Mittlerweile gab es auch einiges zu tun, das etwas weniger spannend war. Nun, da sich das Ganze zu einer kontinuierlichen Mission entwickelt hatte, war uns klar, dass wir eine Wohltätigkeitsorganisation anmelden mussten. Der Name, der ursprünglich auf unserem alten Truck gestanden hatte, war Scottish Bosnia Relief ( Schottische Bosnien-Hilfe ). Als das Wort „Bosnien“ im Lauf des Krieges politisch heikel wurde, stellte es ein Risiko dar, wenn wir durch bestimmte Gebiete oder zu Grenzstellen kamen; deshalb kratzten wir diese Buchstaben weg. Dann beschlossen wir, das Wort International in den verkratzten Raum zwischen Scottish und Relief zu setzen. Schließlich, so dachten wir uns, lieferten wir ja nach Kroatien ebenfalls Hilfsgüter, und wer wusste schon, wohin wir in Zukunft noch kommen würden? Das war jetzt also der Name der Organisation: Scottish International Relief .
Mein Bruder machte sich dann die Mühe, diverse Ideen für ein Logo zu entwerfen. Wir entschieden uns für das blaue keltische Kreuz, das er gezeichnet hatte. Darauf geschrieben waren die Buchstaben SIR, die Abkürzung, unter der wir für viele Jahre auftraten. Dieses alte Symbol, ein Kreuz auf einem kleineren Kreis, sieht man in Schottland und Irland überall. Es bezeichnet den Übergang unserer Vorväter vom Heidentum zum Christentum, von der Anbetung der Sonne (der Kreis) zur Anbetung Jesu Christi (das Kreuz).
Dann brauchten wir einen Slogan, und wieder saßen wir um den Familientisch und bastelten an diversen Ideen herum. Letztlich einigten wir uns auf „Delivering Hope“ („Hoffnung bringen“). „Hoffnung“ war schon immer mein Lieblingswort. Wir diskutierten auch kurz die Frage, ob die Organisation als Erweiterung unseres Craig Lodge Family House of Prayer laufen sollte, das als wohltätige Einrichtung schon seit mehreren Jahren registriert war. Es ging letztlich um die Frage, ob wir eine katholische oder eine überkonfessionelle Organisation wollten. Da wir alle der Meinung waren, dass dies ein Werk Gottes und eine Frucht von Medjugorje war, spürten wir auch alle sehr stark, dass die Organisation offen für alle Gläubigen und auch für Nichtgläubige sein sollte.
Wir gründeten also eine neue, überkonfessionelle Wohltätigkeitsorganisation, und außer den Familienmitgliedern baten wir in den ersten Vorstand auch zwei nichtkatholische Freunde, die in der Vergangenheit schon immens viel geholfen hatten. Wir arbeiteten mit einem Anwalt in Oban, der nächsten größeren Stadt, zusammen, der uns bei der Formulierung einer Satzung half, und bei unserer ersten ziemlich informellen Versammlung wählten wir meinen Schwager Ken, Ruths Ehemann, zum Vorsitzenden. Der Vorstand sollte sich drei- bis viermal im Jahr treffen, und Julie und ich erledigten mit enormer Unterstützung von Mum und Dad (die trotzdem auch noch das Einkehrzentrum leiteten) und mit Hilfe von zahlreichen Freiwilligen die tägliche Arbeit.
Julie, die neben all ihren anderen Gaben auch noch ein Talent für Verwaltungsangelegenheiten hatte, übernahm die Verantwortung für die Dankesbriefe an die Spender und die Speicherung ihrer Namen und Adressen. Ich erledigte die Fahrten innerhalb von Schottland, nahm die Sachspenden entgegen und kümmerte mich um die Planung und Vorbereitung für die Auslieferungen. Dazu gehörten die Kommunikation mit unseren Partnern in den diversen Regionen, in denen Hilfe gebraucht wurde; Anforderungslisten, der Papierkram mit dem Zoll, Streckenplanung und die Versuche, die Löcher im Dach unseres LKWs zu reparieren. Außerdem verfasste ich die Aufrufe und Newsletter, die wir mittlerweile an die wachsende Zahl unserer Unterstützer versandten, und zu meiner großen Überraschung machte mir diese Tätigkeit richtig Freude. Ich begann sogar, damit noch ein bisschen Geld reinkam (ich war nach wie vor ein unbezahlter ehrenamtlicher Mitarbeiter, lebte von meinen Ersparnissen, und bei Mum und Dad musste ich ja für die Unterkunft nichts bezahlen), einige Artikel über anderweitige Themen zu schreiben, und verkaufte sie an diverse Zeitungen. Und natürlich verbrachten wir einen gewaltigen Anteil unserer Zeit damit, mit unserem Truck in Europa hin- und herzufahren. In dem Jahr seit unserem ersten Trip mit dem Landrover war ich über zwanzigmal nach Bosnien-Herzegowina gefahren.
Jedes Mal, wenn ich diese Fahrten machte, lernte ich etwas, und mindestens genauso viel lernte ich von den Menschen, die auf alle möglichen Arten unsere Arbeit daheim unterstützten. Ich war tief bewegt – und herausgefordert von der Großzügigkeit, die ich erfuhr.
Mrs. Duncan Jones lebte in einem kleinen Häuschen – der Art, von der man in Märchen hört – am Ende einer arg holprigen Straße in der Nähe des Dorfs Kilmartin. Wir besuchten sie immer gern mit unserem Lieferwagen, um diverse Dinge mitzunehmen – sowohl ihre eigenen Spenden als auch Sachen, die sie von Freunden aus der Gegend bekommen hatte. Jedes Mal, wenn wir sie besuchten, servierte sie uns eine Portion ihrer fantastischen Suppe, und „um sicherzustellen, dass auf der Reise nach Bosnien das leibliche Wohl nicht zu kurz kommt …“, machte sie für uns die köstlichsten Früchtekuchen, die ich je gegessen habe. Diese Früchtekuchen enthielten eine ganz erstaunliche Menge Brandy. Manchmal deponierte sie sie für uns an einer bestimmten Tankstelle auf unserer Route nach Glasgow, und dazu noch einen Zettel mit einigen aufmunternden Worten. Ihr Mann, ein Pfarrer der Episkopalen, starb kurz nachdem wir sie kennengelernt hatten, doch ihr unermüdlicher Einsatz und ihre Unterstützung ließen zu keiner Zeit nach. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich sie besuchte, um wieder eine Wagenladung Spenden mitzunehmen. Als sie mir die Suppe servierte, sah ich, dass sie statt einer Schöpfkelle einen alten Becher nahm, um meine Schale zu füllen. Jetzt erst bemerkte ich die leeren Schränke und Regale in ihrer Küche – offenbar war fast alles ausgeräumt. Besorgt fragte ich, ob es ihr gut ginge.
„Ja, alles prima“, sagte sie lächelnd.
„Ziehen Sie um?“, fragte ich.
„Nein, nein. Mir gefällt es hier. Ich habe einfach über diese Familien in Bosnien nachgedacht, die in ihre Wohnungen zurückkehren und gar nichts mehr haben. Sie brauchen diese Dinge nötiger als ich. Ich meine, wozu braucht denn eine alte, alleinlebende Frau wie ich eine Schöpfkelle? Oder Extra-Platten und Schüsseln, die ich sowieso nie benutze?“
Ich rollte von ihrem Haus den Hügel hinunter, den Lieferwagen voll mit ihren Haushaltsgegenständen und neben mir auf dem Beifahrersitz den sorgfältig eingepackten Kuchen. Im Rückspiegel sah ich die winkende Mrs. Duncan Jones. Sie lächelte übers ganze Gesicht.
Es gab noch weitere Herausforderungen für mich. Wenige Wochen zuvor unterhielten sich Julie und ich (wir waren mittlerweile verlobt) auf der letzten Etappe der Rückreise von einem weiteren Trip nach Bosnien-Herzegowina, und sie begann, vorsichtig-freundliche Fragen wegen meiner Schüchternheit zu stellen – und wegen meiner Art, mich zu kleiden. Ich hatte ihr zu ihrer nicht geringen Bestürzung mit einer gewissen Selbstgefälligkeit mitgeteilt, dass alle meine Klamotten (abgesehen nur von meinem Kilt) nicht mehr als eine Waschmaschinenladung ausmachten. Es war ein ziemlicher Schock für sie, dass ich nicht deswegen so abgerissen aussah, weil ich gerade in der Gegend herumfuhr und den ganzen Tag Lastwagen belud.
„Nun, das wird dann wohl der Grund dafür sein, dass alle deine Klamotten denselben grässlichen Grauton haben“, sagte sie trocken nach kurzem Schweigen.
„Was willst du eigentlich machen, wenn wir mit dieser Sache hier fertig sind? Wirst du wieder als Fischfarmer arbeiten?“, fragte sie mich.
Ich dachte kurz nach und sagte dann: „Ich weiß es eigentlich noch nicht. Das Einzige, was ich sagen kann: Es wird nichts, bei dem ich mit Leuten zu tun haben muss!“
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