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Drachengabe
Diesig
Torsten W. Burisch
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
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Taschenbuchauflage 2017
Titelbild und Illustrationen: Torsten W. Burisch
Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM
Lektorat: Melanie Wittmann
ISBN: Taschenbuch 978-3-86196-680-7
ISBN: E-Book 978-3-96074-289-0
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Inhalt
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Diesig, kalt und grau. Es ist in jeder Hinsicht ein schäbiger Morgen. Denn es ist der Beginn der Verzweiflung.
„Lasst sie, bitte, lasst sie! Sie haben doch nichts Unrechtes getan!“ Ihr weinerliches Flehen lässt keine Gnade keimen. Geblendet von Angst und Hass, die durch Habgier und Neid geschürt wurden, geht es unwillkürlich weiter. „Sie sind unschuldig! Nehmt mich! Ich bin es doch, die ihr fürchtet! Die, die ihr brennen sehen wollt!“ Im Weinerlichen wächst der Zorn, die Wut.
„Ist gut, mein Kind. Unsere Zeit ist gekommen. In dieser Welt haben wir nun ausgedient. Du aber sei stark. Geh deinen Weg. Leb dein Leben.“
Die strammen Fesseln schnüren das Blut ab. Sie halten den Körper erbarmungslos aufrecht, starr und ohne etwaige Möglichkeiten zur Flucht.
„Nein, nein! Ich will das nicht! So tut doch was! Ihr verdammten Mörder! Tut doch was!!“ Die Schreie sind so laut wie die Hilflosigkeit. Doch die unzähligen Augen bleiben stumm.
„Angeklagt und verurteilt wegen Hexerei.“ Klar, laut und entschlossen zerreißt die dunkle Stimme die feige Stille. „Wegen der Aufzucht eines Dämonenkindes werden die hier stehenden Eheleute Culix Trebla und Mira Trebla sowie ihr verfluchtes Balg gerichtet durch das Feuer! Sind sie vor Gottes Augen unschuldig, so werden sie den Flammen entsteigen und es wird ihnen Gnade zuteil! Bringt die Fackeln!“
„Nein, hört mich an! Ich bin kein Dämon! Ich bin ein ...“
„Lass es gut sein, mein Schatz.“ Die ruhige Stimme soll Trost spenden, doch lässt sie nur das Mitleid ins Unermessliche wachsen.
„Aber, Vater, sollen sie es doch wissen! Sie begehen einen Fehler. Warum darf ich es ihnen denn nicht sagen?“
„Sie werden es nicht verstehen. Sie werden es nicht glauben. Sie werden eine Möglichkeit suchen und finden, dich zu quälen und zu töten. Aber in Kürze, wenn deine Fesseln den Flammen nachgeben, werden sie vor Furcht erstarren und du, mein Schatz, kannst fliehen. Dann bist du frei.“
„Und nur das ist es, worauf es ankommt. Dass du lebst!“
„Aber, Mama, Papa, wo soll ich denn hin? Ich will nicht ohne euch sein! Ich will nicht ohne euch leben!“
Das knisternde Geräusch, wenn trockenes Holz Feuer fängt, kündigt das Unabdingbare an. Der aufsteigende Rauch schnürt die Lunge zu und die aufkommende Hitze lässt die herannahenden Qualen erahnen.
„Mögen alle Einhörner Umbrarus’ dich beschützen. Und denke immer daran, wir lieben dich!“
Der Schmerz lässt keine weiteren Worte zu. Unterdrückte Schreie, brennendes Fleisch, das Schwarz des Rauches. Und Tränen. Der Mensch in ihr weint. Nach außen, nach innen. Glückseligkeit, Freude, Liebe ‒ verbrannt auf dem Scheiterhaufen.
Das Augenpaar ‒ das schon so oft gesehene Augenpaar ‒ ließ sie endlich erwachen. Es war ein Traum. Und zwar einer, den sie sehr gut kannte, obwohl er doch nur noch selten ihr nächtlicher Begleiter war. So war Akinna kurz irritiert, dass der von ihr so verhasste Traum sie wieder einmal heimgesucht hatte. Dantra wollte am Vorabend etwas über ihre Eltern erfahren. Und auch wenn sie ihn auf den heutigen Tag vertröstet hatte, so hatten ihre Gedanken noch am gleichen Abend die Vergangenheit erneut aufleben lassen.
Und Mac! Sein Tod lag gerade einmal drei Tage zurück. Drei Tage, seit sie ihn sterben gesehen hatte. Ermordet für sie. „Genau wie meine Eltern“, dachte sie. „Gestorben, damit ich leben kann.“ Sie setzte sich auf und sagte zweifelnd: „Bin ich das überhaupt wert?“
„Wie bitte?“
Akinna streifte sich ihren Umhang ab, der sie gerade noch warm umhüllt hatte. Dantra stand vor ihr und sah mit besorgtem Blick auf sie hinunter.
„Wieso bist du schon wach?“, hinterfragte Akinna sein viel zu frühes Erscheinen.
„Die Frage ist doch eher, wieso hast du heute so lange geschlafen? Oder anders: Wieso hast du überhaupt geschlafen?“
„Das muss wohl damit zusammenhängen, dass ich schon so lange in Begleitung eines Menschen unterwegs bin.“ Das war zwar nicht der wirkliche Grund, dessen war sich Akinna wohl bewusst, aber Schwäche zeigen entsprach nicht ihrem Charakter.
„Ach so“, gab Dantra spöttisch zurück. „Und wenn Mac nichts zugestoßen wäre, dann hättest du in ein paar Tagen angefangen, für uns zu kochen?“
„Sehr lustig“, murmelte Akinna.
„Hier, ich habe die Zeit, die du verschlafen hast, genutzt und draußen einige dieser herrlich duftenden Beeren gepflückt. Möchtest du ein paar?“ Kauend hielt Dantra ihr eine kleine Holzschüssel hin.
„Nein, danke. Der besagte Duft lockt Füchse an.“
„Seit wann fressen Füchse Beeren?“
„Sie fressen sie nicht. Sie markieren mit Vorliebe an ihnen ihr Revier.“
Dantra brauchte nicht lange, um zu verstehen, was Akinna ihm damit sagen wollte. Würgend spuckte er die Beeren wieder aus. „Bäh, das ist ja widerlich.“
Als Akinna die Nachtunterkunft verließ, begrüßte sie ein schöner Morgen. Die Sonne hatte bereits die ersten niedrigen Gipfel der Tronausleger des Teutogebirgszugs erklommen und der Wind zog angenehm warm von Culter herunter. Nur ein paar dünne Schleierwolken verzierten den ansonsten tiefblauen Himmel.
Dantra hatte sich ein paar neue Beeren gesucht, die sich farblich und vor allem vom Duft her von den ersten stark unterschieden. Dennoch holte er sich erst die Bestätigung von Akinna, dass sie genießbar waren und nicht von Tieren als Grenzmarkierung benutzt wurden, bevor er sie aß.
Kurz drauf packten sie ihre Sachen zusammen und gingen, ohne einen weiteren Blick auf das verfallene Haus, in dessen Keller sie letzte Nacht einen sicheren Unterschlupf gefunden hatten, zu werfen. Sie marschierten eine kleine Anhöhe querfeldein hinunter. In dem anschließenden lang gezogenen Tal lag der Fons-Dron-Kanal wie an einer Schnur gezogen und floss ruhig vor sich hin. In der Ferne nutzten einige Schiffe die Strömung oder den Wind für die andere Richtung.
Akinna und Dantra steuerten auf einen kleinen Bootsanleger zu, zu dem ein zweiter am gegenüberliegenden Ufer gehörte. Doch die Fähre, für die sie gebaut worden waren, war nicht zu sehen. Stattdessen hatte ein Frachtschiff, ausgestattet mit zwei Masten, dort angelegt. Als Dantra kurz vor ihrem Aufbruch Akinna gefragt hatte, wie das Schiff aussähe, mit dem sie weiterreisten, fiel die Beschreibung kurz, aber präzise aus.
„Es hat den Anschein, als hätte man das Falkenfängergehöft schwimmfähig gemacht.“ Das bezog sich natürlich nicht auf die Gebäude, aber auch bei dem Schiff waren angespitzte Pfosten als Palisade ringsherum angebracht. Wobei jeder zweite etwas nach oben abgewinkelt war und der jeweils andere im selben Winkel nach unten stand. Auf dem Schiff selbst war am Heck eine kleine Erhöhung angebracht, für eine bessere Übersicht beim Steuern. Ansonsten schien der überwiegende Teil des Frachters seiner Bestimmung zu gehören. Er war beladen mit einigen Fässern und unzähligen Kisten. Was dem aufmerksamen Betrachter zudem auffiel, waren die kleinen Holzkonstruktionen, die bis auf die Schießscharten ringsum verschlossen waren. Es waren auf jeder Seite des Schiffes drei angebracht und zusätzlich noch eine vorne am Bug. Was auf Dantra anfangs etwas irritierend wirkte, war die Höhe der Abwehrstellungen. Sie waren so niedrig gebaut, dass kein erwachsener Mann darin stehen konnte. Es musste äußerst schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein, einen Pfeil von dort abzuschießen.
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