»Lustig«, bemerkte Eugenio nach ein paar Minuten.
»Ja, wirklich.«
Sie brauchten für eine einzige Meile fast eine halbe Stunde, endlich passierten sie die Baustelle, und danach war der Weg zum Haus des Anwalts frei. Jack war versucht, aufs Gas zu treten, um die verlorene Zeit zumindest teilweise aufzuholen, widerstand aber. Vilma hatte ihn immer ermahnt, vorsichtig zu fahren. Er hielt sich daran.
»Wir machen noch den Boden fertig«, sagte er zu Eugenio.
»Okay.«
»Dafür werden wir eine Weile brauchen. Wenn wir dann noch Zeit haben, fangen wir mit –«
Im Rückspiegel blitzte Licht auf, Jack brach ab. Ein schwarzer Wagen hatte sich hinter sie gesetzt, flackernd leuchtete rot-blaues Warnlicht auf.
Auch Eugenio hatte das Licht bemerkt, und Jack spürte seine Anspannung. Jack fuhr langsamer, hielt auf dem Seitenstreifen vor einem Supermarkt und stellte den Motor ab.
Er beugte sich vor und öffnete das Handschuhfach, wo in einer kleinen schwarzen Kladde die Autopapiere und seine Versicherungskarte lagen. Als er sich aufrichtete, sah er zwei Männer aus dem anderen Wagen steigen. Sie kamen auf ihn zu und stellten sich links und rechts neben den Truck. Keiner der beiden trug Uniform.
Der Mann auf der Fahrerseite klopfte an die Scheibe und zeigte eine Dienstmarke, die Jack nicht erkannte. Er ließ das Fenster herunter. »Ich glaube nicht, dass ich zu schnell gefahren bin«, sagte er.
»Nein, sind Sie nicht«, sagte der Mann. »Mein Name ist Jesse Dreier. Ich arbeite für die Einwanderungs- und Zollbehörde. Das ist mein Kollege. Würden Sie mir bitte sagen, wo Sie hinwollen?«
Jack war versucht, den Kopf zu drehen und Eugenio anzusehen, tat es aber nicht. Er hielt die schwarze Kladde noch immer in der Hand. »Ich bin Handwerker. Ich fahre gerade zu einer Baustelle.«
»Der Mann neben Ihnen ist Ihr Angestellter?«
»Genau.«
»Würden Sie bitte aussteigen, Sir?«
Er gehorchte, aus dem Augenwinkel bekam er mit, dass der andere Mann die Beifahrertür öffnete und Eugenio auf Spanisch anwies, ebenfalls auszusteigen. Jack bemerkte, dass Dreier eine Waffe am Gürtel trug und dass das, was ihn so kräftig wirken ließ, eine schusssichere Weste war.
»Gehen wir da rüber«, sagte Dreier und deutete auf seinen Wagen. Das Warnlicht war immer noch an. Jack wandte Eugenio jetzt den Rücken zu und konnte nicht hören, was gesagt wurde.
Dreier sah ihn an. »Wie lange ist dieser Mann schon bei Ihnen angestellt?«
»Seit ein paar Tagen.«
»Sie stellen ihn als Tagelöhner ein?«
»Genau.«
»Haben Sie sich seine Papiere zeigen lassen? Die Arbeitserlaubnis? Irgendwas in der Art?«
»Er sagt, er hat eine Green Card.«
»Haben Sie sie gesehen?«
»Na ja, nein. Ich hab nicht danach gefragt.«
»Er ist also kein amerikanischer Staatsbürger«, sagte Dreier.
»Nein. Er sagt, er kommt aus Anáhuac.«
»Gut. Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen, Sir?«
Jack zog seine Brieftasche hervor und zeigte dem Mann seinen Führerschein. Dreier zog ihn aus der Plastikhülle, gab Jack die Brieftasche zurück und stieg in seinen Wagen. Jack sah ihn zum Handy greifen.
Er warf einen Blick hinüber zu Eugenio, halb erwartete er, ihn in Handschellen am Boden liegen zu sehen, Dreiers Kollege auf seinem Rücken. Doch die beiden redeten nur. Dreiers Kollege drehte eine Karte in den Händen hin und her.
Dreier stieg wieder aus dem Wagen und gab Jack den Führerschein zurück. »Danke für Ihre Mithilfe, Mr. Searle.«
»Wird es irgendwie Ärger geben?«, fragte Jack.
Dreier sah ihn ausdruckslos an. »Nein, keinen Ärger. Wir müssen nur was klären.«
»Ich frage bloß.«
Dreiers Kollege gab ein Zeichen mit der Hand. Dreier winkte zurück. »Mr. Searle«, sagte er, »ich muss Sie bitten, uns aufs Polizeirevier zu folgen. Ihr Angestellter wird bei uns mitfahren.«
»Ich weiß nicht mal, wo das Revier ist.«
»Wir zeigen Ihnen den Weg.«
Sie ließen ihn auf einem Plastikstuhl Platz nehmen, der mit anderen zu einer langen Reihe zusammengeschraubt war. Jacks Cola wurde allmählich schal, er nippte nur noch daran, weil er nichts Besseres zu tun hatte. Polizisten kamen und gingen und schenkten ihm keine Beachtung. Dreier und seinen Kollegen sah er über eine Stunde lang nicht. Er fragte sich, ob Leeks Haushälterin auf sie wartete, ob er anrufen sollte.
Eugenio bekam er nicht mehr zu Gesicht. Sie hatten ihm Handschellen angelegt und ihn in den Polizeiwagen gesetzt, beim Aussteigen war er Jacks Blick ausgewichen. Jack war nichts Tröstliches eingefallen. Als man Eugenio wegbrachte, stand er stumm daneben.
Nach langem Warten sah er Dreier mit zwei Polizisten in Uniform und seinem Kollegen hinter einer Glaswand stehen. Als der Kollege herüberschaute, senkte Jack reflexartig den Blick. Er trug keine Handschellen, kam sich aber so vor.
Schließlich ertönte ein elektrisches Summen, dann tauchte Dreier mit einigen ausgedruckten Seiten in der Hand auf. »Bitte kommen Sie mit, Mr. Searle.«
Am Ende eines scheinbar endlos langen Korridors bogen sie links ab und kamen an ein paar identisch aussehenden geschlossenen Türen mit Nummern vorbei. Dreier schloss eine auf und bat Jack herein. In dem winzigen Zimmer standen ein kleiner Tisch und drei Stühle. An der Decke war eine Kamera mit einer rot leuchtenden Lampe befestigt.
»Nehmen Sie Platz.«
Jack setzte sich.
»Bevor Sie fragen«, sagte Dreier, »Sie stehen nicht unter Arrest. Sie haben keine Anzeige zu erwarten. Sie können jederzeit gehen. Sie müssen nicht mal mit mir reden.«
»Schon gut«, sagte Jack.
»Okay.« Dreier setzte sich. Er legte die Seiten mit der Schrift nach unten auf den Tisch. »Nur damit Sie wissen, wo Sie stehen.«
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Jack.
»Unter welchem Namen kennen Sie den Mann, den Sie angestellt haben?«
»Eugenio.«
»Kein Nachname?«
»Nein, hab ich nie nach gefragt.«
»Und er hat gesagt, er käme aus Anáhuac in Mexiko.«
»Genau.«
»Stellen Sie oft Männer vom Home-Depot-Parkplatz ein?«
»Ab und zu. Ich bekomme alle möglichen Aufträge und kann es mir nicht leisten, Leute zu bezahlen, wenn es keine Arbeit gibt. Es ist einfacher, sie bei Bedarf zu holen.«
»Was zahlen Sie ihnen?«
»Acht Dollar die Stunde plus Mittagessen.«
Dreier zog eine Augenbraue hoch. »Nicht viele Handwerker zahlen Tagelöhnern heutzutage den Mindestlohn.«
»Ich zahle, was ich für fair halte.«
»Sicher, ich verstehe. Und Sie kümmern sich nicht um Steuern und solche Sachen.«
»Hören Sie, ich –«
Dreier hob die Hand. »Ich meine bloß, Mr. Searle. Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen. Sie sind nicht der Erste, der sich den Papierkram spart, und Sie werden nicht der Letzte sein. Wir unterhalten uns bloß.«
»Ich erwarte nur ehrliche Arbeit für ehrlichen Lohn«, sagte Jack.
»Das verstehe ich. Wie viele Männer haben Sie von dem Parkplatz da geholt, sagen wir mal, im letzten Jahr?«
»Fünf oder sechs.«
»Können Sie sich an Namen erinnern?«
»Nicht wirklich.«
»Würden Sie sie auf Fotos erkennen?«
»Vielleicht. Das also wollen Sie von mir?«
»Später.« Dreier legte die Fingerspitzen aneinander. »Wissen Sie, wir gehen davon aus, dass neun von zehn Männern auf dem Parkplatz illegal hier sind. Wir könnten sie jeden Tag abgreifen. Wie wir es heute Morgen gemacht haben. Und wissen Sie was? Morgen ist der Parkplatz dann voll mit lauter neuen Gesichtern.«
»Wenn ich aufhören soll, Tagelöhner einzustellen, tue ich das«, sagte Jack.
»Das meine ich gar nicht. Sie sollten sich nur bewusst sein, dass Sie gegen das Gesetz verstoßen. Es gibt jede Menge legale Arbeiter, die Sie einstellen könnten. Auch jede Menge Mexikaner, wenn die Ihnen lieber sind.«
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