»Warum? Ahnen Sie es denn nicht?«
»Nein, ganz und gar nicht.«
»Weil ich verliebt in Sie bin … Oh, nur ein bisschen, ein klein wenig … und weil ich es nicht ganz werden will.«
Sie schien weder erstaunt, noch verletzt, noch geschmeichelt; sie lächelte weiter mit demselben gleichgültigen Lächeln und antwortete ruhig:
»Ach, Sie hätten trotzdem ruhig kommen können; in mich war noch nie jemand lange verliebt.«
Er war erstaunt, mehr sogar über den Ton als über den Inhalt; er fragte:
»Warum?«
»Weil das zwecklos ist, und ich es gleich zu verstehen gebe. Hätten Sie Ihre Befürchtung früher verraten, so hätte ich Sie beruhigt und Sie im Gegenteil gebeten, mich recht oft zu besuchen.
Er rief pathetisch aus:
»Vorausgesetzt, dass man absolut Herr ist über seine Gefühle!«
Sie wandte sich zu ihm um:
»Mein lieber Freund. Für mich ist ein verliebter Mann aus der Reihe der Lebenden ausgeschaltet. Er wird zum Idioten, und nicht nur das, sondern auch gemeingefährlich. Mit denen, die in mich verliebt sind — oder die es sich einbilden und behaupten —, breche ich jeden näheren Verkehr ab, denn erstens langweilen sie mich und zweitens sind sie mir auch verdächtig, wie ein toller Hund, der in jedem Augenblick einen Anfall kriegen kann. Ich setze sie daher so lange in geistige Quarantäne, bis ihre Krankheit vorüber ist. Merken Sie sich das. Ich weiß genau, dass für Sie die Liebe nur eine Art Hunger ist, während sie für mich im Gegenteil eine Art von … von … von Seelengemeinschaft sein müsste, wie sie es aber leider im Bewusstsein der Männer gar nicht gibt. Sie halten sich an die Worte und ich an den Inhalt. Aber … bitte, sehen Sie mir mal ins Gesicht.«
Sie lächelte nicht mehr, ihr Gesichtsausdruck war ruhig und kühl. Sie fuhr fort und legte Nachdruck auf jedes Wort:
»Ich werde nie, nie Ihre Geliebte sein! Verstehen Sie mich? Es ist daher völlig zwecklos, und es wäre für Sie sogar schlimm, wenn Sie weiter diesen Wunsch hegen … Und nun, wo … die Operation vollzogen ist … wollen wir Freundschaft schließen — wollen Sie? — Richtige wahre Freundschaft ohne Hintergedanken?«
Nun begriff er, dass angesichts dieser unwiderruflichen Entscheidung jeder Versuch fruchtlos wäre. Er zog sofort die Konsequenzen daraus; er hielt ihr beide Hände hin, aufrichtig entzückt, eine so bedeutsame Verbündete für seine Tätigkeit und sein Leben zu finden.
»Ich bin der Ihrige, gnädige Frau, in welcher Form es auch sei!« An dem Ton seiner Stimme hörte sie, dass er es aufrichtig meinte, und sie gab ihm ihre Hand.
Er küsste sie, richtete sich wieder auf und sagte schlicht:
»Weiß Gott, wenn ich eine Frau wie Sie gefunden hätte, wie glücklich wäre ich gewesen, sie zu heiraten.«
Dieses Mal war sie gerührt und geschmeichelt. Seine Worte liebkosten sie, wie alle Komplimente, die ins Herz der Frau treffen, und sie warf ihm rasch einen jener dankbaren Blicke zu, die die Männer zu ihren Sklaven machen.
Da er nicht recht wusste, wie er die Unterhaltung fortsetzen sollte, legte sie ihre Hand auf seinen Arm und sagte mit sanfter Stimme:
»Ich will gleich mein Amt als Freundin antreten. Sie sind recht ungewandt, mein Lieber.«
Sie zauderte und fragte dann:
»Darf ich ganz offen sprechen?«
»Ja.«
»Ganz und gar?«
»Ja.«
»Nun also! Besuchen Sie doch Frau Walter; sie hält von Ihnen viel; Sie müssen sich Mühe geben, ihr zu gefallen. Da können Sie Ihre Komplimente anbringen, obgleich sie eine anständige Frau ist; verstehen Sie mich wohl, sie ist durchaus anständig! Bilden Sie sich nichts ein … setzen Sie keine Hoffnungen auf irgendwelche Streiche. Führen Sie sich bei ihr gut ein und Sie können dort viel erreichen. Ich weiß, Sie nehmen bei der Zeitung vorläufig eine untergeordnete Stellung ein. Aber fürchten Sie nichts; man empfängt dort alle Redakteure mit dem gleichen Wohlwollen. Gehen Sie hin, glauben Sie mir!«
Er sagte lächelnd:
»Ich danke Ihnen, Sie sind ein Engel … ein Schutzengel!«
Dann ging die Unterhaltung auf andere Dinge über. Er blieb lange bei ihr, denn er wollte ihr beweisen, dass er gern bei ihr weilte; als er sich verabschiedete, fragte er sie nochmals:
»Also abgemacht, wir sind Freunde?«
»Abgemacht!«
Und da er die Wirkung seines letzten Kompliments bemerkt hatte, so unterstrich er es noch mit den Worten: »Sollten Sie einmal Witwe werden, bitte ich, mich vorzumerken.«
Dann aber ging er schnell hinaus, damit sie nicht erst die Zeit fand, böse zu werden.
Die Sache mit dem Besuch bei Frau Walter war Duroy etwas peinlich, denn er war ja nicht aufgefordert, sich bei ihr vorzustellen, und er wollte keine Taktlosigkeit begehen. Allerdings zeigte ihm der Chef viel Wohlwollen, und wusste seine Arbeit hoch zu schätzen und zog ihn mit Vorliebe zu schwierigen Aufträgen heran; warum sollte er nicht die Gelegenheit wahrnehmen, sich auch in sein Haus einzuführen?
Eines Tages stand er früh auf, ging in die Markthalle und kaufte für zwölf Francs zwanzig Stück prachtvoller Birnen. Er verpackte sie sorgfältig in einem Körbchen, um den Anschein zu erwecken, als kämen sie von weit her, übergab sie dem Portier im Hause seines Chefs und legte noch seine Karte bei, auf der geschrieben stand:
»Georges Duroy bittet Madame Walter ergebenst, ihr einige Früchte senden zu dürfen, die er heute früh aus der Normandie erhalten hat.«
Am nächsten Tage fand er in seinem Briefkasten in der Redaktion ein Kuvert mit der Karte der Frau Walter, die Herrn Georges Duroy herzlichst dankte und ihm mitteilte, dass sie jeden Sonnabend zu Hause sei.
Am nächsten Sonnabend machte er seinen Besuch. Herr Walter bewohnte auf dem Boulevard Malesherbes ein Doppelhaus, das ihm selbst gehörte und dessen Hälfte er als praktischer und sparsamer Geschäftsmann vermietete. Ein Pförtner mit dicken Beinen in weißen Strümpfen, in einer prächtigen Schweizer Livree mit goldenen Knöpfen und scharlachroten Aufschlägen, der zwischen den beiden Toreinfahrten hauste, öffnete das Tor sowohl für den Hauswirt als auch für den Mieter und verlieh durch seine Haltung den beiden Eingängen das stolze Aussehen eines reichen und vornehmen Privathauses.
Die Gesellschaftsräume lagen im ersten Stock. Zuerst kam man in ein Vorzimmer mit Gobelins und Portieren. Zwei Diener saßen schläfrig auf Sesseln. Einer von ihnen nahm Duroy den Überzieher ab, der andere ergriff seinen Spazierstock, öffnete eine Tür, ging dem Gaste ein paar Schritte voraus, trat dann zur Seite und ließ ihn vorbei, indem er seinen Namen in ein leeres Zimmer hineinrief. Der junge Mann fühlte sich zuerst sehr unsicher und sah sich nach allen Seiten um, bis er zuletzt in einem Spiegel mehrere sitzende Menschen erblickte, die ziemlich weit zu sein schienen. Er ging zuerst nach der verkehrten Richtung, da der Spiegel seine Augen getäuscht hatte, dann durchschritt er zwei leere Salons und kam in ein kleines Boudoir mit blauseidenen Tapeten, die mit goldenen Knöpfen verziert waren. Hier saßen vier Damen um einen runden Tisch und plauderten bei einer Tasse Tee.
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