Ein zweites Gerät? Das war Hayden vollkommen neu.
»Offenbar nichts.« Boudreau hatte ihre Reaktion beobachtet. »Das ist alles, was wir wissen müssen.«
Er stieß mit dem Messer nach ihr. Als er es tat, kam Kinimaka brüllend durch die Käfigtür gestürmt und rammte die Wachen auf der anderen Seite. Körper wurden weggeschleudert und krachten gegen alles Mögliche. Knochen brachen und Computer und Metalltische schepperten auf den Boden und gegen Wände. Schwere Modems und halb leere Kaffeetassen wurden über den rauen Betonboden geschleudert.
Boudreaus Messer schnellte haarscharf an Haydens Rippen vorbei, als eine Wache mit ihm zusammenprallte und den Anführer aus Versehen zu Boden warf. Hayden schnellte nach vorn, knallte ihre Stirn gegen die Nase des Wachmanns und bewegte ihre gefesselten Hände hastig an seinem Messer entlang, als er bewusstlos wurde.
Das Plastik wurde zerschnitten und ihre Hände waren endlich frei. Sie wirbelte hoch konzentriert herum, denn sie wusste, dass in dem Getümmel bestimmt mehr als eine Waffe auf den Boden gefallen war. Kinimaka walzte wie ein Bulldozer über alles, was ihm im Weg stand. Schreibtische, Mülleimer, Computerexperten und Söldner. Sie alle flohen vor ihm, wie Müll, der durch eine Flutwelle weggespült wird.
Ein leichtes Maschinengewehr, das von einer der Wachen fallen gelassen worden war, fiel ihr ins Auge. Sie wich geschickt aus, als Boudreau plötzlich auf sie zusprang und rutschte auf den Knien zu der Waffe und griff danach während sie noch über den Boden schlitterte.
Sie drehte sich um und gab Kinimaka augenblicklich Feuerschutz.
Eine Gruppe von Wachen stob daraufhin in alle Richtungen auseinander und Blut spritzte wie flüssiges Konfetti durch die Luft. Kinimaka duckte sich, walzte aber weiter voran und Hayden wurde bewusst, dass er ihnen gerade einen Weg zur Tür zu bahnen versuchte.
Sie sah ein Stück vor dem Hawaiianer einen Korridor, der ins Tageslicht und in den Regen hinaus führte. Die Freiheit lockte für mehrere hoffnungsvolle Momente, aber dann erhob sich Boudreau vor ihr … ein massiger, mörderischer Berg … das reine Böse, das sie schmierig angrinste und verharrte.
Dann riss Boudreau das Messer hoch. Hayden duckte sich darunter weg. Die Klinge erwischte sie aber dennoch an der Stirn und hinterließ dort eine rote Furche. Sie war in weniger als einer Sekunde wieder auf den Beinen und feuerte, um Kinimaka zu decken, und schoss auch auf die anderen Soldaten, die ihren Fluchtweg blockierten. Sie wusste, dass sie sich nicht die Zeit nehmen konnte, sich umzudrehen und auf Boudreau zu schießen, aber sie wünschte sich, eine der Kugeln für ihn reservieren zu können. Er war einer der sadistischsten und gefährlichsten Männer, die sie je getroffen hatte.
Vor dem gut getarnten Gebäude wurde sie augenblicklich von der intensiven Hitze der Everglades getroffen. Der Kontrast zwischen dem Beton und dem üppigen Grün ließ sie einen Moment lang innehalten, dann brüllte Kinimaka erneut, und sie sah, wie seine massige Gestalt sich neben einem der Propellerboote bückte.
Sie spürte, dass ihre Verfolger ihnen bereits dicht auf den Fersen waren und hielt deshalb den Kopf unten, während sie über den Boden rutschte. Kugeln zischten durch die Luft und trafen die Rinde der Bäume neben ihr. Mit einer verzweifelten Anstrengung schlitterte sie neben Kinimaka, als versuche sie, bei einem Homerun schnellstens die letzte Base zu erreichen.
Das Propellerboot startete. Kinimaka sprang an Bord und zerrte sie hinter sich her, als wäre sie nur ein Kartoffelsack. Sie schlug sich den Kopf an, als sie den Überrollkäfig streifte. Kinimaka bewegte den Hebel, der die Vertikalruder kontrollierte und das Propellerboot schoss davon. Die niedrige Bordwand war bereits von Kugeln durchlöchert.
»Bist du okay?«, fragte der Riese dröhnend.
»Scheiße!« Hayden sah zu den drei Propellerbooten, die sie zurückgelassen hatten. »Ich hatte keine Zeit, um sie funktionsunfähig zu machen. Die werden uns jagen, Mano. Hast du überhaupt schon mal eines von diesen Dingern gesteuert?«
Er sah sie mit einem fast mitleidigen Gesichtsausdruck an. »Ich komme aus Hawaii«, sagte er nur.
»Bleib einfach in der Mitte des Kanals.«
Der Fluss war breit und die Ufer mit kurzem Gras bedeckt, dahinter standen Bäume. Kinimaka steuerte das Propellerboot, so schnell es ging, durch eine Kurve nach der anderen und Hayden hielt währenddessen nach Verfolgern Ausschau. Zuerst sah sie nichts, aber nach ein paar Minuten hörte sie das verräterische Heulen der Propellerboote, die sie verfolgten.
»Tritt drauf, Mano.«
»Ich glaube, die Dinger sind alle gleich schnell, Boss. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.«
Mano war eben Mano. Hayden hielt sich fest und behielt dabei das Heck im Blick. Sie beobachtete auch das Ufer und suchte dort nach einem Lebenszeichen oder einer alternativen Fluchtroute. Bisher war ihr aber leider noch nichts aufgefallen.
»Sie holen auf«, sagte sie knapp, als das erste Propellerboot hinter ihnen immer näherkam. »Wir brauchen dringend einen Plan B.«
Drake sah den Männern des SEAL-Teams nacheinander in die Augen, als sie auf die Everglades und ihr endgültiges Ziel zuflogen. Er wusste genau, was hinter diesen ausdruckslosen, abschätzigen Blicken lag … ein wenig Respekt, eine Prise Taxieren und eine Glasur aus Nervosität.
Sie hatten gehört, dass er gut war, aber würde er auch zu ihrem Team passen? Und würden sie mit ihm fertig werden, wenn es darauf ankam?
»Die Antwort ist Nein«, sagte er jetzt zu dem Jüngsten, aus dessen Augen purer Eifer leuchtete. »Nicht vor mindestens 2020.«
»Ich wollte eigentlich nach Alicia Myles fragen«, entgegnete der junge Mann mit einem breiten Grinsen. »Ist sie wirklich so eine Wildkatze, wie alle sagen?«
Drake atmete durch. »Keine Ahnung«, antwortete er diplomatisch. »Wir haben den Kontakt verloren … nachdem sie versucht hat, mich zu töten.«
»Hab gehört, sie hat ihre Sache gar nicht schlecht gemacht«, meinte der Kerl grinsend, »und dass Sie den Kontakt absichtlich verloren haben, aus Dank, weil sie Sie nicht getötet hat.«
»Sie ist wirklich gut«, sagte Drake und versuchte sich nicht mit Fragen über Alicia und ihre gemeinsame Vergangenheit aus der Reserve locken zu lassen. »Seit einer ganzen Weile hat sie niemand mehr gesehen. Belassen wir es dabei.«
Der Helikopter zog nun heftig zur Seite und Drake sah das endlose Grün unter ihnen. Flüsse und Nebenflüsse, die sich ausbreiteten und in zufälligen Mustern zusammenliefen. Vögel hoben in Schwärmen vom Boden ab.
Der Pilot sah von seinem Sitz im Cockpit aus nach hinten. »Noch fünf Minuten.«
Drake machte sich bereit. Ben saß neben ihm, beide Hände zu Fäusten geballt, das Gesicht bleich vor Sorge. Kennedys Gesicht zeigte ein eisernes Starren, das allen sagen sollte: Komm mir nur ja nicht dumm.
»Bereit.«
Der Helikopter ging jetzt in den Tiefflug und flog dann direkt auf eine zusammengewürfelte Gruppe heruntergekommener Gebäude zu. Stricke zum Abseilen wurden herabgelassen, und das SEAL-Team rutschte mit professioneller Leichtigkeit daran herunter. Alle waren in weniger als einer Minute draußen. Drake und seine Begleiter warteten, bis der Helikopter landete, frustriert, aber mit dem Wissen, dass das Team Ahnung von dem hatte, was es da tat.
Der Helikopter setzte mit einer sanften Erschütterung auf. Drake sprang als Erster aus der Tür. Die Abwinde des Rotors rüttelten ihn kräftig durch. Langes Gras wischte über seine Knöchel.
Der Anführer des SEAL-Teams wartete bereits auf sie. »Alle weg«, erklärte er, aber sein Blick war finster.
»Was sonst noch?« Drake biss die Zähne zusammen.
»Ein toter CIA-Agent im Inneren.«
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