Healy wandte sich beim Weiterfahren nach dem Auto um. Er schaute ihm nach, bis sie außer Sichtweite waren. »Bye-bye, Mary«, sagte er.
Tommy sah ihn an und schüttelte den Kopf.
Einen Moment lang saßen Aggy und Ed im Wagen, ohne sich zu bewegen. Ed hatte seine Hände vor den Augen, als wollte er nichts sehen oder als würde er beten.
»Bist du okay?«, fragte sie.
»Halt die Klappe … sag bitte einen Moment mal nichts, okay?«
Sie akzeptierte, dass er sich einen Augenblick sammeln musste, und blickte ringsum durch die Fenster. Niemand war zu sehen. Sie griff nach ihrer Waffe. Die befand sich immer noch in ihrem Schulterholster.
»Wieso ist mein scheiß Airbag nicht aufgegangen?«, frage Ed schließlich.
»Auf deiner Seite ist keiner. Da haben sie den Funkverschlüssler eingebaut.«
»Ist ja brillant«, sagte er.
Sie drückte den Knopf unter dem Sitz. »Zero Alpha, hier ist One Three Kilo, check?«
»Zero Alpha, was gibt's?«, kam Grahams Stimme aus der Einsatzzentrale.
»Wir sind raus«, sagte sie. Die Worte klangen wie ein erbärmliches Schuldeingeständnis, das alle hören konnten.
Stratton nahm die Nachricht mit seiner üblichen stoischen Akzeptanz auf und hakte sie schnell ab. Er studierte die Karte und erwog die Möglichkeiten. Die offensichtliche – und die er selbst wählen würde – war, dass die Kidnapper planten, Spinks direkt über die Grenze in den Süden zu bringen. Spinks im Norden zu lassen, würde zwar das hohe Risiko eliminieren, an der Grenze angehalten zu werden, aber dann wären sie direkt unter der Nase des RUC und der Army. Wenn Stratton falsch lag und die Kidnapper im Norden blieben, dann gab es noch eine Chance, Spinks lebend zu finden. Sollten sie es über die Grenze schaffen, war Spinks mit Sicherheit ein toter Mann. Zeit war der entscheidende Faktor. Es würde wertvolle Minuten dauern, bis die Army und die Polizei an jedem Grenzübergang Straßensperren errichtet hatten, besonders an den kleinen Übergängen auf dem Land. Diese Minuten hatten sie vielleicht nicht.
Wasser aus dem Neagh spritzte auf die kugelförmige Scheibe, als der Helikopter weniger als drei Meter über den See raste. Die andere Seite war in Sichtweite, aber sie waren noch zu weit entfernt, um zu wissen, ob Spinks seinen geheimen Trumpf ausgespielt hatte, den einzigen, den er noch übrig hatte.
Brennan saß hinten im Auto, seine Pistole auf Spinks gerichtet und gleichzeitig ein Auge auf die Straße, während sie mit normaler Geschwindigkeit nach Dungannon kamen.
»Schön sachte«, sagte er. »Wir wollen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen.«
Sean war genervt von dem überflüssigen Ratschlag. Er sah den steten Strom an banalen Befehlen als Zeichen dafür, dass Brennan die Nerven durchgingen und das war nicht das, was er von einem Mann erwartete hatte, der angeblich so knallhart und erfahren war. Sean fuhr in die Stadt und bog in ein Wohnviertel ein, statt den steilen Hügel in Richtung Stadtmitte hochzufahren. »Da ist es«, sagte Brennan. »Bleib dahinter stehen.«
Sean bremste das Auto ab und parkte hinter einem Bus in der ruhigen Straße. Brennan lehnte sich näher zu Spinks, drückte ihm seine Pistole in dem Magen und versuchte so deutlich und mörderisch wie möglich zu klingen.
»Wir wechseln jetzt das Fahrzeug. Wenn du versuchst abzuhauen, erschieße ich dich, du scheiß Pink. Und wenn du Ärger machst und hier rumschreist, ist das egal, weil uns diese Straße gehört, aber ich prügle dir trotzdem die Scheiße aus dem Leib, weil du nicht getan hast, was ich gesagt habe. Verstanden?«
Spinks nickte.
»Ich habe Befehl, dich lebend abzuliefern. Niemand hat was davon gesagt, dass nicht ein paar Stücke fehlen dürfen, okay?«
Spinks glaubte jedes Wort.
»Zieh die Hose hoch«, sagte Brennan.
Spinks rutschte auf dem Rücken hin und her, zog die Hose hoch und machte den Knopf zu. Er versuchte, den Reißverschluss hochzuziehen, aber der war kaputt.
»Keine Sorge wegen deiner Schuhe und Socken. Du kriegst ein paar bequeme Schlappen, wenn wir beim Hotel sind«, sagte Brennan grinsend. »Schön langsam. Der Fahrer steigt aus, macht die Tür auf und ich folge dir.«
Spinks zog sein Hemd zu, um seine Brust und seinen Bauch zu bedecken. Brennan nickte Sean zu, der seine Tür aufmachte und ausstieg. Er sah sich um, blickte die Straße auf und ab. Die fensterlose Wand des Gebäudes hinter ihm war bedeckt mit Zeichnungen von republikanischen Flaggen und Slogans. Eine Handvoll Menschen war unterwegs, jemand, der vom Einkaufen zurückkam, eine alte Frau, die einen Hund Gassi führte, Hausfrauen, die sich über einen Gartenzaun hinweg unterhielten, am anderen Ende der Straße spielten ein paar Kinder Fußball. Sean öffnete die hintere Tür.
»Schön langsam«, sagte Brennan erneut zu Spinks.
Als Spinks sich aufrichtete, verkrampfte sich sein Körper an mehreren Stellen vor Schmerzen. Eine Folge der Fahrt und der groben Behandlung durch Brennan. Er stütze sich mit den Armen ab, richtete sich auf, damit er seine Beine nach vorn bringen und aus dem Auto schwingen konnte. Seine rechte Hand rutschte am Sitz ab und in den Fußraum, wo sie etwas Metallisches berührte, das unter dem Sitz klemmte. Die Blendgranate. Spinks hielt eine Sekunde inne, die verschiedenen Möglichkeiten rasten durch sein Hirn. Er wusste, die Chance war gering, aber er wusste auch, dass es die einzige war, wenn ihn dieser Schurke erst mal da hatte, wo er wollte. Er hatte noch ein Ass im Ärmel, aber das konnte er nicht ausspielen, solange dieser Bastard ihn so genau im Auge hatte. Die Granate gäbe ihm vielleicht die Gelegenheit, diese letzte Karte zu spielen, wenn er nur drankäme. Als das Kidnapping-Szenario in der Ausbildung besprochen wurde, war lediglich betont worden, wie wichtig es sei, so etwas zu vermeiden. War ein Agent erst in den Klauen des Gegners, war nach allgemein akzeptierter Meinung das Spiel aus. »Wenn ihr etwas versucht, versucht es frühzeitig«, war der übliche Ratschlag.
»Bewegung«, sagte Brennan ungeduldig und stupste Spinks mit der Pistole.
Als er den Lauf sah, verlor Spinks alle Hoffnung und entschied, dass die Idee Selbstmord war. Er ließ die Finger von der Granate und quetschte seine Beine hinter dem Vordersitz vorbei. Aber plötzlich fühlte er sich wie ein Ertrinkender, der seinen Rettungsring loslässt. Ihm wurde klar, er musste das Risiko eingehen. Er hatte absolut nichts zu verlieren. Als er die Füße Richtung Tür drückte, ließ er die Hand erneut zu Boden fallen, um wieder nach der Granate zu tasten. Sie klemmte unter dem Sitz, aber in der richtigen Richtung. Er konnte den Ring spüren. Er ließ den Finger hindurchgleiten, doch da packte ihn Brennan brutal am Hals.
»Beweg deinen fetten Arsch!«, fauchte er. Speichel spritzte in Spinks Gesicht.
Die Drohung sorgte nur dafür, dass Spinks bewusst wurde, wie dringend er das machen musste. Sie waren in Dungannon, das wusste er. Er hatte die Stadt sofort erkannt. Dieses Monster wurde nur stärker, je weiter man nach Süden kam. »Ich hab gesagt, Bewegung!«
Brennan ließ Spinks los, der sich hochzog. Als er es tat, zog er den Ring aus der Blendgranate. Eindeutig und hörbar machte es »kling«, ein metallisches Geräusch, das er nur zu gut kannte – Brennan und Sean hoffentlich nicht. Es war der Zündhebel, der durch den Druck der Feder davonflog, wodurch der Zünder das Zündhütchen treffen würde, das die Granate auslöste.
Die Explosionen waren schnell und unmittelbar, laut und hell, wie ein gigantischer Silvesterkracher, Dutzende Schläge nacheinander, nicht-verletzend, aber beängstigend laut, mit blendend brennenden Magnesium-Partikeln, um den Effekt zu verstärken. Rauch und Lärm erfüllte den Wagen, eine der kleinen Ladungen ging nur Zentimeter von Brennans Gesicht entfernt hoch. Brennan zuckte angsterfüllt zurück und ließ die Waffe fallen, um sich mit den Händen zu schützen. Die Waffe, die dafür entwickelt worden war, sofortige Verwirrung zu stiften, hatte ihren Job perfekt erledigt.
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