„Ich habe dir doch ausdrücklich gesagt, wenn du Fragen hast, dann stell sie mir!“
„Ich weiß immer noch nicht, wovon du redest.“ Sie gingen weiter, um nicht den Anschluss zu verlieren.
„Na, die Sache mit den Bediensteten. Es ist doch mehr als nur unhöflich, den Gastgeber mit solchen Fragen in Verlegenheit zu bringen.“
„Bist du jetzt völlig von der Rolle?“ Dantra erhob ungewollt seine Stimme. Bremste sich aber selbst, noch bevor Akinna einen mahnenden Blick aufsetzen konnte. „Er hat die Frage doch selbst in den Raum gestellt.“
„Weil du sie gedacht hast“, erwiderte sie ihm.
„Er glaubte, dass ich das gedacht habe. Habe ich aber gar nicht.“
„Und warum hast du ihm dann nicht gesagt, was dir stattdessen durch den Kopf ging?“
„Weil ich mir in Wirklichkeit Gedanken darüber gemacht habe, dass die Renleks solche doofen Hosen tragen, dass es aussieht, als hätten sie Ärsche wie Wagenräder. Ich würde daher sagen, ich habe mit meinem Schweigen das kleinere Übel gewählt. Meinst du nicht auch?“ Er sah sie herausfordernd an. Eine Antwort bekam er aber nicht, da Refizul stehen geblieben war und eine Tür aufhielt.
„Dein gewohntes Zimmer, Akinna“, sagte er, wobei seine Augen es schafften, Freundlichkeit auszustrahlen, was dem Rest seines feuerroten Gesichts nicht gelang. Akinna bedankte sich ebenfalls herzlich und ging hinein.
Refizul setzte seinen Weg bereits fort, doch als Dantra ihm folgen wollte, hielt ihn Akinna am Arm zurück und ermahnte ihn: „Dann wähle heute Nacht auch das kleinere Übel und bleib auf deinem Zimmer. Egal, was passiert!“ Sie ließ von ihm ab und verschwand hinter der ins Schloss fallenden Tür.
Zwei Ecken und einige Türen weiter blieb Refizul erneut stehen. Er öffnete einen Raum, ließ Dantra mit einer höflichen Geste den Vortritt und erklärte ihm anschließend die Begebenheiten. „Hinter der Tür zu meiner Linken befinden sich die Wasch- und Notdurftverrichtungsmöglichkeiten. Die Tür gegenüber bietet eine zweite Möglichkeit, den Raum zu verlassen. Davon sollte man aber, wenn es sich vermeiden lässt, absehen. Denn es ist ein sehr großes Haus, in dem man sich schnell verirren kann.“ Refizul schaffte es, die mahnenden Worte im Gegensatz zu Akinna feinfühlig zu verpacken. „So, und nun wünsche ich dir eine angenehm ruhige Nacht.“ Er verließ das Zimmer, noch bevor Dantra reagierte und ihm ebenfalls eine gute Nacht wünschen konnte. Aber die Bewunderung für das, was er gerade betrachtete, hatte ihn völlig in Besitz genommen. Seine Augen glänzten, als würde er erneut zum ersten Mal einen Süßwarenstand sehen. Das Schlafgemach war nicht nur faszinierend schön, sondern makellos königlich. Das weiße Himmelbett war zweifelsohne das Prunkstück des Raumes. Das Daunenbettzeug war überspannt von einer hell- und dunkelblau karierten Tagesdecke, deren Farbbrücken mit einem zierlichen Goldfaden abgesetzt waren. Die vier Pfosten, die den Himmel trugen, deuteten mit ihren zurückhaltenden Farben und liebevollen Formen die vier Elemente an: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Der Holzrahmen, den sie hielten, war wie der Seidenhimmel selbst dunkelblau mit kleinen goldenen Sternen darauf. Die Wände waren in einem warmen Beige gehalten, auf dem hin und wieder akkurat gezeichnete Blumenranken in einem hellen Braun von der Decke bis zum dunklen Buchenholzfußboden verliefen und dann und wann einen Bilder-, Tür- und Fensterrahmen mit einbezogen.
Ansonsten war es ein Zimmer, wie es sich für ein Adelshaus gehörte. Porträts von elegant wirkenden Vorfahren, edle Vorhänge vor den Fenstern, drei Ziertische, einer links, einer rechts vom Bett und der dritte neben einer der Türen. Dieser war flankiert von zwei Stühlen aus demselben Holz, deren Sitzpolster mit dunkelblauem Satin bezogen waren.
Es war ein Schlafgemach wie aus einem Märchen. Nur ohne böse Hexe und sinnloser Mission. Oder? Dantra verwarf seinen letzten Gedanken, da ihm eines der Worte Refizuls, das wohl doch sein Gehör gefunden hatte, in den Sinn kam: Notdurftverrichtungsmöglichkeit. Er ging durch die besagte Tür und war überwältigt von dem Einfallsreichtum. Die Waschmöglichkeit sah aus wie gewohnt, nur viel edler. Ein silberglänzender Krug, gefüllt mit klarem Wasser, neben einer in weißen Marmor eingelassenen, ebenfalls silbernen Waschschüssel. Doch die Toilette war eine Klasse für sich. Normalerweise war Dantra es gewohnt, wenn er durch das Loch hinunterschaute, neben summenden Fliegen das zu sehen, was jeder Mensch aus gutem Grund loswerden wollte. Hier war das anders. Eine Beschreibung an der Wand ließ jeden Gast die richtige Umgangsweise mit dieser zukunftsweisenden Konstruktion erlernen.
1. Ein Blatt durch das Loch auf das Holz legen, das sich zwei Handbreit tiefer befindet.
2. Notdurft verrichten.
3. Mit einer Hand den Hebel neben dem Loch nach vorn
drücken und gleichzeitig mit der anderen Wasser aus dem
Krug hinterhergießen. (Bitte nicht den silbernen Krug
nutzen, sondern den Emaillekrug auf der Erde.)
4. Immer dafür sorgen, dass der Krug anschließend wieder
mit ausreichend Wasser gefüllt ist.
Dantra folgte der Beschreibung und war entzückt, als das Holz beim Bedienen des Hebels nach unten wegkippte, sodass alles vorher dort Befindliche in die Tiefe stürzte. Nachdem er sich ausgiebig gewaschen hatte, ging er zurück in sein Schlafgemach. Nachdem er sämtliche Kerzen gelöscht hatte, kroch er unter das Bettzeug aus Seide und hatte sogleich das Gefühl, im Himmel selbst zu schlafen. Er wusste, dass es die schönste und vor allem bequemste Nacht seines Lebens werden würde.
Noch während ihm wieder ein zweifelndes „Oder?“ durch den Kopf ging, packte ihn etwas am Fuß, zog diesen blitzschnell unter der Decke hervor und biss hinein. Dantra schrie auf und versuchte, den unsichtbaren Angreifer mit seinem anderen Fuß wegzutreten. Doch er hatte bereits von ihm abgelassen und der Tritt ging ins Leere. Ein hinterhältiges, aber bekanntes Lachen war irgendwo in der Dunkelheit zu vernehmen. Dann öffnete sich die Tür, deren Benutzung Dantra meiden sollte, und im von draußen hereinfallenden Licht war Malus zu erkennen, wieder breit grinsend und mit seiner Schleuder im Anschlag. Dantra konnte sich gerade noch rechtzeitig wegdrehen, um nicht dem heranschnellenden Stein mit seinem Gesicht zu begegnen. Als er wieder aufsah, war die Tür bereits beinahe wieder geschlossen und Malus verschwunden. Dantra sprang auf, und noch bevor die Tür endgültig ins Schloss gefallen war, hatte er sie hinter sich gelassen und setzte nun dem Übeltäter nach.
Jedes Mal, wenn Malus um eine Ecke bog, wartete er anschließend so lange an der nächsten, bis Dantra ihn wieder sehen konnte. So rannten sie einige Zeit die Gänge entlang und hechteten dabei Treppen hoch oder runter. Als Dantra zum wiederholten Male um eine Ecke bog, war von Malus nichts mehr zu sehen. Jedoch hatte er kurz zuvor eine Tür zuschlagen hören. Langsam und schwer atmend ging er den Flur entlang. Hinter irgendeiner dieser Türen musste er sich verstecken. An manchem Durchlass hielt Dantra inne und lauschte. Neben seinen eigenen tiefen Atemzügen hoffte er, das Keuchen von Malus wahrnehmen zu können. Da! An der vierten Tür auf der linken Seite konnte er ein ganz leises Schnaufen vernehmen. Er legte seine Hand auf die goldfarbene Türklinke.
„Öffne keine Türen!“, hörte er Akinnas Stimme in seinem Kopf, als würde sie neben ihm stehen. „Er schleicht sich in mein Zimmer, während ich auf der Toilette bin. Er jagt mir einen Höllenschrecken ein und beschießt mich mit seiner Schleuder. Auch wenn er nur ein verwöhntes Balg ist, was vor lauter Langeweile nicht weiß, wie es sich friedlich beschäftigen soll, was zu viel ist, ist zu viel!“
Nach der Entschuldigungsrede an sich selbst drückte er langsam und möglichst geräuschlos die Klinke hinunter. Durch den entstandenen Spalt blickte er in das Zimmer. Es war nicht ganz so schön eingerichtet wie seins. Es sah eher verwohnt aus. Von Malus war allerdings nichts zu sehen. Er schob die Tür noch etwas weiter auf. An einem Tisch stand ein kleiner Mann, dessen vollbehaarter Rücken zum Buckel geformt war. Die Tür gab ein leises, kaum wahrnehmbares Knarren von sich. Der Mann drehte ruckartig seinen Kopf zur Tür und blickte Dantra aus dunklen Augen an, die tief in seinem kantigen Schädel saßen. Stumm wandte er sich wieder um und ging eilig rückwärts auf Dantra zu. Im gleichen Moment entzündete sich sein Buckel. Lodernde Flammen tauchten das ansonsten nur leicht erhellte Zimmer in ein flackerndes Licht. Geistesgegenwärtig zog Dantra die Tür von außen zu und ging seinerseits rückwärts, bis ihn die Wand gegenüber stoppte. Sein Herz raste.
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