.« Er fuhr mit der Hand durch den Raum, wo die Maschine gestanden hatte. »Sie sehen?« sagte er lachend.
Wir saßen eine Minute oder so und starrten den leeren Tisch an. Dann fragte uns der Zeitreisende, was wir von dem allen hielten.
»Heut abend klingt alles plausibel genug«, sagte der Arzt; »aber warten Sie bis morgen. Warten Sie auf den gesunden Menschenverstand des Morgens.«
»Möchten Sie die Zeitmaschine selber sehen?« fragte der Zeitreisende. Und zugleich nahm er die Lampe und führte uns den langen Gang zu seinem Laboratorium hinunter. Ich erinnere mich lebhaft des flackernden Lichts, seines wunderlichen, breiten Kopfes in der Silhouette, des Schattentanzes, als wir ihm alle folgten, verwirrt, aber ungläubig, und wie wir dort im Laboratorium eine größere Ausgabe des kleinen Mechanismus erblickten, den wir vor unseren Augen hatten verschwinden sehen. Teile waren aus Nickel, Teile aus Elfenbein und andere waren ohne Frage aus Felskristall geschliffen und geschnitten. Die Maschine war ziemlich fertig, nur die gewundenen Kristallwellen lagen noch unvollendet auf der Bank neben einigen Zeichnungen, und ich nahm eine in die Hand, um sie besser zu betrachten. Es schien Quarz zu sein.
»Hören Sie«, sagte der Arzt, »ist es Ihnen wirklich Ernst? Oder ist es ein Trick – wie der Geist, den Sie uns vergangene Weihnachten zeigten?«
»Auf der Maschine«, sagte der Zeitreisende und hielt die Lampe hoch, »will ich die Zeit erforschen. Ist das klar? Es ist mir in meinem ganzen Leben nie mehr Ernst gewesen.«
Keiner von uns wußte recht, wie er es nehmen sollte.
Ich begegnete über der Schulter des Arztes Filbys Auge, und er blinzelte mir feierlich zu.
Der Zeitreisende kehrt zurück
Ich glaube, damals glaubte keiner von uns so recht an die Zeitmaschine. Die Sache ist die, der Zeitreisende gehörte zu jenen Männern, die zu gescheit sind, als daß man ihnen glaubt: man hatte nie die Empfindung, daß man alles um ihn sah; man vermutete stets noch einen feinen Hinterhalt, einen Scharfsinn auf der Lauer hinter seiner durchsichtigen Offenheit. Hätte Filby das Modell gezeigt und die Sache mit den Worten des Zeitreisenden auseinandergesetzt, so hätten wir ihm weit weniger Skeptizismus gezeigt. Denn wir hätten seine Motive erkannt: ein Schweineschlächter konnte Filby verstehen. Aber der Zeitreisende hatte mehr als einen Anflug von Laune in seinen Elementen, und wir mißtrauten ihm. Dinge, die den Ruhm eines weniger klugen Menschen ausgemacht hätten, erschienen in seinen Händen als Tricks. Es ist ein Fehler, die Dinge zu leicht zu tun. Die ernsten Leute, die ihn ernst nahmen, waren seines Verhaltens nie ganz sicher: irgendwie merkten sie, wenn sie ihm ihren Ruf des Urteils anvertrauten, so war das, als richte man eine Kinderstube mit Eierschalen-Chinaporzellan ein. Daher glaube ich, keiner von uns sprach in der Zwischenzeit zwischen diesem und dem nächsten Donnerstag sehr viel vom Zeitreisen, obgleich ohne Zweifel den meisten von uns die sonderbaren Möglichkeifen im Kopf herumgingen: die Plausibilität, das heißt die praktische Unglaublichkeit der Sache, die merkwürdigen Möglichkeiten des Anachronismus und der äußersten Konfusion, an die man denken mußte. Mich für meinen Teil beschäftigte besonders der Trick mit dem Modell. Darum, entsinne ich mich, sprach ich am Freitag mit dem Arzt, den ich in der Linnégesellschaft traf. Er sagte, er habe in Tübingen etwas Ähnliches gesehen, und legte besonderen Nachdruck auf das Ausblasen der Kerze. Aber wie der Trick geschah, konnte er nicht erklären.
Am nächsten Donnerstag ging ich wieder nach Richmond – ich glaube, ich war einer der regelmäßigsten Gäste des Zeitreisenden – und da ich spät ankam, so fand ich schon vier oder fünf Herren in seinem Salon versammelt. Der Arzt stand mit einem Bogen Papier in der einen, seiner Uhr in der anderen Hand vor dem Feuer. Ich sah mich nach dem Zeitreisenden um und: – »Es ist jetzt halb acht«, sagte der Arzt. »Ich denke, wir gehen besser zu Tisch.«
»Wo ist – –?« sagte ich und nannte unsern Wirt.
»Sie sind gerade gekommen? Es ist etwas merkwürdig. Er bittet mich in diesem Billet, zu Tisch zu führen, wenn er um sieben nicht zurück ist. Er ist dringend abgehalten. Sagt, er wolle erklären, wenn er kommt.«
»Es wäre schade, das Essen verderben zu lassen«, sagte der Herausgeber einer bekannten Tageszeitung; und daraufhin schellte der Doktor.
Der Psychologe war außer dem Doktor und mir der einzige, der auch auf dem vorigen Diner gewesen war. Die anderen Leute waren Blank, der erwähnte Herausgeber, ein Journalist und noch jemand – ein ruhiger, scheuer Mann mit einem Bart – den ich nicht kannte, und der, soweit meine Beobachtung ging, den ganzen Abend hindurch den Mund nicht auftat. Bei Tisch wurde ein wenig die Abwesenheit des Zeitreisenden erörtert, und ich nannte in halb scherzhaftem Sinn eine Reise in die Zeit. Der Herausgeber wollte das erklärt haben, und der Psychologe gab einen hölzernen Bericht von dem »geistreichen Paradoxon und Trick«, den wir vor einer Woche gesehen hatten. Er war mitten in seiner Auseinandersetzung, als die Tür vom Gang langsam und geräuschlos aufging, ich saß der Tür gegenüber und sah es zuerst. »Hallo!« sagte ich. »Endlich!« Und die Tür ging weiter auf, und der Zeitreisende stand vor uns. Ich stieß einen kleinen Schrei vor Überraschung aus. »Gütiger Himmel! Nanu, was ist los?« rief der Arzt, der ihn zunächst sah. Und die ganze Tafelrunde wandte sich zur Tür.
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