»Das war es also, was ihr immer gemacht habt, als ich in dieser Kiste aus Zedernholz am Fußende eures Bettes geschlafen habe?«, schrie ich sie an.
Was konnte sie schon darauf sagen? Nichts. Sie jammerte etwas darüber, dass ihr kleines Mädchen es mit einem Mann gemacht hatte und ängstigte sich halb zu Tode bei dem Gedanken, dass ich ein Kind bekommen könnte, so wie sie mich bekommen hatte. Ich hatte sie an einem Punkt getroffen, an dem sie sich nicht wehren konnte.
Damals schwor ich mir, dass es mit den Männern ein für alle Mal vorbei ist und sagte ihr, dass sie sich nicht länger Sorgen zu machen bräuchte, dass ich das täte, was sie immer mit meinem Vater getan hatte.
Dann kam eines Tages ein riesiger Schwarzer in Florences Apartment und bestand darauf, mich zu bekommen – mich oder keine. Er gab mir fünfzig Dollar; und das war auch das Mindeste. Dafür, dass er mich beinahe umbrachte, war es ein Spottpreis.
Tagelang konnte ich nicht aufstehen, geschweige denn irgendetwas anderes machen. Meine Mutter besuchte mich während dieser Zeit, als ich krank im Bett lag. Sie wusste nicht, was passiert war, aber nachdem sie mich sah, sagte sie sofort, dass ich augenblicklich in ein Krankenhaus müsste.
Mir ging es so dreckig, dass mir alles egal war … Bis ich sah, was auf der Mütze von dem Typ stand, der mit der Ambulanz gekommen war. Ich hatte schon von diesem Krankenhaus gehört. Ich kannte Mädchen, die dort wegen einer Lungenentzündung hingegangen waren und ohne Eierstöcke zurückkamen. Also setzte ich mich auf, schickte den Krankenwagen weg, schleppte mich ins Bad, aß wenig später eine Kleinigkeit und war wieder auf dem Damm.
Es ist also kein Wunder, dass ich eine Todesangst vor Sex hatte. Und es ist auch kein Wunder, dass ich das getan habe, was ich tat, als dieser Schwarze mit Namen Big Blue Rainier auftauchte. Er war mit Bub Hewlett zusammen, dem damals fast ganz Harlem gehörte. Beide sind mittlerweile tot, aber damals waren sie ganz große Tiere.
Ich kam ins Gefängnis, weil ich mich weigerte, mit Blue ins Bett zu gehen. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass ich nichts persönlich gegen ihn hatte und dass ich lediglich nicht mehr mit schwarzen Kunden ins Bett ging.
Mit meinen festen weißen Kunden war es ein Kinderspiel. Sie hatten Frauen und Kinder, zu denen sie anschließend nach Hause gingen. Wenn sie zu mir kamen, ging alles ruckzuck. Danach das Geld und schon waren sie wieder weg. Außerdem reichten mir die beiden, um das Geld, dass ich zum Leben brauchte, zusammenzukriegen. Schwarze aber halten dich die ganze Nacht wach, reden so ein Zeug wie: »Ist es gut so, Baby?« und »Wie wär’s, wenn aus uns beiden was Festes würde?« Da redet man immer groß darüber, dass Frauen giftig werden, wenn man sie abweist – na, da hättet ihr mal Big Blue erleben sollen!
»Für wen hält sie sich?«, brüllte er Florence an. »Sie ist das einzige farbige Mädchen im ganzen Haus und will keinen Schwarzen?«
Florence war eine anständige Frau, aber es hätte sie das Leben kosten können, mich zu verteidigen.
Blue wusste, dass ich noch ein Kind war, trotzdem ließ er mich hochgehen. Bub und er waren mit den Bullen richtiggehend befreundet. Am nächsten Morgen, als ich gerade in der Küche mit den anderen Mädchen frühstückte, stürmten die Bullen rein. Sie hatten bezahlte Spitzel als Zeugen dabei, die »Das ist sie! Das ist sie!« schrien und auf mich zeigten.
Also schleppten sie mich ins Gefängnis. Nicht für etwas, was ich getan hatte, sondern für etwas, was ich nicht getan hatte. Es waren wirklich kaputte Zeiten. Frauen wie meine Mutter, die als Dienstmädchen arbeiteten und Büros sauber machten, wurden auf dem Heimweg aufgegriffen und der Prostitution beschuldigt. Konnten sie die Kaution zahlen, waren sie wieder frei. Wenn nicht, kamen sie vor Gericht, wo ihr Wort gegen das eines dreckigen geschmierten Bullen stand.
Ich wurde verhaftet und vor das Jefferson-Gericht geschleppt. Das ganze Haus war voll »gefallener Mädchen«, wie man damals sagte. Außerdem natürlich noch die Bullen von der Sitte. Als ich sah, wer hinter dem Richtertisch saß, wusste ich, dass ich geliefert war. Es war Friedensrichterin Jean Hortense Norris, die erste Polizeirichterin in New York. Eine alte Dame mit harten Gesichtszügen und einer Männerfrisur.
Sie hatte sich einen Namen damit gemacht, herumzulaufen und Süßholz zu raspeln, dass nur eine Frau soziale Probleme wirklich verstehen kann. Von Mädchen, die mit ihr schon vor Gericht zu tun gehabt hatten, hatte ich jedoch gehört, dass ihr Gerede eine einzige große Scheiße war. Sie war härter als jeder Richter in Hosen, den ich davor oder seitdem je gesehen habe. Wenn eines der Mädchen einen Anwalt hatte, so setzte der alles in Bewegung, um seinen Fall vor einem anderen Richter verhandeln zu lassen.
So viel wusste ich: Würde ich mich schuldig bekennen, bekäme ich ganz schön was aufgebrummt. Würde ich mich jedoch nicht schuldig bekennen, sähe es vielleicht noch schlimmer aus. Davon abgesehen, dass es sowieso nicht viel genutzt hätte, wusste ich auch niemanden, der mir einen Anwalt hätte besorgen können. Hätte diese Richterin auch nur einen Moment geglaubt, dass sie ein Mädchen vor sich hat, das erst fünfzehn ist, sie hätte mich bis zu meinem einundzwanzigsten Lebensjahr in die Bedford-Besserungsanstalt verfrachtet.
Zum Glück kam meine Mutter zur Verhandlung und verhinderte das. Sie schwor auf einen Stapel Bibeln, dass ich achtzehn wäre. Hätten sie meine Mutter überprüft, wären sie darauf gekommen, dass sie mich folglich mit neun Jahren zur Welt gebracht haben müsste. Doch sie überprüften sie nicht. Es war schwer für meine Mutter, dermaßen zu lügen. Sie hasste jede Art von Unwahrheit und erzog mich entsprechend. Sie log niemals, außer wenn es darum ging, ein Leben zu retten. Und so hielt ich es auch.
Als mein Fall drankam, las die Richterin einen Gesundheitsbericht vor, der besagte, dass ich krank sei. Das war nun wirklich komisch, da man mich keineswegs untersucht hatte. Dazu war schließlich auch nicht genug Zeit gewesen. Außerdem war ich sauber. Ich wusste, dass ich nichts hatte, und die späteren Untersuchungen bewiesen das auch.
Aber diese alte Jungfer von Richterin glaubte mir nicht. Sie las aus ihren Unterlagen vor, wie jung ich war und wie krank und sagte schließlich, dass sie Milde walten lassen wolle und schickte mich nach Brooklyn ins Stadtkrankenhaus. So schnell wie sie mich reingeschafft hatten, schafften sie mich auch wieder raus, und das war’s dann.
Im Krankenhaus bekam jeder Salvasanspritzen gegen Syphilis. Ich bekam jedoch keine Spritzen, sondern verteilte welche. Ich arbeitete zusammen mit den Ärzten und sah Mädchen, deren Arme mit Entzündungen überdeckt waren, weil jemand die Vene nicht getroffen und stattdessen in einen Muskel gespritzt hatte. Später wurde ich zu einer Stelle versetzt, wo ich ganz allein Wismuth-Spritzen in Hinterteile gab. Ich lernte, geschickt mit den Spritzen umzugehen, und alle Mädchen wollten sich nur noch von mir behandeln lassen, weil langsam bekannt wurde, dass ich nie jemandem wehtat.
Am liebsten hätte ich meine ganze Strafe in diesem Krankenhaus abgearbeitet, aber das Unglück verfolgte mich. Eines Nachts stellte mir ein fettes schwules Mannweib nach. Heute nennt man sie Lesben, aber wir nannten sie damals schwule Weiber. Als sie versuchte an mich ranzukommen, gab ich ihr einen Stoß, dass sie die Treppen runterfiel.
Also wurde ich schon nach zwei Wochen aus dem Krankenhaus geworfen und fand mich vorm guten alten Jefferson-Gericht wieder. Dasselbe Gericht, dieselbe Richterin, nur war sie diesmal fuchsteufelswild. »Ich dachte, du würdest die Chance nutzen, die ich dir gegeben habe«, brüllte sie mich an. »Aber wie sich rausstellt, bist du schon verdorben.« Zack und Peng, vier Monate und ab ins Fürsorgeheim.
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