»Was ist mit Lieutenant D’Aubigne?«
»Lieutenant D’Aubigne wird diesen Fall nicht länger betreuen«, erklärte er ihnen. »Das werden wir von jetzt an.«
»Wieso der Wechsel?«
»Kidnapping fällt in unser Resort, Monsieur Molin. Es ist der Hauptschwerpunkt unserer Ermittlungsarbeit.«
»Wir haben bereits der Polizei vor Ort und Lieutenant D’Aubigne alles erzählt, was wir wissen.«
»Ja, das ist uns bewusst.«
Fragend wandte sich Shari den beiden Ermittlern zu, obwohl ihre Augen und besonders ihr Herz die Antwort bereits kannten. »Wir werden sie nie wieder sehen, nicht wahr?«
Inspektor Beauchamp sah sie ernst an. »Madame Cohen …« Er unterbrach sich, weil es ihm doch schwerer fiel als gedacht, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber es musste gesagt werden. »Madame Cohen, wie ich hörte, arbeiten Sie beim FBI. Ist das richtig?«
Sie nickte.
»Dann wissen Sie sicher, dass Entführungen wie diese in den meisten Fällen mit Kartellen in Verbindung stehen, die sich auf Menschenhandel spezialisiert haben. Es werden längst keine Profite mehr damit erzielt, die Angehörigen wegen Lösegeldforderungen zu kontaktieren. Mittlerweile liegt das große Geld darin, die Opfer auf Auktionen an Kreise zu verkaufen, die gewisse Dienstleistungen suchen. Das ist ein Erfolgsgeschäft.«
Gary beugte sich nach vorn. »Wollen Sie damit sagen, dass unsere Mädchen von einem Menschenhändlerring verschleppt wurden?«
»Was ich damit sagen will, Monsieur, ist, dass die Möglichkeit … nun, es ist das wahrscheinlichste Szenario.«
Shari begrub ihr Gesicht in ihren Händen und schluchzte. Sie hat es die ganze Zeit gewusst, dachte Gary. Deshalb ist sie so aufgelöst.
»Ihre Frau arbeitet beim FBI. Deshalb kennt sie die Realitäten, mit denen wir heutzutage konfrontiert sind, und die Statistiken in diesen Fällen.«
»Welche Statistiken?«
Inspektor Beauchamp blickte zu Shari. »Dass wir Ihre Kinder innerhalb der nächsten sechsundneunzig Stunden finden müssen.«
Gary hob die Schultern. »Und was dann?«
Sharis Schluchzen wurde lauter.
Sie weiß es, schoss es Gary durch den Kopf. Aber er musste es selbst hören. »Was geschieht nach sechsundneunzig Stunden?«
»Nach sechsundneunzig Stunden, Monsieur Molin, wird sich die Spur nach ihrem Verbleib verlieren und sie werden komplett von der Bildfläche verschwunden sein.«
»Was meinen Sie damit, komplett?«
»Man wird sie nie mehr finden.«
Shari brach in unkontrolliertes Weinen aus.
»Wollen Sie damit sagen, dass uns nur vier Tage bleiben, um sie zu finden?«
»Wir suchen bereits nach dem Transporter«, beschwichtigte der Mann.
»Das ist zu wenig. Sie müssen doch eine Ahnung haben, wer hinter diesen Entführungen steckt?«
»Monsieur Molin, Paris ist eine große Stadt mit vielen Orten, an denen man sich verstecken kann. Die Kriminalitätsrate hier bei uns unterscheidet sich kaum von der in den Vereinigten Staaten. Wie in Ihrem Land sind die Delikte zahlreich und unsere Ressourcen begrenzt. Aber wir suchen nach ihnen.«
Gary klang erschöpft. »Begrenzte Ressourcen. Was genau bedeutet das?«
»Es bedeutet, dass wir nur mit dem arbeiten können, was uns zur Verfügung steht.« Der Inspektor zuckte auf eine Weise mit den Schultern, mit der er andeuten wollte: Ist es denn nicht offensichtlich, was das bedeutet?
Gary wurde zunehmend unruhig, wedelte mit den Händen hin und her. »Soll das heißen, dass Ihre Mittel derart begrenzt sind, dass Sie einfach nur Dienst nach Vorschrift tun werden? Wollen Sie mir das damit sagen? Uns?«
Beauchamp schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, Monsieur Molin, im Gegenteil. Was ich damit sagen will, ist, dass wir nur mit dem arbeiten können, was wir haben. Und im Moment haben wir nicht viel mehr als eine vage Beschreibung des Transporters und von vier Männern, die Skimasken trugen.«
Jetzt stiegen auch Gary Tränen in die Augen. »Wir reden hier über meine Kinder.«
»Das verstehe ich, Monsieur Molin. Und es tut mir sehr leid.«
»Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?«
»Monsieur Molin, es verschwinden täglich mehr als fünfhundert Kinder von den Pariser Straßen. Jeden … einzelnen … Tag. Was Ihrer Familie widerfahren ist, tut mir leid. Aber Sie müssen verstehen, dass sich all diese Eltern genauso wie Sie fühlen und ihnen die gleiche exklusive Unterstützung zustehen würde. Und so gern mein Departement diese auch geben würde, können wir jedoch nur das leisten, was uns möglich ist. Wir geben uns Mühe. Das tun wir wirklich. Aber das Einzige, was ich Ihnen und Ihrer Frau garantieren kann, ist das, was ich auch allen anderen in Ihrer Position garantieren kann: Dass wir unser Bestes tun werden, um Ihre Kinder zu finden. Das kann ich Ihnen versprechen.«
Beauchamp erhob sich, und das war auch für Reinard das Stichwort. Es war Zeit zu gehen.
»Kehren Sie in Ihr Hotel zurück«, bat Beauchamp. Dann überreichte er ihnen eine Visitenkarte. »Rufen Sie in meinem Departement an, falls Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte. Egal, was. Ich bin sicher, Lieutenant D’Aubigne wird Sie gern in Ihr Hotel bringen lassen.«
Beauchamp machte kehrt und verließ den Raum. Reinard folgte ihm. Mit dem gleichen Schritt und Habitus wie Beauchamp.
Gary sah ihnen nach. Dann zog er seine Frau fest an sich.
»Sie ist beim FBI!«, rief Beauchamp.
»Das spielt keine Rolle«, entgegnete Tolimir, der auf dem Rücksitz des Wagens des Inspektors saß. Reinard verhielt sich auffällig schweigsam, während die Männer auf einem leeren Parkplatz hielten, von dem aus man einen fantastischen Blick auf Paris in der Ferne hatte. Der Eiffelturm war vom nachmittäglichen Smog eingehüllt.
»Das spielt keine Rolle? Ist das Ihr Ernst?«
Tolimir warf einen Briefumschlag über den Sitz und in Beauchamps Schoß. Ohne den Kopf zu drehen, musterte Reinard mit einem knappen Seitenblick den prall mit Geldscheinen gefüllten Umschlag.
»Das ist die übliche Bezahlung«, sagte Tolimir. »Sie kennen den Ablauf. Verzögern Sie für vier Tage die Untersuchungen. Danach ist die Ware verbracht worden.«
Beauchamp schnellte herum und sah Tolimir mit einem festen und stählernen Blick in die Augen. »Haben Sie mir nicht zugehört? Sie ist vom FBI. Haben Sie eine Ahnung, was das bedeutet?«
»Ich nehme an, Sie werden es mir gleich erklären.«
»Das bedeutet, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Verbindungen spielen lassen wird, um die Vorgänge zu beschleunigen. Sie verlangen von mir, meinen Kopf zu riskieren, wenn ich die Untersuchungen hinauszögere.«
»Monsieur Beauchamp, manchmal gibt es eben Hindernisse. Und diese Hindernisse sind dazu da, überwunden zu werden. Jadran Božanović hat Sie über die Jahre hinweg fürstlich für Ihre Mithilfe bezahlt, die Untersuchungen für die nötigen vier Tage hinauszuzögern, die wir für den Transport der Ware benötigen. Wenn das geschehen ist, haben Sie nichts mehr zu befürchten. Sie haben in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet, weshalb ich sicher bin, dass Sie das auch in der Zukunft tun werden.«
»Sie hören mir nicht zu! Egal was ich tue – die Agency wird sich in die Sache einklinken. Und genau darum geht es mir. Meine Hände sind in dieser Sache gebunden. Sie haben eine denkbar schlechte Wahl getroffen.«
»Božanović triff niemals schlechte Entscheidungen. Er ist ein Mann mit einem Auge für Details und Profite.«
»Dann werde ich mehr Geld benötigen«, sagte Beauchamp. »Ich werde mehr Leute bestechen müssen, um für alles Nötige zu sorgen.«
Tolimir lächelte. »Darum geht es Ihnen also, nicht wahr? Sie wollen Ihren Preis in die Höhe treiben?«
»Ich kann das nicht allein tun. Nicht dieses Mal.«
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