Walter Swoboda
Eine Pandemie verändert die Welt
Gentechnik, Datenschutz und ein ethisches Dilemma
UVK Verlag · München
Umschlagabbildung: © peterhowell · iStock | Autorenfoto: © privat | Kapitelendpiktogramm: © Walter Swoboda
Prof. Dr. Walter Swobodaist Arzt, Informatiker und Forschungsprofessor an der Hochschule Neu-Ulm. Als Gründer der gemeinsamen Ethikkommission der Hochschulen Bayerns (GEHBa) beschäftigt er sich mit ethischen Fragen zu neuen Technologien aus Medizin und Informatik.
DOI: https://doi.org/10.24053/9783739881959
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Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
ISBN 978-3-7398-3195-4 (Print)
ISBN 978-3-7398-0585-6 (ePub)
„Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“
Bert Brecht, Dreigroschenoper
Was Sie vorher unbedingt wissen sollten!
Das ist nicht die erst Pandemie der Menschheit und es wird nicht ihre Letzte sein. Aber COVID-19 wird in die Geschichte eingehen als Treiber von Innovationen. In der Folge werden wir vor völlig neuen Herausforderungen stehen.
1918 verbreitete sich die Spanische Grippe , sie tötete in kurzer Zeit über 50 Millionen Menschen. Der auslösende Virus gehört zur Gruppe der Influenza-A-Viren und ist nie ganz verschwunden: Der Erreger der Schweinegrippe (2009 · circa 150.000 Tote) ist dem gleichen Stamm zugehörig und hat sich sehr wahrscheinlich durch Mutation aus der Spanischen Grippe entwickelt. Weitere verwandte Viren verursachten die Asiatische Grippe (1967 · circa eine Million Tote), die Hongkong Grippe (1968 · circa eine Million Tote). Epidemi enEpidemien und ihre weltumspannenden Schwestern, die Pandemi enPandemien, sind also nichts Neues.
COVID-19 ist trotzdem eine Ausnahmeerscheinung, und zwar gleich aus mehreren Gründen. Zum einen verbreitete sie sich extrem schnell über den ganzen Erdball und befiel auch entlegene Gebiete. Die Infektion ist offensichtlich ziemlich effektiv bei der Übertragung von Mensch zu Mensch. Zum anderen ist die Erkrankung nicht besonders tödlich, hat also eine relativ niedrige Mortalität. Das ist zunächst eine gute Nachricht, aber leider sind gerade solche Krankheiten schwer zu besiegen. Die Infizierten sind anfangs nur wenig eingeschränkt und bleiben sozial aktiv. Sie gehen weiterhin zur Arbeit, feiern und nehmen an Veranstaltungen teil, womit die Ansteckungsgefahr ansteigt. Im Gegensatz dazu neigen von Anfang an schwer verlaufende Infektionserkrankungen dazu, ihre Wirte (das sind wir) lokal auszurotten, wodurch die Erreger selbst verschwinden, jedenfalls bis zum nächsten Ausbruch. Ein Beispiel: Das hochansteckende Ebola Fieber wird vom gleichnamigen Virus ausgelöst, endet zwischen 25–90 Prozent tödlich und geht früh mit ausgeprägten Symptomen einher. Bisher konnten alle Ausbrüche der Krankheit beherrscht werden. Allerdings muss das nicht so bleiben, denn der Erreger springt immer wieder vom Tier auf Menschen über. Zuletzt waren erhebliche Anstrengungen nötig, wie die komplette Abriegelung der Infektionsareale. Trotzdem waren mehr als 10.000 Tote zu beklagen. Es ist davon auszugehen, dass Ebola bisher schlecht an die menschliche Spezies angepasst ist und deshalb dieses für seine Verbreitung ungünstige Verhalten zeigt1. ‚Erfolgreiche‘ Krankheiten töten nicht. Sie bleiben stattdessen möglichst lange ansteckend, um viele Individuen zu infizieren. Anpassungen erfolgen aber eher in Zeiträumen von Jahrzehnten als in Monaten, denn die Evolution benötigt vor allem eines: Zeit.
Wissen | Herpes
85 Prozent aller Menschen sind mit den Herpesviren infiziert, bei vielen manifestiert sich die Erkrankung als harmlose Lippenherpes (Bläschenbildung). Es kommen aber mehr oder weniger schwere Komplikationen vor, wie Befall der inneren Organe bis hin zu Lungenentzündung. Herpes ist hoch ansteckend, Hautkontakt kann ausreichen, auch die gemeinsame Benutzung von Besteck. Selbst Tröpfcheninfektion durch Husten ist möglich.
Die Hauptgründe für die Sonderstellung der aktuellen Pandemie liegen nicht nur an der Erkrankung selbst, sondern an den äußeren Umständen. Sie trifft uns in Zeiten einer weltweit dichten Besiedelung bei etablierter Globalisieru ngGlobalisierung. Das ist relevant, denn Bevölkerungsdichte und Bevölkerungsmobilität begünstigen die Verbreitung einer Epidemie. Infizierte stecken in kurzer Zeit wesentlich mehr Mitmenschen an, zusätzlich erreichen wegen der Reisetätigkeit die Erreger schnell bisher verschonte Gebiete. Durch Entstehen von Brückenköpfen bilden sich Hotspots , von denen dann weitere Infektionen ausgehen. Die Ausbreitung wird damit parallelisiert.
Wissen | Pest
Die Pest konnte sich in Irland nie flächendeckend ausdehnen, da das Land in früheren Jahrhunderten zu dünn besiedelt war und es keine nennenswerte Reisetätigkeit gab. Das lässt sich heute noch nachweisen: Der Krankheitsverlauf der schwarzen Pest verläuft bei Menschen mit Blutgruppe 0 durchschnittlich schwerer als bei Trägern anderer Blutgruppen und führt damit zu mehr Todesfällen bei Menschen mit dieser Blutgruppe. Deshalb wurde die Blutgruppe 0 in Europa eher selten, nicht aber in Irland.2
In der Folge werden Epidemien und Pandemien in kürzeren Abständen auf uns zukommen und die durch sie verursachten Krankheiten werden potenziell gefährlicher. Was erwartet uns? Da bestehen grundsätzlich drei Möglichkeiten:
Epidemien verschwinden wieder wegen einer Verhaltensänderung der Bevölkerung (soziale Anpassung)
Epidemien verschwinden wieder durch den Einsatz neuer Behandlungen (medizinischer Fortschritt)
Epidemien bleiben bestehen, oft besser angepasst mit verringerter Mortalität (Persistenz)
Meist ergeben sich Kombinationen: Die Pest wurde überwunden durch Änderung des Verhaltens (Hygiene) und durch bessere Behandlungsmöglichkeiten (Antibiotika). Die verschiedenen Formen der Grippe wurden eingedämmt durch neue Behandlungen (adjuvante Therapie, Impfung), bleiben aber latent vorhanden. Malaria als Beispiel einer in einigen Gegenden epidemischen Erkrankung kann nur eingeschränkt behandelt werden und breitet sich weiter aus.
Im aktuellen Fall versuchen wir es mit einer Kombination der ersten beiden Möglichkeiten (Verhaltensänderung und Impfung). Allerdings ist sicher, dass uns die aktuelle Pandemie noch einige Zeit beschäftigen wird, denn durch die weltweite Verbreitung und der kaum schnell genug durchführbaren Immunisierung aller Menschen werden sich immer wieder Mutationen bilden. Die führen dann zu lokalen Ausbrüchen mit partieller Resistenz. Sogar wenn einzelne Länder die gesamte eigene Bevölkerung durch Impfung immunisieren: Die Gefahr des Einschleppens einer neuen Variante bleibt. Durch die hohe Anzahl von Infizierten wird auch eine große Anzahl von Viren erzeugt. Jede „Herstellung“ eines Virenkörpers bedingt die Wahrscheinlichkeit einer Veränderung oder Mutation. Die weitaus meisten Mutanten werden sich als nicht erfolgreich herausstellen – ihre Linie stirbt schnell ab. Aber eine kleine Anzahl wird sich behaupten und ist eventuell gegen Impfungen oder andere Gegenmaßnahmen unempfindlicher.
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