Breit grinsend legte sie das dampfende Geflügel auf eine große Platte. »Ich hatte erst frittierten Truthahn, warum also nicht mal Fasan?«
Er nickte.
Schließlich eilte sie zum Haus. »Am besten schnell rein damit. Die Temperatur muss unter dem Gefrierpunkt liegen.«
Pablo blieb dicht hinter ihr. Er konnte sich nunmehr relativ schnell mit den Krücken bewegen. Nachdem er die Stufen der Vorterrasse hinaufgestiegen war, zog er die Tür auf, gerade rechtzeitig für Annaliese.
Sie lief an ihm vorbei und in die Küche.
Dorthin folgte Pablo ihr nicht; er schloss die Tür und wandte sich ab.
Als Annaliese bemerkte, dass er nicht mehr da war, kehrte sie zum Eingang zurück und streckte ihren Kopf hinaus. »Wohin gehen Sie? Möchten Sie mir nicht beim Anrichten helfen?«
Er blieb stehen und schaute zurück. »Nein.«
Sie machte sich Sorgen, weil er sich seit Kurzem immer seltener in ihrer Nähe und im Haus aufhielt. Stattdessen war er bei seinen Männern. Sie mochte diese Soldaten nicht und machte keine Anstalten, ihren diesbezüglichen Unmut vor ihm zu verbergen.
Er hatte sein Wort ihr gegenüber gehalten und ließ die Gruppe außerhalb der Umfriedung der Ranch kampieren. Dennoch genoss er die Zeit bei ihr und schwelgte mit den Männern in Siegeserinnerungen wie ein altgedienter Veteran.
»Es ist kalt draußen; kommen Sie doch rein. Sie können ein Fläschchen Wein mit Onkel Samuel köpfen und es sich am Feuer gemütlich machen.« Annalieses Versuch, ihn ins Haus zu locken, war vergebene Liebesmühe.
»Nein, danke«, erwiderte Pablo. Wie immer fasste er sich kurz, weil sein Rachen und seine Stimmbänder beschädigt waren, weshalb ihm längeres Sprechen starke Schmerzen bereitete.
»Na gut, aber Sie verpassen was«, sagte sie und sah dabei traurig aus. »Ich melde mich, wenn das Abendessen fertig ist.«
Er nickte wieder und stieg langsam von der Vorterrasse.
Annaliese beobachtete, wie er auf einen Polaris Ranger zuging, ein Geländefahrzeug und als Leihgabe von Samuel dazu gedacht, Pablo zügig übers Grundstück zu befördern. Nachdem sie erfahren hatte, wer er war, haderte sie mit gemischten Gefühlen: Angst, Zweifel und Zorn allen voran, doch langsam erkannte sie in ihm einen sanftmütigen, liebevollen und empfindsamen Mann mit dem Herzen und der Entschlossenheit eines Löwen. Gerüchten zufolge handelte es sich um den mächtigen, schrecklichen Pablo, den Herrscher des panamerikanischen Imperiums, aber Annaliese konnte nicht glauben, es sei ein und dieselbe Person. Sie redete sich ein, der Hubschrauberabsturz habe ihn geläutert. So wie sich Saulus zu Paulus gewandelt hatte, sei Pablo zu Hector geworden.
Enttäuscht darüber, dass sie die Zeit bis zum Dinner nicht mit ihm verbringen konnte, zog sie sich in die Küche zurück und fing mit den Vorbereitungen an.
Pablo fühlte sich ihr gegenüber zutiefst zu Dank verpflichtet. Sie hatte ihn aufgenommen und sein Leben gerettet, daran gab es nichts zu rütteln. Durch Annaliese war ihm klar geworden, dass es einen anderen Weg gab, aber seit er seine Männer mit ihren Kriegsgeräten gesehen und wieder Zeit mit ihnen verbracht hatte, machte sich der alte Imperator in ihm aufs Neue bemerkbar.
Er winkte dem Wachposten am Tor, als er die Ranch verließ. Er hatte Annaliese darauf hingewiesen, dass es unnötig sei, jemanden hier einzusetzen, wo doch seine Soldaten gleich vor dem Gelände lagerten, doch Samuel bestand weiterhin darauf.
Dieser wusste nicht so recht, was er von Pablo und den Männern halten sollte, was ihn bekümmerte. Als allgemein vorsichtiger Mensch betrachtete er den Mann und seine Invasionsarmee als Bedrohung und sah es deshalb kommen, dass sowohl er selbst als auch der Rest der Gemeinschaft vor Ort den wahren Hector – so nannte ihn immer noch jeder – zwangsläufig bald kennenlernen würden.
Nachdem Pablo am höchsten Punkt eines kleinen Hügels angehalten hatte, blickte er hinab und lächelte beim Anblick seiner Streitkraft. Die Männer hatten wie er Verletzungen davongetragen und würden nie wieder dieselben sein. Sie waren dezimiert worden, aber immer noch schlagfertig und eine veritable Macht.
Als Domingo Luis das bekannte Motorengeräusch des Rangers hörte, trat er aus dem großen Zelt, das optisch einem Krankenlazarett ähnelte, und winkte. Rechts von ihm flatterten die Flagge des panamerikanischen Imperiums sowie die Farben des Bataillons im Wind. Er war ein stolzer Soldat und pflichttreu, aber sein Herz hing noch an Venezuela, weshalb er Heimweh hatte.
Pablo wählte wieder Dauerbetrieb per Schaltknüppel und fuhr geradewegs auf Luis zu.
Der grölte breit grinsend mit erhobenen Händen: »Imperator, feliz Navidad !«
» Feliz Navidad , Kommandant«, erwiderte Pablo mit seiner mittlerweile zum Markenzeichen gewordenen Reibeisenstimme.
Luis eilte zur Fahrerseite. »Lass dir heraushelfen, Herr.«
»Nein«, stellte Pablo klar, indem er ihn aus dem Weg stieß und ohne seinen Stock ausstieg. Er musste sich darauf konzentrieren, sein Gleichgewicht zu halten, bevor er den ersten Schritt machte.
»Komm in mein Zelt, es ist warm, und ich habe vino . Die Männer sind auf einen üppigen Vorrat gestoßen«, erzählte der Kommandant und bedeutete seinem Imperator, unter Dach zu gehen.
Pablo betrat das Zelt und war überrascht ob der Wärme. Als ihm ein breiter Sessel ins Auge fiel, nahm er sofort Platz.
Luis kam hinter ihm herein, schloss die Eingangsklappe und setzte sich ihm gegenüber. Dann nahm er ein Glas von einem Regal und schenkte aus einer bereits offenen Flasche Wein ein. »Das ist Caymus, der schmeckt dir bestimmt.«
Pablo schaute dabei zu, wie das Glas voller wurde. Er liebte Wein, vor allem edle Sorten. Während er ihn mit der rechten Hand schwenkte, betrachtete er den Film, den die Flüssigkeit an der Innenwand bildete. Schließlich hielt er ihn unter seine Nase und sog das Bouquet mit geschlossenen Augen tief ein. »Ahh.«
»Warte nur, bis du ihn probiert hast.«
Ohne die Lider wieder aufzuschlagen, setzte er an und nahm einen großzügigen Schluck. Bevor er ihn seine Kehle hinabrinnen ließ, behielt er ihn einen Moment lang auf der Zunge.
Luis blieb sitzen und wartete ruhig auf das Urteil seines Herrschers über den Wein.
Pablo schlug die Augen endlich auf. »Gut«, befand er.
»Siehst du? Ich sagte es dir, Herr, er ist ausgezeichnet. Ich habe siebenunddreißig Kisten; selbstverständlich gehören Sie alle dir, falls du Sie möchtest.«
»Gibt es etwas Neues zu berichten?«, wollte er wissen.
»Ja, aber Herr, ich möchte dir noch etwas geben, ein Geschenk zum Fest«, entgegnete Luis.
Pablo war zwar ungeduldig, aber trotzdem bereit, sich zu Weihnachten ausnahmsweise einmal in Nachsicht zu üben.
»Die Männer haben ein Museum entdeckt. Sicher, du denkst bestimmt: ›Wen interessieren schon Museen?‹, aber solche Orte sind wahre Schatzkammern, weil es dort Souvenirläden voller Lebensmittel, Wasser, Batterien und so weiter gibt. Das war aber nicht die beste Beute, die sie bei dem Abstecher gemacht haben; nein, das hier ist ihnen in die Hände gefallen.« Luis zeigte eine aufwendige Kopfbedeckung mit Federn.
Als Pablo dieses Geschenk sah, setzte er sich aufrecht hin. Es weckte sein Interesse. Als Mexikaner, der in der Schule viel über die Kultur seines Vaterlandes gelernt hatte, erkannte er das Stück als Teil der Kluft aztekischer Priester.
Luis trug es hinüber und hielt es ihm vor.
Pablo stellte sein Glas ab und nahm den Schmuck. Dieser war schwerer als erwartet. Er besah die bunten Federn, das Gold und die Edelsteine mit Wonne. »Das ist echt«, bemerkte er.
»Ja, Herr, wie gesagt, es stammt aus einem Museum.«
»Danke, General, vielen Dank«, erwiderte Pablo und meinte es auch so.
»Gern geschehen, Imperator. Frohe Weihnachten.«
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