Eberharts Tür war nicht verschlossen, also polterte sie hinein und schmetterte ein »Guten Morgen«, mit einem unverschämten Grinsen auf den Lippen.
Eberhart verzog schmerzerfüllt das Gesicht und schlug die Hände über die Augen. »Als wäre es nicht genug, dass du mich mit diesem Gift abfüllst, du musst mich auch noch am Tag danach quälen.« Er senkte die Hände. Sein teigiges Gesicht hatte eine durch und durch ungesunde Farbe angenommen. Tintenkleckse von seinen Fingern zogen sich in einem bläuliches Muster über seine Wangen und die Stirn.
Aurelia trat zu ihm an den Tisch und schlug ihm auf den Rücken. »Ach, mach mir nichts vor, mein Dickerchen. Du bist doch schon seit ein paar Stunden auf, wie ich sehe.« Sie deutete auf den Tisch voller säuberlich markierter Abrechnungen.
»Ach, Buchhaltung hilft mir einfach, den Kopf frei zu bekommen.« Er löschte die letzte Rechnung mit einer Prise Sand ab und legte die Papiere dann zusammen in eine Kladde. Einen Moment blickte er sehnsüchtig auf die Karte der Südmeere über dem Schreibtisch, dann drehte er sich schwerfällig zu Aurelia herum.
»Also, was hast du für uns?«
Die Schurkin hockte sich auf den Schreibtisch und zog ein Bein an, sodass ihr Kinn auf ihrem Knie ruhte. Sie senkte verschwörerisch die Stimme.
»Ein ganz dicker Fisch, Eberhart. Gräfin, aber keine der lokalen Größen. Sie nennt sich del Mar, klingt mir nach den Kolonien. Aber das Beste ist: Sie kauft Kunstgegenstände, alte Schriften und alles Mögliche, das mit dem Laroskult zu tun hat. Spezifisch die Zeit des dunklen Korsaren.« Aurelia konnte kaum ruhig sitzen, während sie die Fakten über das neue Projekt herunterrasselte.
Eberhart strich sich über das Kinn und verteilte mehr Tinte in seinem Gesicht. Dann deutete er mit zwei fetten Fingern auf Aurelia. »Also halten wir fest: Eine ortsfremde Adlige mit tiefen Taschen, die viel Geld für leicht fälschbares Material in die Hand nimmt.« Er ließ seine Faust in die Handfläche der anderen Hand klatschen. »Aurelia, das klingt tatsächlich nach unserem großen Durchbruch!« Er legte die Hände auf die Knie und kam ächzend auf die Beine. Er musste sich kurz am Tisch abstützen und hielt sich den Kopf. »Das Zeug sollte man zum Abbeizen benutzen, nicht zum Trinken.«
Er watschelte zur Rückwand des Raumes und machte sich an dem Wandbehang zu schaffen, der die glorreiche Eroberung der Südmeerinseln durch Admiral von Streithoff zeigte. Eberhart schob den Vorhang zur Seite und legte eine Schiefertafel frei, auf der diverse Ideen, Strategien und unanständige Kritzeleien standen. Er löschte mit einer schon viel benutzten Ecke des Wandteppichs einen Großteil der Notizen aus und nahm ein Stück Kreide aus einer Schublade.
»Wir brauchen: Einen Köder, eine Gelegenheit, ein Problem und ein Finale. Ach, ich liebe den Planungsteil.« Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er sich an die Arbeit machte. Aurelia rutschte vom Schreibtisch und schnappte sich ebenfalls ein Stück Kreide. »Und diesmal wird es ein Meisterwerk!«
Die Ausstellung fand in einem der kleineren Gildenhäuser von Kammerbad statt. Die Gilde der Maler und Bleicher hatte ihre Halle zur Verfügung gestellt, während die Gerber und Kürschner die Finanzierung übernommen hatten. Niemand wollte bei den Gerbern einen Empfang geben und die Halle der Kürschner war gerade einem Brand zum Opfer gefallen. Manche sagten, es seien radikale Druiden gewesen, aber solches Gerede gab es immer.
Die Maler ließen ihre dreistöckige Gildenhalle jeden Monat in einer neuen Farbe erstrahlen. Dieses Mal hatten sie sich im Einklang mit der Ausstellung für ein meergrün mit azurblauen Akzenten entschieden. Ein Banner über dem Eingang verkündete den Titel: »Laros Kult im Wandel der Zeit – Religiöse Texte und Artefakte vom Anbeginn des Imperiums bis heute«. Vor dem Gildenhaus hatte sich eine bunte Menge der Reichen und Schönen versammelt, die sich gegenseitig mit ihren teuren Kleidern und Frisuren zu übertrumpfen suchten.
Aurelia und Eberhart schritten durch die Menge, als gehöre ihnen der Platz. Eberhart trug seine gewohnten weiten, purpurnen Stoffe und die formlose Kappe, allerdings frisch gereinigt und hervorgehoben durch südländischen Schmuck, der ausreichend echt aussah. Er trieb in einer Wolke Lavendelduft dahin, für die etwa ein Hektar Blüten ihr Leben gelassen hatten.
Aurelia hatte ihre Lederkluft eingetauscht gegen ein weites Kleid aus trawonischer Seide in sonnengelb, das ihre dunkle Haut zur Geltung brachte. Im Gegensatz zu vielen der blassen Trophäenfrauen trug sie ihr Kleid hochgeschlossen, dazu Handschuhe – es war schwierig genug, ihre Erziehung oder deren Mangel zu verbergen, aber schwielige Hände und Narben wären doch etwas zu schwer zu erklären gewesen. An ihren Fingern und am Kropfband schimmerten strahlend blaue Steine. Ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt und mit golden schimmernden Kämmen und Nadeln fixiert, ließen aber einige Locken kokett an den Ohren vorbei kringeln.
Wenn sie aus Eberharts Dunstwolke trat, konnte man einen dezenten Duft nach Zitronen und anderen Südfrüchten erahnen. Sie tat ihr Bestes, um ebenso gelangweilt auszusehen, wie die anderen Frauen.
An der Tür kontrollierte ein livrierter Diener die Einladungen und begrüßte die Gäste. Eberhart drückte ihm zwei leere Papierbögen in die Hand, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Bevor der verblüffte Diener etwas sagen konnte, warf ihm Aurelia einen verschwörerischen Blick über die Schulter zu und schüttelte den Kopf. Sie deutete mit ihrem geschlossenen Fächer auf die »Einladungen«, dann tippte sie sich erst auf die Lippen, dann strich sie sich über die linke Schulter.
Der Diener stutzte, dann zog er sich am rechten Ohrläppchen und strich sich mit dem Zeigefinger am Kinn entlang. Dann steckte er die »Einladungen« ein und wandte sich den nächsten Gästen zu.
Eberhart schnüffelte ein wenig an seinem Handgelenk und murmelte aus dem Mundwinkel: »Welche Geheimgesellschaft war das noch gleich?«
Aurelia verbarg ihre Antwort hinter dem Fächer: »Purpurne Hand. Diese Kultisten treiben sich überall herum. Zum Glück gehörte er nicht zur Roten Krone, diese komischen Zwinkercodes lassen einen aussehen wie eine Wahnsinnige.« Sie ließ ihren Blick über die versammelte Gesellschaft gleiten.
Es war eine interessante Mischung aus niederem Adel, Bürgerlichen und Gildenmitgliedern. Eine ansehnliche Anzahl von Priestern, Mönchen und Nonnen war ebenfalls vertreten, was bei dem gegeben Thema der Ausstellung nicht allzu verwunderlich war.
Eberhart nahm sich einen Moment Zeit, um die komplexen Strömungen und Interaktionen der Gesellschaft auf sich wirken zu lassen. Dort gab es eine Ansammlung von Neureichen, die sich um einen der einflussreicheren Adligen scharten und um seine Aufmerksamkeit buhlten. Hier steckten die Mitglieder offiziell verfeindeter Gilden die Köpfe zusammen, um eine geheime Preisabsprache zu tätigen. Vor einer riskanteren Darstellung der »Sturmgeborenen in den Wellen« ereiferten sich ein paar Nonnen. Wo würde man eine wahrhaft an der Kunst interessierte Person jetzt finden?
Er entdeckte sie schließlich bei den Manuskripten. Er tippte Aurelia leicht an und nickte in Richtung ihres Ziels.
Sie trug ein weites, schulterfreies Kleid aus nachtblauem Satin, reich verziert mit trawonischer Spitze und abgesetzt mit Seide und Brokat. Ihre glatten, schwarzen Haare fielen in Wellen ihren Rücken hinab, gehalten von einem silbernen Diadem und durchsetzt mit Satinbändern und glitzernden Silberfäden. In der schmalen, fast geisterhaft blassen Linken hielt sie mit müheloser Eleganz einen spitzenbedeckten Fächer, während sie mit dem rechten Zeigefinger an ihr Kinn tippte. Ihre Nägel waren im selben Ton gehalten wie ihr Kleid, und ihr Lidschatten trug eine ähnliche Farbe. Dagegen waren ihre Lippen nachtschwarz nachgezogen. Ein Schönheitsfleck unter dem rechten Auge wirkte wie eine verlorene Träne.
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