MICHAEL DONKOR
ROMAN
AUS DEM ENGLISCHEN VON
MARIEKE HEIMBURGER
UND PATRICIA KLOBUSICZKY
Die Originalausgabe des vorliegenden
Buches erschien unter dem Titel
Hold bei 4th Estate (Harper Collins),
London 2018
Copyright © Michael Donkor, 2018
Eine kleine Liste von Wörtern und
Wendungen auf Twi finden Sie am
Schluss des Buches
Edition Nautilus GmbH
Schützenstraße 49 a
D - 22761 Hamburg
www.edition-nautilus.de
Alle Rechte vorbehalten
© für die deutsche Ausgabe:
Edition Nautilus GmbH 2019
Deutsche Erstausgabe:
September 2019
Umschlaggestaltung:
Maja Bechert, Hamburg
www.majabechert.de
ePub ISBN 978-3-96054-199-8
Für Patrick Netherton und Grace Opoku
Dezember 2002 Dezember 2002 Der Sarg glich einem schönen Stück Hochzeitstorte. Silber- und pinkfarbene Schnörkel wanden sich wie Schönschrift um die Kiste, die jetzt neben der aufgeschlitzten Erde stand, in die die Männer sie hinabsenken würden. Schnalzend bewunderten die Trauergäste den Sarg. Belinda musste sich zwingen, hinzusehen. Ihr Handy vibrierte in der Handtasche, aber Belinda ließ es rumpeln. Sie stellte die Füße dicht nebeneinander, richtete ihr Kopftuch und strich ihr Kleid glatt, damit es sich um die Brust herum nicht so bauschte. Sie wischte sich über das geschwollene Gesicht und sah dann, dass der Eyeliner schwarze Striemen auf ihrer Handfläche hinterlassen hatte. Noch während Belinda ihre schmutzigen Hände betrachtete, rief einer der jungen Sargträger auf der anderen Seite des Grabes ein Kommando. Er und die anderen streiften die Tücher ab, die ihre Oberkörper bedeckt hatten, wirbelten damit durch die Luft und baten dann um Hämmer. Drei kleine Jungs um die sechs, sieben Jahre flitzten mit Werkzeug herbei, das schwerer war als ihre eigenen kleinen Glieder. Die Kinder eilten wieder davon, die Hände voll mit süßen chin chins , und fielen dabei fast in das Loch, das nicht ihnen zugedacht war, lachten aber nur vergnügt darüber, wie knapp sie einem Unfall entgangen waren. Belinda überlegte, ob sie damals in ihrem Alter jemals so gelacht hatte. Die Männer machten sich daran, die Griffe vom Sarg zu schlagen, jeder wollte ein Stück dieser glänzenden Deko, die ihnen auf dem Markt gutes Geld einbringen würde. Belinda wusste, dass es bei jeder Beerdigung so zuging, und dass das Hämmern und Demontieren nicht schlimmer war als alles, was sie in den letzten Stunden gesehen hatte – aber je länger das Hämmern der Männer gegen die Beschläge anhielt, desto mehr pochte es in Belindas Schädel. Ihr Kinn schob sich nach vorn, als würde daran gezogen, und ihr ganzer Körper verkrampfte sich. Belinda bohrte den Absatz ihres Pumps in die rote Erde, passend zum Blut, das durch ihre Adern rauschte. Als der Sarg aller Metallteile beraubt war, überzogen ihn viele tiefe schwarze Furchen. Jemand schubste Belinda, damit sie weiterging. Sie blieb stehen, wo sie war. Die Sargträger stolzierten herum und fassten sich an ihre Muskeln. Jemand forderte die Trauergäste auf, zu jubeln. Einige der älteren Trauernden jammerten etwas von Teilen, Verwandten und Fairness. »Schwester!«, sagte ein Mann aufgeregt und hielt Belinda einen Messingknauf hin. Sie ließ ihn zu Boden fallen, wo er zu ihren Füßen rollte. Er reichte ihr nicht.
FRÜHLING FRÜHLING
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
SOMMER
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
HERBST
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
WINTER
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Wörter und Wendungen auf Twi
Dank des Autors
Der Sarg glich einem schönen Stück Hochzeitstorte. Silber- und pinkfarbene Schnörkel wanden sich wie Schönschrift um die Kiste, die jetzt neben der aufgeschlitzten Erde stand, in die die Männer sie hinabsenken würden. Schnalzend bewunderten die Trauergäste den Sarg. Belinda musste sich zwingen, hinzusehen. Ihr Handy vibrierte in der Handtasche, aber Belinda ließ es rumpeln. Sie stellte die Füße dicht nebeneinander, richtete ihr Kopftuch und strich ihr Kleid glatt, damit es sich um die Brust herum nicht so bauschte. Sie wischte sich über das geschwollene Gesicht und sah dann, dass der Eyeliner schwarze Striemen auf ihrer Handfläche hinterlassen hatte.
Noch während Belinda ihre schmutzigen Hände betrachtete, rief einer der jungen Sargträger auf der anderen Seite des Grabes ein Kommando. Er und die anderen streiften die Tücher ab, die ihre Oberkörper bedeckt hatten, wirbelten damit durch die Luft und baten dann um Hämmer. Drei kleine Jungs um die sechs, sieben Jahre flitzten mit Werkzeug herbei, das schwerer war als ihre eigenen kleinen Glieder. Die Kinder eilten wieder davon, die Hände voll mit süßen chin chins , und fielen dabei fast in das Loch, das nicht ihnen zugedacht war, lachten aber nur vergnügt darüber, wie knapp sie einem Unfall entgangen waren. Belinda überlegte, ob sie damals in ihrem Alter jemals so gelacht hatte.
Die Männer machten sich daran, die Griffe vom Sarg zu schlagen, jeder wollte ein Stück dieser glänzenden Deko, die ihnen auf dem Markt gutes Geld einbringen würde. Belinda wusste, dass es bei jeder Beerdigung so zuging, und dass das Hämmern und Demontieren nicht schlimmer war als alles, was sie in den letzten Stunden gesehen hatte – aber je länger das Hämmern der Männer gegen die Beschläge anhielt, desto mehr pochte es in Belindas Schädel. Ihr Kinn schob sich nach vorn, als würde daran gezogen, und ihr ganzer Körper verkrampfte sich. Belinda bohrte den Absatz ihres Pumps in die rote Erde, passend zum Blut, das durch ihre Adern rauschte. Als der Sarg aller Metallteile beraubt war, überzogen ihn viele tiefe schwarze Furchen.
Jemand schubste Belinda, damit sie weiterging. Sie blieb stehen, wo sie war. Die Sargträger stolzierten herum und fassten sich an ihre Muskeln. Jemand forderte die Trauergäste auf, zu jubeln. Einige der älteren Trauernden jammerten etwas von Teilen, Verwandten und Fairness.
»Schwester!«, sagte ein Mann aufgeregt und hielt Belinda einen Messingknauf hin. Sie ließ ihn zu Boden fallen, wo er zu ihren Füßen rollte. Er reichte ihr nicht.
FRÜHLING
1
Daban, Kumasi – März 2002
Belinda wurde unruhig im Dämmerlicht. Sie setzte sich auf, zog die Knie an und das dünne Laken fest um sich. Draußen riefen die hohen Töne des Muezzins sämtliche Muslime der Stadt zum Gebet. Die Dämmerung nahm allmählich Schattierungen von Gold und Pfirsich an, und diese Farben ergossen sich durch die Jalousien, breiteten sich an den getünchten Wänden aus und über das Kind, das neben Belinda schniefte.
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