»Das lehmige Wasser ist zu schwer«, erklärte der Pawnee. »Wenn sich deine Kleidung damit vollsaugt, kannst du dich nicht mehr in der Strömung halten. Du wirst wie ein nasser Sack untergehen!«
Jeremy Slater zauberte eine weitere Flasche Whiskey aus seinen Satteltaschen. Die Kerle grölten fröhlich und gesellten sich um ihren Boss. Für einen kurzen Augenblick war die unheimliche Kreatur, die die Rinder gerissen hatte, vergessen. Morgen würden sie die Herde ins Valley der Blue-Lodge-Ranch bringen. In Gedanken versunken, nippte der Cowboy an seinem Trinkbecher. Solange sie nicht auf der Ranch waren, würde er keine Sekunde ruhig schlafen können. Hekate war ein Miststück und sie würde sich früher oder später wieder zeigen.
Die Männer standen in drei Reihen hintereinander auf dem Hof der Three-Pearls-Ranch. Brutal brannte die Mittagssonne auf sie herab. Der Schweiß floss in Strömen über die Gesichter. Die Hemden waren durchgeschwitzt. Doch das nahmen die Männer nur am Rande wahr. Alle Augen waren auf Desmond Pickett und seine rechte Hand, Mr. Willard, gerichtet, die aus dem Haupthaus kamen. Augenblicklich nahmen die Männer Stellung an.
Pickett hatte sein weißes Tuch mit dem hellblauen Karomuster in der Hand und tupfte damit über seinen glänzenden Schädel. Willard folgte ihm wie ein Schatten. Trotz der hohen Temperaturen war er wie immer komplett in Schwarz gekleidet.
Pickett trat vor die versammelte Mannschaft, die sich sichtlich unwohl fühlte, als der kahlköpfige Mann sie mit grimmiger Miene musterte. Der Boss der Three-Pearls-Ranch war in übler Laune. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten.
Pickett gab ein Zeichen und ein breiter Chuckwagon kam aus dem Stall gefahren. Der rattengesichtige Gary (der vor einem Tag aus Cheops zurückgekommen war) saß auf dem Planwagen. Wortlos lenkte er den Planwagen in den Hof. Das Pferd tänzelte nervös, als es vor den versammelten Männern zum Stehen kam. Gary stieg vom Wagen, nickte seinem Boss zu und öffnete dann die Plane des Chuckwagons.
Ein Raunen ging durch die Männer, als sie sahen, was sich unter der Plane befand. Gary zog den Toten aus dem Wagen und ließ ihn unsanft auf den Boden fallen. Eine Staubwolke stieg beim Aufprall des Körpers empor. Schnell trat Pickett einen Schritt zurück, aus Angst, dass seine schwarzen soeben polierten Stiefel staubig werden könnten.
Der Tote war nackt. Dort, wo seine Genitalien hätten sein sollen, befand sich nur ein dunkelroter, fast schwärzlicher Fleck. Der Hals war mit blauen länglichen Flecken übersät, die einen starken Kontrast zu der bleichen Haut bildeten. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt, denn die Finger waren seltsam verkrampft. Wie ein dicker, aufgeblähter Wurm hing die Zunge aus dem offenen Mund heraus.
»Tja, ich muss euch leider die traurige Nachricht überbringen, dass unser langjähriger Weggefährte Tony seine letzte große Reise angetreten hat.« Picketts Stimme war leise, trotzdem war sie bis in die hinterste Reihe zu hören. Der Boss der Three-Pearls-Ranch musste sich sehr beherrschen, dass er keinen Tobsuchtsanfall bekam.
»Und wisst ihr, wie er gestorben ist?«, fragte Pickett in die Runde. In diesem Moment wirkte sein Gesicht einmal mehr wie ein sprechender Totenkopf. Aufgrund seiner inneren Erregung spannte sich die Haut straff über den Schädel.
»Keine Idee? Niemand?« Desmond Pickett starrte in die ängstlichen Gesichter seiner Männer. Niemand wagte es, den Boss direkt anzuschauen.
»Gut, dann sage ich es euch! Dieser Scheißkerl wollte sich an meiner geliebten Katerina vergreifen.«
Unsicher schauten sich die Männer an. Sie konnten nicht begreifen, dass Tony so dumm gewesen war!
»O ja, ihr habt richtig gehört! Dieser Bastard hat sich zugesoffen und ist dann in MEINEN Weinkeller spaziert, um MEINE KATERINA zu ficken!«
Noch immer blieb es still. Die Anspannung war so präsent, dass sie fast greifbar war. Desmond Pickett schnaubte verächtlich und blickte auf seine polierten Stiefel. »Gott sei Dank hat sich MEINE Frau zu wehren gewusst und hat diesen Drecksack eigenhändig erwürgt.«
Pickett atmete tief ein und aus, um sich wieder zu beruhigen. »Wir werden seinen Körper den Ameisen zum Fraß vorwerfen und seine bleichen Gebeine in meinen Weinkeller hängen. Als Warnung für alle, die sich meinen Regeln und Gesetzen widersetzen!«
Die Männer nickten stumm. Einige atmeten erleichtert auf, doch sie hatten sich zu früh gefreut, denn der Zorn von Desmond Pickett war noch lange nicht erloschen.
»Wo ist Tonys Bruder?«, fragte er sanft und sein Blick wanderte durch die Reihen. »Na, wo ist er denn?«
Ein Mann mit kurzen blonden Haaren und einem Dreitagebart hob zögernd die Hand. Instinktiv wichen die anderen Männer einen Schritt von dem armen Kerl zurück.
»Du bist also der Bruder von dem lieben Tony?«, fragte Desmond und schien den jungen Mann mit seinen Augen aufzusaugen. Der Angesprochene nickte ängstlich.
»Wie ist dein Name? Martin, richtig?«
»Marten, Sir!«
»Ach ja, Marten! Ich erinnere mich.« Desmond Pickett winkte den angsterfüllten Burschen zu sich. »Komm mal her, ich möchte mich mit dir unterhalten!« Ganz langsam setzte sich Marten in Bewegung und trat furchtsam vor seinen Boss. In seinen Händen hielt er verkrampft seinen Stetson. Die versammelten Männer würdigten Marten keines Blickes. Der Boden und die Spitzen ihrer Cowboystiefel waren plötzlich viel interessanter als das Geschehen vor ihnen.
»Deine Familie kommt aus Cheops, richtig?«, fragte Desmond Pickett und legte dem jungen Mann wie ein guter Vater den Arm um die Schulter.
»J-Ja, Sir!«
»Deine Eltern führen den kleinen General-Store.«
»Das stimmt, Sir! B-Bitte, Sir … ich habe mit der Sache nichts zu tun. I-Ich wusste nicht, was Tony vorhat.«
»Das weiß ich, Marten. Das weiß ich doch!« Pickett grinste ihn an. »Heute ist dein Glückstag, mein Junge!«
»Wieso, Sir?«, fragte Marten unsicher, nachdem Pickett nicht weitersprach und stattdessen seinen Revolverhelden Willard zu sich winkte, der aus seiner Weste einen Strang Klaviersaiten zog. Martens Augen weiteten sich voller Entsetzen. »N-N-Nein, ich schwöre, ich habe nichts damit zu tun! Bitte nicht! BITTE!«, flehte Marten und versuchte, einen Schritt zurückzuweichen. Doch Pickett griff nach seinem Arm und zerrte ihn unsanft zurück.
»Eigentlich wollte ich dich singen hören! Willard hat extra diese schönen Klaviersaiten besorgt. Aber ich habe es mir im letzten Moment anders überlegt!«
Erleichterung machte sich auf dem Gesicht des Mannes breit. Tränen rannen seine geröteten Wangen hinunter. »Danke, Sir! Oh Gott! Ich danke Ihnen!« Er ging demütig auf die Knie und küsste dankbar die Hand von Desmond Pickett.
»Wir haben uns etwas ganz Tolles für dich überlegt, mein Junge!«, sagte Pickett und trat einen Schritt zurück.
»Was?« Unverständnis spiegelte sich in dem Gesicht des Burschen wider.
Pickett gab Willard ein Zeichen und der Revolverheld trat vor den knienden Mann und zog seinen Revolver aus dem Holster.
»Ich möchte, dass du den Lauf von Willards Waffe in den Mund nimmst und daran lutschst!«
»N-N-Nein, Sir, das können Sie nicht machen! Bitte! Ich flehe Sie an!«
»NIMM DEN SCHEISSREVOLER IN DEIN MAUL, ODER ICH SCHWÖRE BEI GOTT, ICH WERDE DICH BEI LEBENDIGEM LEIB HÄUTEN, DU VERDAMMTE MISSGEBURT!«, schrie Desmond Pickett den jungen Mann an, während ihm der Speichel aus dem Mund lief. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt.
»Tun Sie das nicht … bitte … ich habe …«, wimmerte der Mann am Boden. Er wollte noch etwas sagen, doch Willard hatte ihm schon den Lauf seines Revolvers mit brutaler Härte in den Mund gerammt. Wahrscheinlich waren die Vorderzähne dabei abgebrochen, denn ein dünnes Blutrinnsal ergoss sich über seine Lippen. Marten schloss verkrampft die Augen. Er wartete darauf, dass ihm der Revolverheld das Hirn wegblies. Doch nichts geschah! Ganz langsam öffnete Marten wieder die Augen und blinzelte zu dem Mann in Schwarz nach oben.
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