Irgendwo zwischen dem Sonnengruß und der Kriegerpose spürte Keru, wie sich seine Sehnen entspannten. Schweißtropfen rollten ihm von der Brust, kitzelten seine Kehle und verschwanden in seinem Bart, während er eine einhändige Baumpose machte. Dieser Handstand war ihm erst nach jahrelanger Übung gelungen und es fiel ihm immer noch schwer, die Pose zu halten. Es war fast eine Erleichterung, als es an der Zeit war, in die Sayanasana-Skorpionpose zu gehen, in der er seinen in die Höhe gestreckten Körper auf den Ellbogen balancierte, die Beine eingeschlagen, während seine Füße auf seinen Kopf zeigten.
Dann fühlte er sich mutig genug, um den Verletzten Pfau zu versuchen – und umzufallen. Eines Tages werde ich das hinbekommen. Er rollte sich in die Ruhehaltung, um sein Training abzuschließen und seine Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen. Es sah einfach aus – ruhig auf dem Rücken liegen, sich nicht bewegen und still sein. Doch die wahre Herausforderung war der eigene unruhige Geist. Heute zumindest lösten sich Kerus Gedanken im Strom seines Atems auf. Er war hier und jetzt mit sich im Reinen.
Leise Schritte auf dem Teppichboden holten ihn aus seiner Meditation. Bowan schritt über ihn hinweg und fragte ihn auf dem Weg zum Replikator: »Bereit fürs Frühstück?«
»Absolut. Aber es muss schnell gehen. Ich muss vor meiner Schicht noch duschen.«
»Schnell ist gut. Gesund ist besser.« Er aktivierte den Replikator. »Eiweißomelette mit Schweizer Käse, Frühlingszwiebeln und Brokkoli. Pumpernickelbagel, getoastet und gebuttert. Irish Breakfast Tea, heiß.« Als seine Mahlzeit mit einem Aufblitzen von Farbe und einem melodischen Klang Gestalt annahm, fragte er Keru: »Und für dich?«
»Zwei ktarianische Eier, pochiert, auf gedämpftem vulkanischem Seegras. Eine halbe terranische Pink Grapefruit. Raktajino , ungesüßt. Und, weil ich nicht immer perfekt sein kann, ein zibalianisches Blätterteigteilchen.«
Bowan nahm das Tablett mit seinem Frühstück aus dem Ausgabefach, dann wiederholte er Kerus Bestellung. Während er sein Essen zum Tisch brachte, tupfte sich Keru mit einem Handtuch den Schweiß von Gesicht und Armen. Sie aßen ihr Frühstück und plauderten, während Bowan die morgendlichen Nachrichten auf seinem Padd überflog. Als sie fertig waren, warf Keru einen Blick auf das Chronometer und sprang auf. »Ich bin spät dran!«
Er stürmte durch ihr Schlafzimmer und unter die Schalldusche. Auch wenn er es hasste, sich beim Duschen hetzen zu müssen, hasste er es doch mehr, auch nur eine Minute zu spät für eine Schicht auf der Brücke zu sein. In unter neunzig Sekunden war er sauber, zog sich panisch an und erstarrte, als ihm klar wurde, dass etwas fehlte.
»Mein Kommunikator!« Er drehte sich erst in die eine, dann in die andere Richtung. »Hast du meinen …?«
Bowan stand in der Tür des Schlafzimmers und hielt Kerus Kommunikator zwischen zwei Fingern. »Den hast du im Wohnzimmer liegen lassen. Mal wieder.«
Keru schnappte sich den Kommunikator aus der Hand seines Lebensgefährten und gab ihm auf dem Weg zur Tür einen Kuss. »Was würde ich ohne dich machen, Bo?« Über seine Schulter rief er noch: »Bis heute Abend!« Dann war er im Korridor und lief zum nächsten Turbolift.
Jeder, der auf seinem Weg zum Lift an ihm vorbeikam, lächelte ihn an. Er fragte sich, ob sie etwas wussten, das ihm entgangen war. Dann sah er im Vorbeigehen sein Spiegelbild in einer Komm-Konsole und ihm wurde klar, dass ihn alle anlächelten, weil er selbst wie ein Idiot von einem Ohr zum anderen grinste.
Das Glück war an diesem Morgen auf seiner Seite. Die Turbolifttüren standen offen, als er ankam, und er konnte hineinschlüpfen, kurz bevor sie sich schlossen. Er nickte Lieutenant Karen McCreedy von der Technik zu. »Guten Morgen!« Dann sagte er an den Computer gewandt: »Brücke.« Die Bewegung war kaum spürbar, als der Lift aufwärts beschleunigte.
Als Führungsoffizier auf dem Weg zur Brücke hatte sein Ziel Priorität vor dem von McCreedy. So war es auf allen Schiffen der Sternenflotte üblich, doch diesmal fühlte er sich verpflichtet, den Lieutenant verlegen anzusehen und »Entschuldigung« zu murmeln.
Sie schüttelte den Kopf. »Kein Problem, Sir.«
Die Türen öffneten sich mit einem Zischen und Keru betrat die Brücke der Titan . Er erreichte die Sicherheits- und die taktische Konsole, die während der Nachtschicht von Commander Tuvok bemannt worden war. Der Vulkanier nahm Kerus Ankunft mit einem höflichen Nicken zur Kenntnis. »Alle Decks vermelden Sicherheit. Schiffsstatus normal. Keine feindlichen Kontakte innerhalb der Sensorreichweite.«
»Verstanden. Ich löse Sie ab, Commander.«
»Sie haben die Station.« Tuvok trat einen Schritt zurück und übergab Keru die Konsole genau eine Minute vor dem offiziellen Beginn der Alpha-Schicht. Wie üblich hielt er sich danach nicht mehr lange auf der Brücke auf. Er ging geradewegs zum Turbolift, der sich vor ihm öffnete und mehrere Passagiere ausspuckte, einschließlich Commander Sarai, der Pilotin Lieutenant Commander Aili Lavena und dem seit Kurzem der Brücke als Ingenieur zugewiesenen Lieutenant Torvig Bu-Kar-Nguv.
Torvig tanzte an seinen Posten, der sich an einer hinteren Konsole in der Nähe von Keru befand, und setzte sich. Der junge Choblik sah aus wie eine Mischung aus einem flugunfähigen Vogel und einem zweibeinigen Waldtier, mit einem Greifschwanz, der in einem Set agiler robotischer Finger endete, und sein Körper war mit kybernetischen Verbesserungen einschließlich zweier bionischer Arme ausgestattet.
Ein paar Minuten später bemerkte Keru aus dem Augenwinkel, dass ihn Torvig neugierig ansah. Er erwiderte den Blick des Ingenieurs. »Was ist los, Tor?«
»Ich wollte Sie gerade das Gleiche fragen, Ranul.«
»Warum?«
»Sie haben gesummt.«
Das überraschte den Trill-Sicherheitschef. »Ich habe was?«
»Gesummt. Ziemlich laut.« Er wurde entschuldigend. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen. Es klang ziemlich fröhlich.«
Ein kurzer Blick in die Runde bestätigte Keru, dass ihn andere Offiziere in der Nähe ebenfalls neugierig musterten, einschließlich Ensign Peya Fell, der neuen Wissenschaftsoffizierin der Alpha-Schicht. Fell lächelte amüsiert, bevor sie den Blick senkte, und Keru fragte sich, was die junge Deltanerin wohl von ihm dachte.
Bevor er sich für seinen unbewussten Ausrutscher schämen konnte, fragte ihn Torvig: »Fühlen Sie sich heute Morgen wirklich so überschwänglich? Oder ist es eine Überkompensation?« Er vollführte das Äquivalent seiner Spezies zu einem Schulterzucken. »Manchmal fällt es mir schwer, die Emotionen von Humanoiden zu deuten.«
Keru lächelte und entschied, seine gute Stimmung zu genießen.
»Was soll ich sagen, Tor? Das Leben ist schön.«
»Das Leben ist ätzend.« Doktor Xin Ra-Havreii schritt an einer Reihe nervöser Ingenieure entlang, die in der Mitte des Hauptmaschinenraums an ihren Konsolen standen. »Und Ihre schlampige Arbeit ist der Grund dafür.« Er deutete im Vorbeigehen auf einen Schirm nach dem anderen. »Meldok, Ihr Intermixverhältnis weicht um null Komma null zwei ab … Crandall, die Verzerrungsresonanz der Steuerbordwarpspule sollte nie über null Komma null drei Millicochrane hinausgehen, ich sehe null Komma null fünf … Verdammt noch mal, Rossini, ich will keine Beimengungen im Strom der Bussardkollektoren, die über null Komma null fünf Millionstel hinausgehen … Tabyr, reinigen Sie die EPS-Leitungen, bis …«
»Die Spezifikationen für die Bussardkollektoren besagen, dass das System Beimengungen von Konzentrationen bis null Komma zwei fünf Millionstel herausfiltern kann«, unterbrach Rossini.
Ra-Havreii drehte sich wieder zu Ensign Paolo Rossini um. Er baute sich vor dem drahtigen jungen Mann auf und starrte ihn streng an. »Bitte entschuldigen Sie, Ensign . Ich hätte schwören können, dass ich gerade von einem Junioringenieur über die Spezifikationen belehrt wurde. Als wäre nicht ich es, der die Spezifikationen für dieses Schiff geschrieben hätte. War das eben eine akustische Halluzination, Ensign ?«
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