22. März. »Mir fehlt beim Beten die Leidenschaft, die innere Kraft, das Leben, nach denen ich mich sehne. Ich weiß, viele finden, es sei Schwärmerei, wenn sie etwas hören, das nicht im Einklang steht mit den üblichen einschläfernden Lobreden, die so oft von laodicäischen Lippen ausgehen; ich weiß aber auch, dass die gleichen Leute Sünde ruhig dulden, sowohl in ihrem eigenen Leben als auch in der Gemeinde, ohne jedes Wimpernzucken. Kalte Gebete, so wie herzenskalte Freier, kamen selten an ihr Ziel.«
29. März. »Nur noch zwei Tage und wieder wird ein Monat vorbei sein und sich den vergangenen anschließen – und indem das geschieht, möchte ich sagen: ›Gedankt sei Gott für diese 31 Tage.‹ Die letzten Wochen haben immer größere Freude gebracht, sodass ich jeden Abend sagen kann, wenn ich an die Freundlichkeit des Heilands denke: ›Sie ist heute wundervoller als gestern.‹ Jeden Abend sind wir hier zusammengekommen, und die geplante Zeit ist meistens überschritten, wenn wir wieder aufstehen und das Gefühl haben, dass wir eigentlich unsere Gesichter bedecken müssten, weil ein kleiner Abglanz der Herrlichkeit darauf liegt, die der Herr uns geschenkt hat. Das ist für mich wahres Christentum, wenn Kameraden beten und dann sehen, wie unter den Studenten Wunder geschehen. Jeder Tag wird ein Tag mit neu bewirkten Wundern.«
Aus dem letzten Brief in seinem zweiten Studienjahr: »Was für eine grausame Herrin ist die Sünde – sie nimmt unserem Leben die Freude, stiehlt Geld und Gesundheit, macht Versprechungen von kommenden Genüssen und führt einen schließlich auf die verfaulten Planken, die über der Öffnung des Höllenpfuhls liegen. Mit aufrichtigem Loben kann ich heute Abend aufsehen zu Gott und mich über Seine herzliche Güte freuen, dass Er mich erlöst hat von einem sinnlosen Leben der Enttäuschung und von den anschließenden Qualen des ewig nagenden Gewissens, des Bedauerns und der zu späten Reue.«
Es geschah im Laufe dieser beiden Collegejahre, dass Jim die unmittelbare, persönliche Bedeutung von Jesu Gebot klar wurde, hinzugehen und das Evangelium zu verkündigen. Er kam zu der Überzeugung, dass der Befehl auch ihm gelte. Über den genauen Zeitpunkt, wann diese Überzeugung bei ihm durchbrach, gibt es keinen Bericht, aber ein kleines schwarzes Notizbuch mit auswechselbaren Blättern zeugt von seiner Sorge um die Millionen, die noch keine Möglichkeit gehabt hatten zu hören, was Gott getan hat, um den Menschen zu sich zurückzubringen. Das Notizbuch wurde nach Jims Tod am Ufer des Curaray gefunden, die Blätter lagen auf dem Sand verstreut, bei manchen war die Tinte durch das Wasser völlig ausgelöscht, andere waren schmutzig und verregnet, aber doch noch leserlich. Abgesehen von den Namen von Hunderten von Menschen, für die Jim betete, fand sich unter den Notizen auch ein Rezept, wie man Seife macht (aufgeschrieben sicherlich in der Voraussicht, dass er eines Tages ein Pionierleben auf irgendeinem Missionsfeld führen würde); außerdem Notizen für seine eigenen Predigten auf Englisch, Spanisch, Quechua; Aufzeichnungen über die Waoraniprache und statistische Zahlen über Äußere Mission, die er sich in seiner Collegezeit notiert hatte. Nachfolgend ein Auszug:
»1 700 Sprachen haben kein einziges übersetztes Wort der Bibel. 90 Prozent derer, die sich für das Missionsfeld melden, gelangen nie dorthin. Es ist mehr nötig als nur ein ›Herr, ich bin willens‹. 64 Prozent der Menschheit hat noch nie etwas von Christus gehört. In jeder Stunde sterben 5 000 Menschen. Die Bevölkerung von Indien ist so groß wie die von Nordamerika, Afrika und Südamerika zusammen. Dort kommt ein Missionar auf 91 000 Menschen. In den fremden Ländern gibt es einen Reichsgottesarbeiter auf je 50 000 Menschen, während es in den USA einen auf 500 gibt.«
Angesichts des eindeutigen Befehls Christi in Verbindung mit diesen erschütternden Fakten glaubte Jim, dass er, wenn er in den Staaten bliebe, nachweisen müsse, dass sein Bleiben gerechtfertigt sei.
Er fasste den Plan, in die Äußere Mission zu gehen, wo immer Gott ihn hinführen würde, und unternahm die ersten praktischen Schritte in diese Richtung im Sommer 1947, indem er per Anhalter nach Mexiko fuhr, zusammen mit Ron Harris, einem Collegefreund, dessen Eltern dort als Missionare lebten. Über seine ersten Eindrücke schrieb er seinen Eltern am 23. Juni:
»Mexiko hat mein Herz gestohlen. Wir sind jetzt vierzehn Tage hier bei Rons Familie, und sie haben mich eingeladen, so lange dazubleiben, wie ich Lust habe. Im Augenblick wünschte ich fast, es wäre für immer … Gott hat mir sehr viel Freundlichkeit erwiesen, dass Er mich hierhergeführt und mir Gelegenheit gegeben hat, ein wenig das Arbeitsfeld zu sehen und die Sprache zu hören. Missionare sind sehr menschenfreundlich; worum man sie bittet, das tun sie. Sie selber ordnen sich ganz unten ein und wollen Ihn preisen in allem, was sie tun.«
Jim blieb sechs Wochen bei der Familie Harris. Er machte seine ersten spanischen Sprachstudien, beobachtete die Methoden seiner Gastgeber bei der Missionsarbeit, erhielt von ihnen Ratschläge und machte sich über alles, was er aufnahm, Notizen, sogar über die spanischen Namen von Vögeln, Blumen und Bergen.
Gegen Ende seines Aufenthaltes in Mexiko wurde er gebeten, in einer Versammlung für Kinder zu sprechen. Trotz seiner erst einmonatigen Sprachstudien entschloss er sich, es zu versuchen, und zwar ohne Dolmetscher.
»Das Thema war die Arche Noah und der Regenbogen der Verheißung«, erinnert sich Ron Harris. »Etwa 150 Kinder saßen aufmerksam und ruhig da, während Jim über eine halbe Stunde lang zu ihnen sprach. Hinter ihm war eine Tafel, und jedes Mal, wenn er ein Wort nicht wusste, zeichnete er auf die Tafel und fand irgendjemand, der ihm das Wort, das er brauchte, sagte. Durch seinen glühenden Eifer und indem er alles, was er lernte, bereitwillig anwandte, kam er mit dem Spanischen trotz der kurzen Zeit sehr gut voran.«
Als Jim nach Oregon zurücktrampte, gab es für ihn kaum noch einen Zweifel, dass Lateinamerika das Land war, in welches Gott ihn rief. Er wusste jetzt, dass er sich nie mit dem »Üblichen« würde begnügen können. Sein Blick war auf die gerichtet, die das Wort noch nie gehört hatten.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ] Unbeirrbar auf das vorgesteckte Ziel zu Die Feuerflamme Siehe, wir wandeln im Dunkeln Taumelwein Schafe – für den Altar bestimmt Getrieben von Gott Neue Freiheit Prüfung durch Muße Prüfung durch Dienst Stimmen rufen Das Musterbild Von allen eigenen Möglichkeiten abgeschnitten Genau im richtigen Augenblick Die Hand ist an den Pflug gelegt Auf See Träume sind Schäume Verwirklichung des großen Willens Drei Glaubensprüfungen Siehe, das ist unser Gott Das Musterbild wird Wirklichkeit Auftrag ausgeführt Nachwort
UNBEIRRBAR AUF DAS VORGESTECKTE ZIEL ZU
Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet bin … eines aber tue ich: Ich vergesse, was dahinten, strecke mich aber aus nach dem, was vorn ist, und jage auf das Ziel zu, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.
Philipper 3,12-14
Als Jim 1945 nach Wheaton gekommen war, hatte er gedacht, er würde im Höchstfall vielleicht zwei Jahre bleiben können. Im Herbst 1947, nach seinem Aufenthalt in Mexiko und einigen Wochen zu Hause, hatte er jedoch genug Geld zur Verfügung, um das Studium in Wheaton fortzusetzen, und er verstand das als ein Zeichen Gottes, dass er dorthin zurückkehren solle. Sein erster Brief nach Hause trug das Datum vom 15. September:
»Dr. Brooks bat mich, am Samstag ein paar Worte vor den neuen Studenten zu sprechen, und der Herr gab mir Kraft zum Ermahnen und Ermutigen. Das Thema lautete:
›Dinge, von denen ich als vorgeschrittenes Semester wünschte, ich hätte sie von jemandem gesagt bekommen, als ich anfing.‹ Ich erwähnte, dass es im Christenleben neben dem ›Glauben‹ und dem ›Wandeln‹ auch das ›Sein‹ gibt, und ich führte Ermahnungen aus dem Neuen Testament an, wie
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