Zu Hause angekommen, sagte sie, sie sei böse auf mich und wolle mich für den Rest des Tages nicht sehen. »Geh mir aus den Augen oder ich erzähle es doch noch deinem Vater.«
Ich verschwand in meinem Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Die Katze nahm ich mit. Mein Magen knurrte, ich hätte gern eine Tasse heißer Milch mit einem Löffel Zucker getrunken. Ich zwang mich zu weinen, und es gelang mir auch, ein paar Tränen zu verdrücken. Ich leckte sie mir vom Gesicht und lag dann zufrieden auf meinem Bett, während der silbrige Nachmittag zu einem mitternachtsblauen Abend wurde. Irgendwann weinte ich noch etwas mehr, weil ich müde war und nicht schlafen konnte. Später muss ich dann doch eingeschlafen sein, wenn auch nur lang genug, um ins Bett zu machen. Ich wachte erst auf, als meine Blase den letzten Tropfen aus meinem Körper gepresst hatte. Ich fühlte mich erleichtert und schob eine Hand unter die Decke, um zu prüfen, wie groß der Schaden an der Matratze war. Als ich die Hand wieder hervorzog, war sie warm und klebrig. Mit den Beinen schob ich meinen Teddy unter der Decke hervor, um ihn vom Tatort zu entfernen, und als er in Sicherheit war, ließ ich von ihm ab. Er hing über der Bettkante, und zwischen seinen Beinen prangte ein Loch, genauso groß wie das Loch, das ich und die Welt eines Tages im Herzen meiner Mutter hinterlassen würden. Mein Teddy gebar einen Wattebausch.
In diesem Moment hörte ich das Glöckchen an der Tür klingeln, die von unserem Garten ins Wohnzimmer führte. Ich strampelte die stinkende Decke weg, sprang aus dem Bett und beobachtete durchs Schlüsselloch, wie mein Vater ein Bein hob, um seine Schnürsenkel zu lösen, wie er sich Halt suchend an die Wand lehnte und nacheinander beide Schuhe auszog. »Aresu«, rief er, während er in seine Pantoffeln schlüpfte, »Aresu dschanam , wo bist du?«
Meine Mutter tauchte im Blickfeld des Schlüssellochs auf. Während sie auf meinen Vater zuging, wogte ihr Po unter dem langen Kleid. Ich lief zurück zum Bett und schlüpfte hinein, froh, wieder von der warmen Geborgenheit eingehüllt zu werden, die durch das Zusammentreffen eines nassen Nachthemds und einer nassen Matratze entstand. Wegen des stechenden Uringeruchs musste ich die Luft anhalten. Ich versteckte den Kopf unter dem Kissen und begann eine Diskussion mit meinem Teddy.
»Ich bin keine Diebin, ich bin keine Diebin, ich bin keine Diebin. Er hat gesehen, wie ich die Katze genommen habe, aber er hat kein Wort gesagt.« Diese Sätze sprach ich mir immer wieder vor und schwor mir selbst, dass sie die Wahrheit waren, bis ich irgendwann einschlief. Falls meine Mutter mich bei meinem Vater verpetzte, wollte ich es nicht hören.
In der Nacht wachte ich auf, als meine Mutter misstrauisch schnuppernd ins Zimmer kam. Sie brachte mir ein Honigbrot auf einem Tablett. »Du hast den ganzen Tag nichts gegessen, und wir haben keine Marmelade mehr«, sagte sie lächelnd und schob mir ein Kissen in den Rücken, während ich mich gähnend aufsetzte.
Ich wollte ihr eigentlich die Frage stellen, tat es dann aber doch nicht. Es war nicht mehr wichtig, weil ich mit einem Mal sicher war, dass mein Vater mich in Schutz genommen hatte. Jetzt liebte ich ihn wieder. Als ich die Decke wegschob, um mir die Zähne putzen zu gehen, setzte ich den darunter gefangenen Gestank frei. Meine Mutter fiel fast in Ohnmacht. » Ey choda , Sheyda!«, rief sie und hielt sich die Nase zu. Dann zerrte sie mir das Nachthemd über den Kopf, spülte mich in der Badewanne ab und zog mir ein sauberes Nachthemd an, das sich weich und beruhigend anfühlte wie frischer Schnee. Anschließend versuchte ich, ihr beim Umdrehen der Matratze zu helfen, tänzelte um sie herum, zog an dieser oder jener Ecke, war aber im Prinzip völlig nutzlos. Meine Mutter sagte, jetzt sei es zu spät, um noch irgendwas gegen den Gestank zu tun.
Ich putzte mir die Zähne, und als ich zurück in mein Zimmer kam, sah ich, wie meine Mutter einen Haufen Sachen unter dem Bett hervorzog und die schmutzige Wäsche aussortierte, die ich dort versteckt hatte. Mit spitzen Fingern hielt sie ein Rüschennachthemd und drei Schlüpfer mit gelben Flecken in die Höhe, Beweise, die ich nicht verleugnen konnte. Beschämt schlich ich zu meiner Schultasche und zog weitere Schlüpfer zwischen den Büchern hervor. Sie waren noch feucht. Ich kroch in mein frischbezogenes Bett, und meine Mutter deckte mich zu, rieb mir mit dem Handrücken das gewaschene Gesicht trocken und streichelte über die Stelle, wo sie mich zuvor geschlagen hatte. Mit nach Safran duftenden Fingern zog sie die Konturen meines Gesichts nach und sang mich mit meinem Lieblingslied in den Schlaf:
La la la la Laleh Du bist meine Himmelsblume La la, du warst mein Schicksal Schlaf, Gefährtin meiner Seele Schlaf, meine Nachtigall mit glockenheller Stimme Schlaf, mein Liebling, der mich glücklich machen wird Eine Nachtigall singt in meinem Herzen Schlaf, meine blühende Blume Schlaf, mein kostbares Juwel Schlaf, mein Augenlicht Dein mondbeschienenes Gesicht ist mein Paradies Mein Herzenslicht Du bist mein süßer Granatapfel .
Ich lag still da und atmete durch die Nase, das Haar hinter die Ohren gestrichen, die Wimpern von Tränen benetzt. Meine Mutter, die dachte, ich wäre eingeschlafen, schaltete das Licht aus und wandte sich zum Gehen. Ich richtete mich auf und bat sie zu tun, was sie jeden Abend tat. Sie kniete sich im Dunkeln neben mein Bett und sah jetzt aus wie einer ihrer Engel. Dann legte sie ihre vollen Lippen an mein Ohr und machte leise schmatzende Geräusche. Ihr Atem kitzelte mich, und ich kicherte, um die Gänsehaut zu vertreiben. Als die Geräusche gleichmäßig wurden, schloss ich die Augen vor dieser Welt und stellte mir vor, wie ich zurück in ihren Schoß kroch, wie ich tief in ihr drin in Sicherheit war, weit weg.
» Maman «, sagte ich schläfrig, bevor sie aus dem Zimmer ging und die Tür hinter sich zuzog, »bitte sag Nana, sie soll noch mehr Erdbeermarmelade machen.«
»Schon geschehen, mein Liebling.«
Wenn ich an jene Nacht zurückdenke, weiß ich noch, dass ich, während meine Mutter mir das Schlaflied sang, reglos dalag. Ich lauschte ihrer melancholischen Stimme und genoss ihre hoffnungsvollen Bewegungen und ihren warmen, süßen, nach Minztee duftenden Atem. Ich war völlig gebannt vor Bewunderung. In jener Nacht fragte ich mich, warum meine Mutter mich liebte und warum sie mir verziehen hatte. Wenn ich ihr die Frage gestellt hätte, hätte sie sicher geantwortet, dass sie mich liebe, weil ich ihre Tochter sei. Vielleicht wäre sie auch errötet und hätte nicht gewusst, was sie sagen soll. Aber dann hätte ich an das Gutenachtlied gedacht. Ich war ihr Schicksal, ihre Seelengefährtin, ihre blühende Blume. Ich war ihre liebeskranke Nachtigall.
Als Kind verstand ich nicht, was diese Worte wirklich bedeuteten, aber für mich waren sie das Schönste von der Welt, weil meine Mutter sie täglich zu mir sagte. Sie waren das Schönste von der Welt, und die wenigen Minuten, wenn ich vor dem Schlafengehen der Stimme meiner Mutter lauschte, waren unser gemeinsames Gebet.
Liebte sie mich, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte? Umarmte sie mich deshalb jeden Abend? Die Menschen tun so viel aus schlechtem Gewissen! Sie würden alles tun. Ich nutzte ihre Schuldgefühle zu meinem Vorteil, hatte aber keine Ahnung, wie und warum das funktionierte.
Als ich am nächsten Tag aufwachte, stellte ich fest, dass mein Vater ein großes Paket Windeln und einen blauen Plastiküberzug für meine Matratze gekauft hatte.
Eine Woche vor meinem Malheur hatte ich vor dem Schokoladenregal gestanden, während mein Vater an der Kasse mit Agha Ali redete, dem freundlichen Ladenbesitzer, der mir immer eine Flasche Parsi-Cola schenkte, wenn er mich schwitzend auf der Straße spielen sah. Sie unterhielten sich über Agha Alis Khodro Samand, der am Abend vorher aufgebrochen worden war. Der Wagen war sein ganzer Stolz, und alles, was herausnehmbar und wegtragbar war, einschließlich des Fahrer- und Beifahrersitzes, war gestohlen worden: das Radio, der Motor, die Scheibenwischer, die Seitenspiegel, der Rückspiegel und sogar der Duft-Tannenbaum am Rückspiegel. Alles weg! Die Diebe hatten die Türen von außen mit einem Schlüssel zerkratzt und die Innenverkleidung mit einem Messer aufgeschlitzt. Sie hatten die Scheinwerfer zertrümmert. Sie hatten alle vier Reifen zerstochen, aber erst, nachdem sie das Auto die Straße hinuntergeschoben hatten, weg von Agha Alis Haus, zu einer Stelle, wo sie ihrem schändlichen Tun ungestört nachgehen konnten. Agha Ali war außer sich, er schüttelte den Kopf, rieb sich die Stirn, schimpfte lauthals auf die Diebe, die seinen geliebten Samand geschändet hätten, und tat seine Meinung darüber kund, was die gerechte Strafe für dieses Pack wäre.
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