Das heutige Tagwerk befand sich zwischen Taotsu und Saiwa. Dort hatte der Direktor gleich dreimal sein rotes Fuchszeichen auf die Karte gepinselt, da der Fuchs dort anscheinend gleich dreimal nistete. Es war nicht mehr weit zu dem namenlosen Ort zwischen Taotsu und Saiwa. Shimamura holte tief Luft, kniff das Gesäß zusammen, um seinen Kreislauf zu stabilisieren, und machte sich wieder auf den Weg.
Halbnackte Kinder, die überall aus dem Unterholz hervorkamen, gaben ihnen das Geleit. Viele trugen kleine Geschwister auf dem Rücken, die dort schliefen, sabberten oder an ihren Fäusten kauten. Wahrscheinlich litten sie alle an Mangelkrankheiten. Blickte Shimamura in ihre Richtung, stoben sie wie ein Fischschwarm auseinander. Vor dem Studenten hatten sie keinen Respekt, sie schlichen sich an und zupften an ihm und bald schienen die ersten an ihm festzuwachsen wie Napfmuscheln an einem Boot. Der Student schnitt ihnen Grimassen. Er sah aus wie ihr großer Bruder, wenn er dieses fadenscheinige Kittelchen trug. Auch hatte er sich einen alten Lappen als Sonnenschutz um den Kopf geknotet, der jeder Hygiene spottete. Bei all seiner Lästigkeit war der Student aber doch ein guter Junge. Shimamura nahm sich vor, ihn ein wenig mehr zu beachten und ihm vielleicht auch dieses oder jenes über die Medizin beizubringen, wenn er ihn schon in seiner Obhut hatte.
Sie erreichten Taotsu, durchquerten es in fünf Minuten und standen wieder in der weglosen, nutzlosen Hitze. Zu den Kindern hatten sich die Exorzisten gesellt; es war täglich dasselbe Spiel. Auch die Exorzisten mieden Shimamura und klammerten stattdessen am Studenten. Es waren schon derer vier, ein hinkender Mönch, ein Weiblein mit Zauberfahnen und zwei Gefäße.
»Zwei Gefäße haben sich soeben zu uns gesellt, Herr Doktor!«, vermeldete der Student mit kaum verhohlener Begeisterung.
Der Student wusste genau, wie sehr es Shimamura vor den sogenannten Gefäßen ekelte. Shimamura ekelte sich nicht leicht. Er war schließlich Arzt. Gerade gestern hatte er lange besinnlich an den Hautläsionen eines Leprakranken gekratzt, nur um sich über die ewigen Fuchsweiber hinwegzutrösten. Doch die Gefäße ekelten ihn schrecklich. Er drehte sich um und schrie. Er schrie die Kinder an und die Exorzisten. Er drohte mit Schlägen, mit der Polizei, mit Spritzen; es kam alles recht sinnlos heraus. Kinder und Exorzisten liefen dramatisch davon, nur um dann umgehend leise zurückzukommen. So ging das jeden Tag. Schon linste das erste Gefäß wieder hinter dem Studenten hervor. »Trollt euch!«, brüllte Shimamura. Trotz der Hitze schauderte ihn.
Die sogenannten Gefäße waren die elendesten Nutznießer des Fuchswahns. Sie unter die Exorzisten zu fassen beleidigte strenggenommen den Exorzistenstand. Der Krankenhausdirektor aus Matsue hatte Shimamura das alles genau erklärt. Jeden Sommer pilgerte der verzweifelte Abschaum nach Shimane, um sich als Fuchsgefäße anzubieten. Als Fuchsherbergen. Als Fuchsasyle. Das Wort war mehrdeutig und in allen Bedeutungen ekelhaft. Die Kurzform Gefäße ekelte Shimamura am meisten. Wer als Gefäß nach Shimane kam, trug einen Strick um den Hals. Wie ein Hund. Oder ein Esel. Der Strick sagte: Nimm mich, ich bin dein Opfer. Wie ekelte es Dr. Shimamura vor den Gefäßen! Wenn der Fuchsgeist aus einer Fuchskranken ausfuhr, hatte er gelernt, war dafür Sorge zu tragen, dass er gleich einen fand, um wieder hineinzufahren, damit er nicht unbehaust flottierte: Dafür gab es Gefäße. Sie hielten weichen Tofu im offenen Mund, um den Fuchs damit anzulocken, und der Fuchs fiel darauf herein, kam schnuppern und lecken und wurde verschluckt. Der Krankenhausdirektor hatte Shimamura den Fuchstransfer, der stets mit viel Geschrei und Verrenken einherging, in allen Einzelheiten geschildert. Auch wie es dem Gefäß, der Herberge, dem Asyl fortan erging. Der Direktor des Krankenhauses von Matsue hatte sich über den Widerwillen des Tokyoter Besserwissers genauso gefreut wie dessen Student. Sobald der Fuchs in ihm saß, verfiel das Fuchsgefäß dem Wahnsinn, einem kleinen, wimmernden, langdauernden Wahnsinn, und starb dann sehr langsam, wobei es einen charakteristischen Geruch absonderte. Wir haben zufällig gerade ein Fuchsgefäß im Hinterhof liegen, Herr Kollege. Möchten Sie es nicht einmal ansehen? Über der Leiche des Gefäßes, in welcher der Fuchsgeist nun sicher – oder vielleicht auch unsicher – eingeschlossen war, betete man ein bestimmtes Gebet und warf sie dann flugs auf einen Scheiterhaufen, wo man Unkraut verbrannte, oder ins Meer, oder in einen Fluss, oder irgendwo in die Gegend, in die Nähe eines Trinkwasserbrunnens. (Letzteres hatte sich Dr. Shimamura ausgedacht. Auch die Idee, dass besonders starke Gefäße mehrere Füchse aufnahmen und sich dann aufblähten und schließlich platzten, war auf seinem eigenen Mist gewachsen. Er träumte schon von den Gefäßen, in immer neuen Einzelheiten. So sehr ekelte ihn.)
Die beiden heutigen Gefäße, stellte Shimamura fest, ein Weiblein und ein Männlein, hatten heimlich die Stricke von ihren Hälsen gelöst, damit der Mann im Strohhut ihr Amt nicht erriet. Jetzt spazierten sie scheinheilig neben dem Mönch einher. Selbst die Gefäße selbst wussten schon um Dr. Shimamuras Abscheu und tratzten ihn.
Shimamura merkte, dass er nach Steinen schaute, die man werfen könnte.
»Da vorne!«, jubelte der Student und klopfte triumphierend die Asche aus seiner Pfeife.
Die drei roten Fuchszeichen auf der Landkarte waren in natura leicht auszumachen: Um zwei geduckte Hütten, die auch Ställe hätten sein können, standen, lungerten, saßen, lagen in einem ganzen Wald von Zauberfahnen gut ein Dutzend Gefäße!
»Darf ich ein Lichtbild aufnehmen, bitte, Herr Doktor, bitte sehr?«, rief der Student.
Shimamura kämpfte Magensaft hinunter, der angesichts der Gefäßversammlung in seinen Rachen aufgestiegen war.
»Nein, danke, Herr Student«, sagte Dr. Shimamura, »denn wie ich Ihnen schon einmal auseinandergesetzt habe, betreiben wir hier nicht die Völkerkunde, sondern sind in der Medizin unterwegs.«
Die drei Fuchszeichen des Krankenhausdirektors von Matsue stellten sich als eine Epileptikerin heraus, welche glücklicherweise gleich in den ersten fünf Minuten einen perfekten Jackson-Anfall vorlegte, deren simulierende Schwester sowie eine idiotische Nachbarin, an der außer Idiotie nichts weiter festzustellen war. Der Student durfte die Epileptikerin fotografieren, was ihn nicht befriedigte, weil es in der stinkenden Hütte zu dunkel und außerdem der Anfall längst vorbei war. Die Simulantin und die Idiotin fotografierte er dann ebenfalls, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Er schob beide flugs in die Sonne und ließ sie vor den Zauberfahnen posieren, während Shimamura noch mühsam eine Anamnese der Jackson-Patientin aus deren jämmerlicher Mutter herauszuleiern versuchte.
Wie immer war nichts Spezifisches an den sogenannten Besessenen auszumachen. Wie immer konnte Shimamura dem Gegreine der Landbevölkerung auch gar nicht folgen. Wie immer schrien die Fuchskranken Zeter und Mordio, sobald Shimamura sie untersuchen wollte, und warfen sich dann laut heulend und ohne jede Zurückhaltung an die Brust des Studenten.
Neben der Lichtbildnerei war dies das Steckenpferd des Studenten geworden. Die Abdrücke dreckiger, tränennasser Mädchengesichter auf seiner Brust trug er wie Ehrenschärpen. Vielleicht hatte vor vierhundert Jahren irgendeiner seiner verdammten Ahnen per Handauflegen die niedersten Lehnsleute geheilt, und davon war etwas im Erbgut des Jünglings hängen geblieben. Er flüsterte auch mit allen Kranken und ihren Verwandten, gewiss nichts Modernes. Das arme Ding mit dem Ovarialabszess hatte der Student in seine Hand spucken lassen und die Spucke dann mit großer Ernsthaftigkeit ins Freie getragen; das hatte Shimamura genau gesehen. Shimamura hatte nicht gefragt, was das sollte. Er war zu verblüfft gewesen, um dem Studenten sein irres Tun zu verbieten. Dann hatte er drei Nächte lang darüber nachgegrübelt, ob der Student wohl im Freien ein dort lauerndes Fuchsgefäß bezahlt hatte, um diesem die Spucke der Abszesskranken füttern zu dürfen. Der Student exorzierte hier stillvergnügt Füchse. Daran bestand kein Zweifel. Shimamura wollte es aber auch gar nicht wissen. In der dunklen Hütte zwischen Taotsu und Saiwa, in der niemand den Urin fortwischte, den die Epileptikerin reichlich ausgeschieden hatte, und in der stattdessen alle Welt betete, stellte Shimamura fest, dass er sich nun vor allem ekelte: vor allen Krankheiten, vor allen Menschen, vor Medizin und Aberglaube, vor Füchsen und selbst vor Dr. Griesingers Pathologie.
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