Herbert George Wells - Der gestohlene Bazillus

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Diese Sammlung enthält 15 Kurzgeschichten aus der Feder von H. G. Wells, des bekannten «Vater der Science Fiction».
Kleine Geschichten um Wissenschaft, menschliche Selbstüberschätzung und den ewigen Kampf mit der Natur. Die Menschheit befindet sich an der Schwelle zur Neuzeit: Elektrizität, Mikrobiologie und Kernphysik klopfen an die Tür eines von technischen Fortschritt und Kriegen dominierten Jahrhunderts.

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H. G. Wells

Der gestohlene Bazillus und andere Geschichten

Impressum

Covergestaltung: Olga Repp

Digitalisierung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke

2017 andersseitig.de

ISBN

9783961184019 (ePub)

9783961184026 (mobi)

andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de

info@new-ebooks.de

(mehr unter Impressum-Kontakt)

Inhalt

Impressum Impressum Covergestaltung: Olga Repp Digitalisierung: Gunter Pirntke BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke 2017 andersseitig.de ISBN 9783961184019 (ePub) 9783961184026 (mobi) andersseitig Verlag Dresden www.andersseitig.de info@new-ebooks.de (mehr unter Impressum-Kontakt)

Der gestohlene Bazillus

Die Triumphe eines Ausstopfers

Die Geschichte des † Mr. Elvesham

Der Zauberladen

Das Tal der Spinnen

Peycrafts Kur

Tiefsee-Piraten

Jimmy Goggles, der Gott

Der Gasfang

Ein Straußenhandel

Ein Nachtfalter (Genus novum)

Mr. Ledbetters Urlaub

Der gestohlene Körper

Die Äpyornis-Insel

Der Herr der Dynamos

In der Tiefe

Ein Traum von Armageddon

Der gestohlene Bazillus

»Und dies hier,« sagte der Bakteriologe, eine kleine Glasscheibe unter das Mikroskop schiebend, »ist ein Präparat des berühmten Cholerabazillus – der Cholerakeim.«

Der blaßgesichtige Mann blickte in das Mikroskop. Er war augenscheinlich nicht an derartige Dinge gewöhnt und hielt eine schlaffe, weiße Hand über sein eines, unbeschäftigtes Auge. – »Ich sehe recht wenig,« sagte er.

»Drehen Sie hier an der Schraube,« sagte der Bakteriologe. – »Vielleicht ist das Mikroskop nicht richtig eingestellt für Sie. Nur den Bruchteil einer Drehung nach rechts oder links ...«

»Ah! Jetzt sehe ich!« sagte der Besucher. – »Nicht besonders viel zu sehen übrigens. Kleine Streifchen und Fetzchen Rosa. Und doch könnten diese kleinen Partikelchen, diese bloßen Atomchen; sich vervielfältigen und eine ganze Stadt verwüsten! Wundervoll!«

Er richtete sich auf, zog das Glasplättchen aus dem Mikroskop und hielt es gegen das Fenster. – »Kaum sichtbar,« sagte er, das Präparat äußerst genau betrachtend. Er zögerte. – »Sind sie – lebendig? Sind sie gefährlich – so?«

»Diese hier sind getötet und gefärbt,« sagte der Bakteriologe. »Was mich betrifft, so wünschte ich, wir könnten jedes einzelne von diesen Dingern im ganzen Weltall töten und färben!«

»Ich vermute,« sagte der Blaßgesichtige mit einem leichten Lächeln, »Sie werden sich nicht gerade drum reißen, derartige Dinger im lebenden – ich meine, im aktiven Zustand um sich zu haben?«

»Im Gegenteil – wir sind dazu gezwungen,« sagte der Bakteriologe. – »Hier zum Beispiel« – – er ging durchs Zimmer und nahm von einem Haufen versiegelter Tuben eine in die Hand. – »Das da ist die Sache in lebender Verfassung. Eine Kultur von wirklichen lebenden Krankheitsbazillen.« Er zögerte. – »Auf Flaschen gezogene Cholera, sozusagen.«

Ein schwaches Aufleuchten der Befriedigung zeigte sich eine Sekunde lang im Gesicht des blassen Mannes. – »Eine gefährliche Sache – so um sich zu haben!« sagte er, die kleine Tube mit den Augen verschlingend. Der Bakteriologe beobachtete die krankhafte Erregtheit im Ausdruck seines Besuchers. Dieser Mann, der ihn heute nachmittag mit einem kurzen Empfehlungsschreiben eines alten Freundes aufgesucht hatte, interessierte ihn schon allein durch den Gegensatz ihrer beiderseitigen Veranlagungen. Das schlichte schwarze Haar und die tiefen grauen Augen, der hagere Ausdruck und das nervöse Wesen, das sprunghafte und doch so scharfe Interesse seines Gastes bildeten eine ganz neue Abwechslung gegenüber den phlegmatischen Bemerkungen des gewöhnlichen wissenschaftlichen Arbeiters, der den hauptsächlichen Verkehr des Bakteriologen bildete. Es war vielleicht nur natürlich, angesichts eines Zuhörers, auf den die tödliche Bedeutung des Gegenstands so augenscheinlich starken Eindruck machte, die Sache im wirkungsvollsten Licht darzustellen ...

Er hielt nachdenklich die Tube in der Hand. – »Ja, hier drin ist die Pestilenz gefangen. Man braucht nur solch eine kleine Tube über einer Quantität Trinkwasser zu zerbrechen – braucht nur zu diesen winzigen Lebenspartikelchen, die man erst färben und mit zur äußersten Schärfe eingestelltem Mikroskop untersuchen muß, um sie überhaupt zu sehen, und die weder Geruch noch Geschmack haben, ich sage, man braucht nur zu ihnen zu sagen: Gehet hin, vermehrt euch, vervielfältigt euch, füllt die Brunnen – und der Tod – ein geheimnisvoller, unaufspürbarer Tod, ein plötzlicher und furchtbarer, grimmiger Tod voller Schmerzen und Würdelosigkeit wäre losgelassen auf diese Stadt und würde umherziehen und seine Opfer suchen. Den Gatten würde er von der Gattin reißen, das Kind von der Mutter, den Staatsmann von seiner Arbeit, den Arbeiter von seiner Mühsal. Er würde den Wasserleitungen folgen, würde die Straßen entlang schleichen, da ein Haus auswählen und heimsuchen, und dort ein anderes, wo sie ihr Trinkwasser nicht abkochten, er würde in die Brunnen der Mineralwasserfabrikanten schleichen, in den Salat hineingewaschen werden und im Eis und Gefrorenen auf der Lauer liegen. In den Pferdetrögen würde er liegen und schlummern und in den öffentlichen Brunnen darauf warten, daß sorglose Kinder ihn tränken. Er würde in die Erde sickern, um an tausend unvermuteten Orten in Brunnen und Quellen wieder aufzutauchen. Bloß in die Wasserleitung brauchte man ihn zu gießen – und noch eh' man ihn ankündigen oder wieder einfangen könnte, hätte er die Hauptstadt schon dezimiert.«

Er hielt plötzlich inne. Man hatte ihm schon öfter gesagt, Rhetorik sei seine schwache Seite.

»Aber hier ist er sicher verwahrt, sehen Sie – ganz sicher verwahrt!« Der blaßgesichtige Mann nickte. Seine Augen funkelten. Er räusperte sich. – »Die Anarchisten, diese Schufte,« sagte er, sind doch Narren – blinde Narren, daß sie mit Bomben arbeiten, wenn sie derartige Dinge haben könnten! Ich glaube – –«

Ein sanftes Klopfen ließ sich an der Tür vernehmen. Der Bakteriologe öffnete. – »Nur eine Minute, Schatz!« flüsterte seine Frau. Als er wieder im Laboratorium erschien, sah sein Besucher eben nach der Uhr. – »Ich hatte keine Ahnung, daß ich Ihnen eine ganze Stunde Ihrer Zeit geraubt habe!« sagte er. – »Zwölf Minuten bis vier. Um halb vier hätte ich eigentlich wegmüssen. Aber Sie haben wirklich zu viel Interessantes hier. Nein, wirklich, ich darf mich keinen Augenblick länger aufhalten. Um vier Uhr hab' ich eine Verabredung.«

Und unter wiederholten Dankesäußerungen verließ er das Zimmer. Der Bakteriologe begleitete ihn bis an die Tür und kehrte dann durch den Korridor nachdenklich ins Laboratorium zurück. Er sann über die Ethnologie seines Gastes nach. Auf alle Fälle war der Mann kein germanischer Typ und auch kein gewöhnlicher romanischer. – »Ein krankhaftes Produkt unter allen Umständen fürchte ich!« sagte der Bakteriologe zu sich selber. – »Wie gierig er die Kulturen von Krankheitskeimen anstierte!« Ein beunruhigender Gedanke kam ihm plötzlich. Er wandte sich zu der Bank neben dem Dampfbad und darauf hastig seinem Schreibtisch zu. Dann befühlte er eilig seine Taschen und stürzte nach der Tür.

»Vielleicht habe ich es auf den Korridortisch gelegt!« sagte er.

»Minnie!« rief er im Korridor mit heiserer Stimme.

»Ja, Schatz!« klang es von fern.

»Hab' ich was in der Hand gehabt, als ich eben mit dir sprach, Schatz?« – Pause.

»Nichts, Schatz. Ich weiß noch – –«

»Hölle und Teufel!« schrie der Bakteriologe, schoß wie der Blitz zur Haustür hinaus und die Stufen hinunter auf die Straße.

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