Mary straffte die Schultern. »Dieser Hut – er sieht aus wie aus einem sehr besonders schönen Stoff gemacht. Stimmt das? Dürfte ich ihn bitte mal anfassen? Ich pass auch gut auf.«
» Aba !« Belinda zog an Marys Bluse. »Wir sind nicht hergekommen, um diese Dame bei ihrer wichtigen Funktion zu stören. Lass uns bitte weitergehen.«
»Das stört mich gar nicht. Gerade sehe ich hinter Ihnen keine weiteren Besucher«, sagte die Hostess freundlich.
»Gar nicht stört sie das, siehst du.« Mary ahmte die gelassene Haltung der Hostess perfekt nach, zuckte mit den Schultern und streckte die Hand aus. Belinda konnte sehen, wie gut die steife Beschaffenheit des Huts ihr gefiel. Dann fragte Mary die Hostess, wie lange sie schon im Zoo arbeitete und was sie an ihrer Arbeit am meisten liebte und was am meisten verabscheute und welche Tiere den meisten Ärger machten. Belinda zog die Schultern hoch und zupfte an dem affigen Rüschenkleid, zu dem Nana und Aunty ihr geraten hatten, weil es sich doch um einen wichtigen Anlass handelte. So sehr Belinda sich bewusst war, dass sie noch Wichtiges zu erledigen hatte und es schnell erledigen wollte, ließ sie Mary gewähren. Das schien ihr nur fair zu sein.
Die Hostess nahm ihr schickes Käppchen ab und setzte es Mary schräg auf den Kopf. Es war ihr viel zu groß. Das fanden beide sehr lustig. Die Hostess pfiff und rief einen Kollegen – einen dünnen Mann mit kantigem Afro und wunden Stellen um den Mund – herbei, der ihren Platz im Kassenhäuschen übernehmen sollte, bevor sie Belinda und Mary eine Führung anbot. Wieder zupfte Belinda an ihrem Kleid und hielt dann inne, aus Angst, es könnte reißen.
Sie wünschte, Spaß zu haben würde ihr leichter fallen. Als Nana und Aunty sie ein paar Tage zuvor auf die Veranda gerufen hatten, um dieses folgenreiche Gespräch mit ihr zu führen, bekam Belinda von beiden Frauen zu hören, sie solle nicht so ein langes Gesicht machen. Nana und ihr Mann Dr. Otuo waren seit zwei Wochen im Haus. Im Lauf ihres Besuchs hatte Belinda immer wieder über ihren eigentümlichen Geschmack gestaunt, darüber, wie froh die beiden waren, wenn der Tee genau die »richtige« Temperatur hatte. Doch als sie an diesem Dienstagabend am hinteren Ende der Veranda stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, löste Nanas Ratschlag, sie solle doch »fröhlicher« sein, bei ihr eher Verwirrung als Staunen aus. Belinda sah keinen Grund zur Entspannung. Wenn sie und Mary abends die Teller abgeräumt und die Granit- und Marmorflächen in der Küche saubergewischt hatten, ließ Aunty sie normalerweise gehen. Danach blieben ihnen vor dem Schlafengehen zwei ganze Stunden für Spiel und Spaß. Man hatte Belinda noch nie aufgefordert, nach dem Abendessen zum Tisch zurückzukommen, und so ging sie davon aus, dass sie einen Fehler gemacht hatte – vielleicht war der egusi -Eintopf nicht richtig gewürzt gewesen.
Während sie auf ihr Urteil wartete, hatte Belinda, leicht geblendet von den Sternen, die am Himmel prangten, und den Kerzen, die Mary und sie auf Auntys Wunsch hin überall verteilt hatten, ihr Bestes versucht, um lockerer zu werden. Sie ließ die Arme baumeln und neigte den Kopf, worauf Aunty und Nana sich schallend anlachten. Ihre klobigen Armreifen klapperten und ihre Korbsessel knarrten. Sie nippten an ihrem Gulder und dann schwiegen sie. Belinda blickte hin und wieder zu den Oleanderbäumen im Garten, die ein leichter Wind bewegte, aber dann konzentrierte sie sich aus Sorge, unhöflich zu erscheinen, so gut es ging auf die beiden Frauen. Aunty lobte Belinda, weil sie so hart und unermüdlich arbeitete, und auf einmal fühlte sich der Tabbard weniger beengend an.
Nana nickte, wobei ihr indigoblaues Kopftuch fast verrutschte. »Stimmt, du machst dich hier sehr gut. Während unserer Ferien konnte ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie großartig du bist. Schon bevor ich hierher kam, hat deine Aunty dich in jeder einzelnen Mail gepriesen, die sie mir von ihrem iBook-PC aus schrieb, du hättest sie mal hören sollen, sie meinte, sie brauche selbst keinen Finger zu rühren, nie, und dass du immer so achtsam vorgehst und sie dank dir einen so herrlich schönen Ruhestand genießen. Ich freue mich sehr für meine teuerste Freundin.«
» Me da ase «, sagte Belinda leise.
Aunty lud sie ein, sich zu setzen, also setzte Belinda sich.
Nana fuhrt fort: »Vor allem, wie du mit Mary umgehst. So klug und umsichtig. Das finde ich hervorragend. Du leitest sie an und du kümmerst dich um sie. Was für ein Segen, das zu erleben.«
»Wie schön, das zu hören. Ich danke Gott für all die Wohltaten, die uns in diesem Haus zuteilwerden. Aunty und Uncle haben mir große Güte erwiesen. Und auch Mary. Ein Wunder, dass meine Mutter auf dem Postamt in Adum dieses Kärtchen mit dem Jobangebot entdeckt hat. Ein Wunder paaa . Ich glaube, der Allmächtige hat dazu beigetragen, dass sie mich ausgesucht haben.« Als Belinda zu Ende gesprochen hatte, war sie außer Atem. Selbst ein flüchtiger Verweis auf Mutter konnte ihre Kehle rau und trocken machen.
Eine Weile waren alle still. Aunty spielte mit dem Kronkorken ihres Gulders, Belinda sog die Unterlippe ein. Schließlich schleuderte Nana eine Serviette auf den Tisch, als hätte diese sie irgendwie beleidigt. »Belinda. Ich spreche dich jetzt als erwachsene Frau an. Einverstanden? Ich will nicht um den heißen Brei herumreden, wa te ? Ich muss zu dir offen sein, weil das nun mal unsere Art ist und immer sein wird, wa te ?«
» Aane .«
»Ich habe eine Tochter in London. Amma. Sie ist siebzehn, fast in deinem Alter. Vielleicht hat deine Aunty von ihr erzählt. Sie ist mein Ein und Alles.« Nana nahm ihre Ohrringe ab und schüttelte sie wie Würfel. »Sie ist wunderschön und das belesenste Mädchen im ganzen Vereinigten Königreich. Ewurade ! Sie heimst eine Auszeichnung nach der anderen ein und spricht über so viele schlaue Dinge, von denen ich nicht die geringste Ahnung habe. Einmal stand sie sogar in der South London Gazette , weil sie so gescheit ist!« Nana schüttelte fassungslos den Kopf. »Und wenn sie sich mal eine Pause von ihren Hausaufgaben gönnt oder von ihrer Malerei, kaufen wir zusammen bei H&M ein und führen richtig gute Gespräche. Ihr Vater ist so stolz auf sie, dass er sich gar nicht grämt, keinen Sohn zu haben, und sich auch nie darüber beschwert, was ihre Privatschule ihn für horrende Summen kostet.«
Belinda nahm die Serviette und faltete sie zu einem Viereck. »Wie schön«, sagte sie. »Wie schön für Sie.«
»War es mal.« Nana seufzte und stellte ihr Bier ab. »Vergangenheit. Wir müssen die Vergangenheitsform verwenden, weil es damit jetzt aus und vorbei ist, verstehst du? So schnell, wie sich eine Rauchwolke auflöst, auf einmal ist sie wie besessen. Redet nicht mehr. Ist mürrisch. Nur noch einsilbig, zweisilbig, wenn’s nicht anders geht. Als laste die ganze Welt auf ihren Schultern. Ich bemüh mich ja, versuche sie zu verstehen, stell ihr Fragen, um herauszufinden, was mit ihr los ist, aber ich bekomme keine Antwort. Nur freche Ungezogenheit.«
»Das tut mir sehr leid, Madam.«
Nana zischte: »Und sämtliche Schwachköpfe dieser Welt wollen mir weismachen, es wären ihre Hormone, Hormone, Hormone, dahinter steckt aber mehr. Ich spüre das. Als Mutter weiß ich das. Und was ihr wehtut, tut auch mir weh.« Aunty tätschelte Nana ermutigend die Schulter, wie Belinda es oft mit Mary tat.
Und so setzte Nana zu ihren Erklärungen an, trank noch ein bisschen und fuchtelte mit den Armen, sobald sich ihr ein Moskito näherte. Im Lauf ihrer Ansprache sagte sie ständig »wenn«, und das sehr bedächtig, als hätte Belinda eine Wahl. Nana redete endlos davon, dass ihre Tochter den Beistand einer guten, besonnenen Freundin wie Belinda bräuchte. Sie lächelte – ihr Gebiss war so makel- wie lückenlos – und zählte die Möglichkeiten auf, die Belinda offenstünden, wenn sie nach London käme und bei ihnen wohnte, sie sagte, Belinda könne sich in einer wunderbaren Londoner Schule weiterbilden und ihre Zukunft sichern; sie sagte, sie und Dr. Otuo würden Mutter jeden Monat mit einem kleinen Geldbetrag unterstützen, wie Aunty und Uncle es bisher taten, weil sie wussten, dass Mutter mit ihren Schichten in der chop bar nicht genug verdiente. Die Erwähnung von Mutters Restaurantjob, Nanas schweres Parfüm, die Vorstellung, wieder umziehen zu müssen – all das löste bei Belinda ein Gefühl von Schwerelosigkeit und Übelkeit aus, als wäre ihre Brust voll seltsamer, schwebender Blasen.
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