Mein eigener Name, Eleanora, war einfach zu lang. Außerdem habe ich ihn nie gemocht, besonders nicht, wenn meine Großmutter ihn abgekürzt als »Nora« von der Veranda nach mir rief. Mein Vater hat mich »Bill« genannt, weil ich so ein Wildfang gewesen war. Ich hatte nichts dagegen, aber ich wollte auch hübsch sein und einen hübschen Namen haben. So kam ich schließlich auf Billie und behielt ihn bei.
Als meine Mutter noch in Philadelphia und New York gearbeitet hatte, bekam ich von ihr immer die Kleider geschickt, die ihr die Weißen gaben, für die sie arbeitete. Natürlich waren es Sachen von der Stange, aber sie waren trotzdem hübsch, und wenn ich sie anzog, war ich immer das feinste Kind vom ganzen Block.
Meine Mutter wusste, dass ich es nicht sehr mochte, mit meinen Großeltern und meiner Cousine Ida zusammenzuleben, schließlich mochte sie es ja auch nicht. Das Einzige jedoch, was sie dagegen machen konnte, war, oben im Norden so hart zu arbeiten, wie sie nur konnte und jeden Cent zurückzulegen, was sie auch tat.
Nachdem mein Vater mit den McKinney’s Cotton Pickers auf Tour gegangen war, blieb er verschwunden. Später bekam er dann einen Job in der Band von Fletcher Henderson, immer jedoch war er unterwegs. Eines Tages hörten wir dann, dass er sich hatte scheiden lassen, um eine Frau aus der Karibik namens Fanny zu heiraten.
Als meine Mutter schließlich nach Baltimore zurückkam, hatte sie neunhundert Dollar gespart. Sie kaufte ein wahnsinnig tolles Haus in der Pennsylvania Avenue im Norden von Baltimore. Sie wollte dort ein paar Zimmer vermieten, während wir als richtige Ladys leben und alles zu einem glücklichen Ende kommen sollte.
Damals trugen alle hochkarätigen Huren große rote Samthüte mit Federn von Paradiesvögeln besteckt. Diese Hüte waren wirklich das Absolute. Unter fünfundzwanzig Dollar konntest du dir noch nicht mal einen angucken, und fünfundzwanzig Dollar waren in den Zwanzigern ein ganz schöner Batzen Geld. Ich hatte mir schon immer vorgestellt, dass meine Mutter auch so einen Hut haben sollte, und als sie schließlich genug Geld hatte, quengelte ich so lange rum, bis sie ihn vom Aufstehen bis zum Ins-Bett-Gehen trug. Wenn sie ohne diesen Hut aus dem Haus ging, machte ich eine Szene. Sie sah so wunderbar mit ihm aus, und ich dachte mir eben, dass sie einfach immer wunderbar aussehen sollte. Sie war gerade einen Meter fünfzig groß und wog keine vierzig Kilo, und mit ihrem roten Paradiesvogel-Samthut sah sie aus wie ein Püppchen.
Wenn sie in dieser Aufmachung ausging, sagte sie immer, dass sie einen reichen Mann suchen würde, damit wir beide aufhören könnten zu arbeiten. Das waren aber nur Worte, denn sie meinte es nie wirklich.
Einige Zeit nachdem mein Vater wieder geheiratet hatte, lernte meine Mutter Phil Gough kennen. Er war Hafenarbeiter in Baltimore, kam aber aus einer großbürgerlichen Familie. Seine Geschwister arbeiteten alle im Büro, und da sie alle nur blassbraun waren, hielten sie es für unverzeihlich, dass er sich mit meiner Mutter und mir abgab, denn wir waren ein, zwei Schattierungen dunkler.
Er hörte aber nicht auf das Gerede und heiratete meine Mutter vom Fleck weg. Solange er lebte, war er immer ein guter Stiefvater, allerdings lebte er nicht sehr lange.
Ich war glücklich, doch so klein dieses Glück auch war, es konnte nicht von Dauer sein.
Als ich eines Tages aus der Schule nach Hause kam, war Mutter gerade beim Friseur und niemand da außer Mister Dick, einer unserer Nachbarn. Er sagte mir, dass meine Mutter ihn gebeten hätte, auf mich zu warten, um mich ein paar Blocks weiter zu jemandem zu bringen, bei dem sie mich abholen würde.
Ohne dass ich weiter darüber nachdachte, ließ ich mich von ihm an die Hand nehmen und ging mit. Als wir zu dem Haus kamen, ließ uns eine Frau herein. Ich fragte nach meiner Mutter und bekam gesagt, dass sie jeden Augenblick kommen müsse. Angeblich hatte meine Mutter angerufen und ausgerichtet, dass sie sich etwas verspäten würde. Es wurde später und später, und ich wurde schläfrig. Mister Dick sah mich eindösen und brachte mich nach hinten in ein Schlafzimmer, damit ich mich hinlegen konnte. Ich war fast eingeschlafen, als Mister Dick zu mir krabbelte und das versuchte, was mein Cousin Henry auch immer versucht hatte. Ich fing an zu treten und schrie wie am Spieß. Daraufhin kam die Frau, die uns aufgemacht hatte, und versuchte, meinen Kopf und meine Arme auf das Bett zu drücken, damit er an mich rankonnte. Ich machte es ihnen nicht leicht und trat, kratzte und biss.
Plötzlich, als ich gerade nach Luft schnappte, hörte ich ein Poltern und Rufen. Als Nächstes wurde die Tür eingetreten, und meine Mutter und ein Polizist kamen herein. Ich werde diese Nacht niemals vergessen. Selbst eine Hure will nicht vergewaltigt werden. Sie kann jeden Tag stündlich hundert Kunden haben, und trotzdem will sie nicht von irgendjemandem vergewaltigt werden. Das ist das Schlimmste, was einer Frau passieren kann, und es passierte mir, als ich zehn war.
Ich hatte keine Ahnung, wie meine Mutter es fertiggebracht hatte, mich zu finden. Später erzählte sie mir, dass eine Freundin von Mister Dick, eine eifersüchtige Nutte, sie schon vor dem Haus erwartet hatte, als sie heimkam. Sie sagte meiner Mutter, sie solle mich gefälligst von ihrem Freund fernhalten.
Meine Mutter versuchte, sie loszuwerden und sagte, dass ich schließlich noch ein Kind sei und sie endlich mit ihrer dämlichen Eifersucht aufhören solle.
»Noch ein Kind?«, sagte die Hure und lachte. »Sie ist mit meinem Freund zusammen weggegangen und ist gerade in diesem Moment bei ihm. Und wenn du’s nicht glaubst, dann werde ich dir zeigen, wo du die beiden finden kannst.«
Meine Mutter verlor keine Zeit. Sie rief die Polizei, packte das eifersüchtige Weib am Arm und ließ sich zu dem Haus führen, wo sie mich festhielten.
Dass dieses Haus zu allem Überfluss noch einen gewissen Ruf hatte, war nicht das Schlimmste. Viel schlimmer war, dass uns die Bullen auch mitnahmen, als sie Dick zur Polizeiwache brachten, und das, obwohl ich heulend und blutend in den Armen meiner Mutter lag.
Als wir auf dem Revier ankamen, behandelten sie uns nicht gerade wie jemanden, der die Polizei um Hilfe gerufen hatte. Sie behandelten uns eher wie Schwerverbrecher. Meine Mutter durfte mich erst mal nicht wieder mit nach Hause nehmen. Mister Dick war vierzig, und ich war erst zehn, doch der Wachtmeister schien mein Alter von meinen Brüsten und meinem Körperbau oder was weiß ich abzulesen. Auf alle Fälle nahmen sie an, dass ich diesen alten Bock in das Bordell gelockt hatte oder so was Ähnliches. Auf alle Fälle steckten sie mich in eine Zelle. Meine Mutter schrie, heulte und bettelte, aber sie beförderten sie einfach nach draußen, während sie mich einer fetten weißen Aufseherin übergaben. Als die sah, dass ich immer noch blutete, bekam sie Mitleid mit mir und gab mir Milch zu trinken. Sonst tat keiner etwas für mich. Alle starrten sie mich nur an mit ihren schmierigen, dreckigen Augen und lachten in sich hinein.
Nach ein paar Tagen in der Zelle führten sie mich vor Gericht. Mister Dick wurde zu fünf Jahren verurteilt. Mich steckten sie in eine dieser katholischen Anstalten.
Ich werde diesen Ort niemals vergessen. Das Haus wurde von katholischen Schwestern geführt, und zwar diese Art von Schwestern, die das Heim nie verlassen. Wenn man dort eingeliefert wird, kriegt man eine blau-weiße Uniform und den Namen einer Heiligen. Ich erwischte den Namen der heiligen Theresa. Es waren ungefähr hundert Mädchen dort, die meisten wegen Diebstahl und Schuleschwänzen. Da alle wussten, dass ich wegen einem Mann dort war, betrachteten sie mich nahezu ehrfürchtig, wie einen Star.
Wenn man gegen die Anstaltsregeln verstieß, wurde man dort wenigstens nicht geschlagen, so wie bei meiner Cousine Ida. Die Bestrafung bestand hingegen darin, ein zerlumptes rotes Kleid zu tragen. Trug man dieses rote Kleid, durfte keins der anderen Mädchen mit einem sprechen oder sich einem auch nur nähern.
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