Fast sämtliche Kisten, die wir zum Verpacken benutzten, wurden von Whiskyfirmen zur Verfügung gestellt. Es waren robuste Kisten, ideal für unsere Zwecke geeignet, allerdings konnten sie gewaltige Aufregung und Empörung bei Grenzkontrollen auslösen. Zollbeamten und Polizisten blieb die Luft weg, wenn wir auf ihre Aufforderung reagierten, die Ladefläche unseres Lastwagens zwecks Inspektion zu öffnen. Sie vermuteten natürlich als Erstes, dass diese „Wohltätigkeitsheinis“ in Wahrheit Whiskyschmuggler waren. Und sie machten immer einen etwas enttäuschten Eindruck, wenn wir die Kisten öffneten und der banale Inhalt zum Vorschein kam.
Im Lauf der Zeit stellten wir ein interessantes Muster bei den Supermarktsammlungen fest: Wir erhielten in den ärmeren Vierteln Glasgows – häufig in Siedlungen mit den schlimmsten Arbeitslosigkeits- und Armutsquoten in ganz Großbritannien – deutlich mehr Spenden als in den wohlhabenderen Vororten. Nicht dass ich behaupten könnte, die Gründe dafür zu kennen – aber es war jedenfalls ein reales und sehr deutlich ausgeprägtes Phänomen.
Etwas schwerer fiel es mir, „Spendermuster“ vorherzusagen, wenn ich auf der Straße eine Geldsammlung durchführte. Diese Tätigkeit fand ich wesentlich unangenehmer als die Supermarkt-Sammlungen. Mir kam es irgendwie schwieriger vor, einen Fremden um Geld zu bitten statt um Essen. Obwohl ich ganz offenkundig nicht für mich selbst sammelte, fiel es mir aus irgendeinem Grund sehr schwer, mit einer Sammelbüchse zu rasseln und zu sagen „Bitte helfen Sie den Menschen von Bosnien-Herzegowina“. Es war immer ein Moment von Erniedrigung damit verbunden; möglicherweise eine winzige Ahnung davon, was es bedeutet, für die eigenen Bedürfnisse betteln zu müssen.
Um mir die langen Stunden auf der Straße zu vertreiben, machte ich mir manchmal ein Spiel daraus, zu raten, wie die Fußgänger reagieren würden, wenn sie auf mich mit meiner Sammelbüchse zukamen: der muskulöse Typ mit den Tattoos; die Frau mit dem Kinderwagen; die Schulkinder in der Mittagspause; der Straßenmusikant, der genervt war von meiner Anwesenheit in „seinem Revier“. Immer wieder wurde ich überrascht. Ich konnte überhaupt keine Muster erkennen, keine Kategorien von Leuten aufstellen und sie in Beziehung setzen zu der Wahrscheinlichkeit, mit der sie ein paar Münzen in meine Büchse warfen. Und ich konnte auch keine unterschiedlichen Muster bei Männern oder Frauen erkennen, bei Jungen oder Alten, bei eher bescheiden oder eher selbstbewusst Auftretenden, bei Sängern alter deprimierender schottischer Lieder oder peppig, aber falsch spielenden Dudelsackspielern. Ich bin sicher, andere haben auf diesem Gebiet wissenschaftliche Experimente durchgeführt und könnten mich widerlegen; ich stellte jedenfalls fest, dass Menschen jeglicher Art extrem großzügig und extrem geizig sein können.
Einen noch sehr viel krasseren und interessanteren Kontrast erlebten wir, als wir die Erlaubnis erhielten, im Vorfeld eines nationalen Pokalendspiels eine Straßensammlung vor dem Fußballstadion zu veranstalten; das Spiel wurde ausgetragen zwischen den beiden Giganten des schottischen Fußballs, den Glasgow Rangers und Celtic Glasgow. Das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen beiden Teams steht in dem Ruf, womöglich die leidenschaftlichste Rivalität im gesamten Weltfußball zu sein, repräsentieren sie doch die Gruppierungen der Protestanten und der Katholiken Westschottlands und den reichlich abstoßenden historischen Ballast, der damit verbunden ist. Wir waren also nicht ganz frei von gewissen Befürchtungen, als wir uns mit unseren Sammelbüchsen unter die Fans mischten, die zu Zehntausenden ins Stadion strömten. Ich fragte mich, ob sie uns überhaupt wahrnehmen oder auf unsere Bitten reagieren würden. Meine Sorgen waren unberechtigt – sie spendeten in ganz unglaublichem Ausmaß. Es war die ergiebigste Spendenaktion, die wir bis dahin erlebt hatten. Ich vermute, dass ein bestimmtes Wettbewerbselement mit hineinspielte. Vielleicht nahmen sie ja an, dass wir die Erträge getrennt ermitteln würden, einerseits die von den Fans in Blau, andererseits die von den Fans in Grün, und das Ergebnis würden wir dann an die große Glocke hängen, sodass jeder es mitbekam. Oder vielleicht begünstigten auch die vor dem Spiel konsumierten Biere das Öffnen von Herzen und Geldbeuteln. Was auch immer die Gründe sein mögen (und ich bin sicher, in Wahrheit waren sie sehr viel ehrenwerter als meine Vermutungen), jedenfalls sammelten wir in der kurzen Zeit, während die Fans ins Stadion eingelassen wurden, eine absolute Rekordsumme. Die Verbindung mit diesen Fußballvereinen in Glasgow hatte übrigens auf unterschiedliche Weise noch weiter Bestand.
Ein paar Jahre nach dieser Episode wurde ich zwei berühmten ehemaligen Fußballern vorgestellt, Frank McGarvey und Gordon Smith, die für Celtic bzw. die Rangers gespielt hatten. Sie beschlossen, ein Benefizspiel zwischen ehemaligen Spielern beider Clubs zu organisieren, um Spenden für uns einzutreiben. Als Celticfan und begeistertem Fußballspieler konnte mir natürlich nichts Besseres passieren. Sie buchten ein kleines Stadion im Glasgower East End und riefen ihre Freunde aus den beiden Clubs an. Viele berühmte Spieler waren bereit teilzunehmen.
Am Tag vor dem großen Ereignis redete ich kurz mit Frank über einige letzte Vorbereitungen. Ich wollte wissen, ob sein Team auch in Form war.
„Na ja, nicht so ganz“, antwortete er. „Einige haben auf den letzten Drücker noch abgesagt. Pack mal am besten deine Fußballschuhe ein.“
Ich lachte.
„Nein, ich mach keine Witze. Nimm deine Schuhe mit. Du bist schön groß, und du hast mir erzählt, dass du ein bisschen spielen kannst.“
Er hängte auf. Ich hörte auf zu lachen. Dann rief ich meine Freunde an, um ihnen die Neuigkeit mitzuteilen. Dann suchte ich nach meinen alten Schuhen, die ich schon seit einer Weile nicht mehr gebraucht hatte. Am nächsten Tag saß ich dann in der Umkleidekabine mit einer Gruppe von Spielern, lauter Kindheitshelden von mir, die sich über Taktik unterhielten und wie man die Rangers schlagen konnte. Ich erinnerte mich an zahlreiche Träume aus meiner Kindheit, die ganz genauso verlaufen waren. Das war schon sehr besonders.
„Wo willst du spielen?“, fragte Frank, als er begann, das Team zu organisieren, und ich brauchte eine Weile, bis ich merkte, dass er mit mir sprach.
„Hmm, also – vorne, im Sturm.“
„Prima. Dann sind wir beide die Stürmer.“ Er lächelte. „Mach dir keinen Kopf. Zusammen kriegen wir das hin.“
Und so kam es dazu, dass ich tatsächlich in einem Fußballspiel von Celtic gegen die Rangers mitkickte. Faktisch war ich gegen einen ihrer berühmtesten ehemaligen Spieler eingesetzt, den gegenwärtigen Kapitän der englischen Nationalmannschaft, Terry Butcher. Er ist ein Riese. Ich glaube, er hat mich während des Spiels geschont, obwohl seine Freundlichkeit nicht so weit ging, mir allzu viele Ballkontakte zu ermöglichen. Ich habe auch wirklich nicht sehr gut gespielt, habe einige Torchancen vergeigt. Und wir haben das Spiel verloren. Einige meiner Freunde aus Dalmally waren mit mir gekommen, um mich spielen zu sehen, was mir viel bedeutete, obwohl sie sich dann hinterher in der Kneipe damit amüsierten, meine Leistung zu analysieren.
Diese ganze Erfahrung fühlte sich an, als wolle mir Gott eine kleine süße Belohnung geben. Ein wundervolles Überraschungsgeschenk. Etwas vollkommen Unerwartetes, das aber in Beziehung zu einem Herzenswunsch von mir stand (und zwar einem kindlichen Herzenswunsch, den ich als Erwachsener nicht auszusprechen gewagt hätte) oder zu einer Sehnsucht, die nur er kannte. Und dazu das Gefühl, dass er wollte, dass ich wusste: Er versteht mich. Etwas dergleichen ist mir seither noch viele Male passiert – unverdiente, unerwartete Geschenke aus heiterem Himmel, die nur ausgepackt werden können, wenn man sich wie ein Kind fühlt.
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