Selbstmordattentate sind wahrscheinlich eine Form von »Terrorismus« – übrigens ein abstrakter Begriff, der Aussagen darüber vermeidet, »von wem« und »zu welchem Zweck« die betreffenden Taten verübt werden.
Die Frage ist, ob diese »gemeinsame Grundlage« existiert und wenn ja, worauf sie sich stützt. Zwischen der aktiven Förderung und der absoluten Verurteilung von Selbstmordattentaten gibt es ganz sicher keine gemeinsame Grundlage. Sie sind entweder richtig oder falsch. Wenn sie falsch sind, kann keine Organisation oder Bewegung, die sie aus prinzipiellen oder politischen Erwägungen heraus unterstützt, als Religion oder Philosophie anerkannt werden, so ernsthaft oder aufrichtig ihre Vertreter auch sein mögen. Gelten diejenigen Muslime, die die Selbstmordanschläge auf einer »gemeinsamen Grundlage« mit Christen und Juden – etwa auf der Basis des Naturrechts oder der Vernunft – verurteilen, nach herrschenden muslimischen Maßstäben auch als »Ketzer«? Ist irgendeine Situation denkbar, in der zu Selbstmordanschlägen ermutigt werden sollte?
Der von unbehaglich großen Teilen des Islams eindeutig vertretene Standpunkt, dass Selbstmordanschläge in moralischer Hinsicht begrüßenswert seien, ist sicherlich für viele Muslime ein Grund, Selbstmordattentäter als Märtyrer zu bezeichnen. Historisch gesehen war ein Märtyrer kein Selbstmörder und konnte auch keiner sein. Selbst Sokrates musste bei seinem Prozess erklären, weshalb es kein Selbstmord war, dass er den Tod aus den Händen des Staates akzeptierte und sein Todesurteil sogar selbst vollstreckte. Und es war auch kein Selbstmord, dass Christus sich freiwillig kreuzigen ließ. Ein Märtyrer ist nämlich das genaue Gegenteil eines Selbstmordattentäters. Ein Märtyrer ist jemand, der – eben dadurch, dass er zu Unrecht getötet wird – das sokratische Prinzip aufrechterhält, demzufolge es niemals richtig ist, sich selbst oder anderen unrecht zu tun.
Ein Selbstmordattentäter – um es einmal etwas direkter zu formulieren – kann zwar andere zu Märtyrern machen, aber niemals selbst ein Märtyrer sein. Sowohl Johannes Paul II. als auch Benedikt XVI. haben erklärt, dass derartige Taten niemals rational oder religiös gerechtfertigt werden können, auch wenn einige Religionen oder Sekten genau das versuchen. Hier verläuft eine Linie im Sand. Selbstmordattentate gutzuheißen und zu unterstützen heißt, dass man etwas in sich Böses als gut hinstellt. Das hat schwerwiegende Konsequenzen. Wenn Selbstmordanschläge – von terroristischen Anschlägen, die keinen Selbstmord beinhalten, ganz zu schweigen – befürwortet werden, weist dies darauf hin, dass die Lehre der Personen oder Gruppen, die die Argumente für diese Befürwortung liefern, nicht wahr sein kann.
Der italienische Journalist Sandro Magister hat in einem ausführlichen Beitrag die Verbindung zwischen den Anführern muslimischer Gruppen in Deutschland – mit Hauptquartieren in Köln und München – und den ägyptischen und syrischen Netzwerken der Muslimbruderschaft nachgezeichnet. Wir wissen, dass zumindest einige der Angriffe auf das World Trade Center ursprünglich in Deutschland geplant worden sind.
1994 wurde ein häufiger Besucher der Münchner Moschee, Mahmud Abouhalima, in den Vereinigten Staaten zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt, weil er ein Jahr zuvor den Autobombenanschlag auf das World Trade Center in New York organisiert hatte. Doch erst nach dem Einsturz der Twin Towers am 11. September 2001 wurden intensivere Nachforschungen angestellt, um die Verbindungen zwischen dem Terrorismus und den radikalislamischen Kreisen in Deutschland aufzudecken. 37
Als 2005 in der BBC-Sendung Panorama darüber diskutiert wurde, ob die britische muslimische Gemeinschaft vor den Extremisten in ihren eigenen Reihen die Augen verschließe, »verurteilte« der führende britische muslimische Politiker Sir Iqbal Sacranie »von britischen Muslimen, ganz gleich wo verübte Selbstmordattentate«, und sagte, dass es zwischen dem Leben eines Palästinensers und dem Leben eines Juden keinen Unterschied gebe und dass alles Leben heilig sei. Dann aber sorgte ein hochrangiger Sprecher einer der wichtigsten Mitgliedsorganisationen des Muslim Council of Britain , der Muslim Association of Britain , mit einer Äußerung für Verwirrung, die den Eindruck erweckte, dass er »für die Verklärung von Selbstmordattentätern Verständnis habe«. 38Es ließen sich zahlreiche muslimische Quellen zitieren, die diesen letztgenannten Standpunkt billigen.
Angeführt von Premierminister Tony Blair und Präsident George W. Bush haben sich religiöse und politische Führer der westlichen Welt nach Kräften darum bemüht, die Unterscheidung zwischen dem »friedlichen« Islam und dem Terrorismus aufrechtzuerhalten. Wenn diese liberale und theologische Unterscheidung zuträfe, wäre damit implizit gesagt, dass nur »friedliche« Muslime »echte« Muslime wären. Leider beanspruchen auch die Terroristen die Deutungshoheit über die islamische Lehre für sich und führen hierfür gewichtige historische und doktrinelle Belege an. In gewisser Hinsicht wäre es »illiberal«, sie nicht beim Wort zu nehmen. Eines der Probleme bei der Einschätzung des Islams besteht darin, dass es im Islam selbst keine allerhöchste Autorität gibt, die entscheidet, welche der beiden Interpretationen die gültige ist. Für jede Fatwa, die Selbstmordattentate als falsch bezeichnet, wird aus ebenso glaubwürdiger Quelle eine andere erlassen, die sie für richtig erklärt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Blair und andere sich immer häufiger dafür aussprechen, dass Muslime Verantwortung übernehmen, aufstehen und in öffentlich wahrnehmbarer Form nicht nur gegen den Terrorismus als Praxis, sondern auch dagegen Stellung beziehen, dass er als wesentlicher Bestandteil islamischer Quellen begriffen wird.
Die Prüfung Pius’ XII. war der Nationalsozialismus. Die Prüfung Johannes Pauls II. waren der Kommunismus und der absolutistische Liberalismus. Die Prüfung Benedikts XVI. war, zum Besseren oder zum Schlechteren hin, der Islam – und zwar im Kontext zu der Frage, ob die absolutistische liberale Theorie ihn zu zähmen vermag oder nicht. Doch anders als der Nationalsozialismus und der Kommunismus und anders als viele seiner akademischen Analysen kann der Islam nicht in erster Linie in den Begriffen der (oft deutschen) philosophischen oder gesellschaftlichen Strömungen des Westens gedacht werden. Genau genommen werden Versuche, das, was vor sich geht, mithilfe dieser Kategorien zu verstehen, die Wahrheit vermutlich eher verdunkeln als erhellen.
Geht man von seiner Vorgeschichte und seinen theologischen Voraussetzungen aus, ist eine neutrale oder tolerante Regierung im Islam weder existent noch gewollt. In seinen zivilen Gemeinwesen der Gegenwart und der Vergangenheit sind der Islam und der Staat in unterschiedlichen Konstellationen eng miteinander verwoben. Von Nichtmuslimen verlangt der Islam in den Gebieten, die er politisch kontrolliert, Unterwerfung; das hat Bat Ye’or in ihrem Buch Eurabia anschaulich gezeigt. Juden und Christen wird unter Umständen eine besondere Art der Unterwerfung zugestanden, die bisweilen Toleranz genannt wird und doch Unterwerfung bleibt. Die Kopten in Ägypten sind hierfür das vielleicht älteste noch existierende Beispiel. 39Und die verfolgten Christen im Sudan das anschaulichste.
Der erste Schritt im Umgang mit jeder Bewegung oder Religion besteht darin herauszufinden, was sie ist und was sie über sich selbst denkt. Natürlich ist das, was jemand seinen eigenen Worten zufolge denkt, und das, was er zu tun oder zu praktizieren gedenkt, nicht immer dasselbe. Doch nicht wenige Denker wie beispielsweise Hitler oder Lenin haben uns von vornherein gesagt, was sie dachten und was sie zu tun gedachten, und dann sind sie hingegangen und haben es getan. Niemand hatte ihnen geglaubt – bis sie das, wovon sie gesagt hatten, dass sie es zu tun gedachten, wirklich taten.
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