»Guter Gott, wie groß sie geworden sind«, war das Einzige, was er bemerkte.
»Aber was sollen wir nur anfangen?« fragte Levesque aufs Neue.
Anfangs wusste Martin in seiner Bestürzung auch nichts zu sagen. Schliesslich meinte er:
»Was mich anbetrifft, so werde ich mich schon mit Dir verständigen; ich will Dir kein Unrecht tun. Das versteht sich ganz von selbst, auch wegen des Hauses. Ich habe zwei Kinder, Du hast drei, jedem gehören die seinigen. Aber die Mutter? Gehört sie Dir oder mir? Ich werde mich darin nach Deinem Wunsche richten; aber das Haus gehört mir, denn mein Vater hat es mir vermacht, ich bin darin geboren und die betreffenden Papiere liegen beim Notar.«
Die Frau weinte immer fort, ihre Tränen befeuchteten das blaue Tischtuch. Die beiden Mädchen waren näher gekommen und sahen ihren Vater voll Unruhe an.
Er hatte aufgehört zu essen und sagte nun seinerseits:
»Was soll jetzt werden?«
Levesque hatte einen Gedanken:
»Wir müssen zum Pfarrer gehen.«
Martin erhob sich, und als er auf seine Frau zuging, warf sie sich an seine Brust und rief schluchzend:
»Mein Mann! Martin, mein armer Martin! Da bist Du wieder!«
Sie hielt ihn mit beiden Armen umschlungen; die alte Zärtlichkeit von ehemals kehrte wieder, tausend Erinnerungen aus der Jugendzeit tauchten vor ihr auf.
Martin, nicht minder bewegt, küsste sie innig. Die beiden Kinder am Herd fingen an zu heulen, als sie die Tränen der Mutter sahen, und das Jüngste auf dem Arm der zweiten Tochter Martins schrie mit kläglicher Stimme wie eine verstimmte Geige.
Levesque stand eine Weile wartend da.
»Nun müssen wir aber doch die Sache in Ordnung bringen.«
Martin löste sich aus den Armen seiner Frau, und als er seine beiden Kinder ansah, rief die Mutter:
»So gebt doch Eurem Vater wenigstens einen Kuss.«
Sie kamen beide zugleich herbei mit trockenen Augen, mehr erstaunt als furchtsam. Er küsste eines nach dem anderen mit einem vollen saftigen Kuss nach Bauernart. Als das Jüngste den Fremden so nahe sah, stiess es ein durchdringendes Geschrei aus, sodass man glauben konnte, es fiele in Krämpfe.
Dann gingen die beiden Männer zusammen fort.
Als sie bei dem Kaffeehause vorbeikamen, meinte Levesque:
»Wie wär’s, wenn wir erst ’mal einen Tropfen nähmen?
»Ich bin dabei«, erklärte Martin.
Sie traten ein und nahmen in dem noch leeren Zimmer Platz.
»Heh! Chicot, zwei Gläser aus der guten Flasche. Hier ist Martin, der wiedergekommen ist, Martin von meiner Frau, Du weißt schon, der mit den ›zwei Schwestern ‹ verschollen war.«
Und der Wirt kam herbei, in der einen Hand die Flasche, in der anderen drei Gläser, ein dicker, vollblütiger, aufgedunsener Bursche.
»Sieh da! Martin! Wieder zurück?« fragte er ruhig.
»Ja, da bin ich wieder«, sagte Martin.
*
Du batest mich, lieber Freund, Dir die Eindrücke zu schildern, die ich hier in Afrika empfangen, die Abenteuer, und vor allem die Liebesgeschichten, die ich in diesem Lande erlebt, nach welchem es mich schon seit so vielen Jahren zog. Du würdest, schreibst Du, schon im Voraus herzlich über meine »schwarzen Liebschaften« lachen und sähest mich im Geiste schon in Begleitung eines großen ebenholzfarbigen Weibsbildes zurückkehren, das, den Kopf mit einem gelben Seidentuche umwunden, in den grellsten Kleidungsstücken einherwatschelt.
Die Reihe wird auch, das ist gewiss, noch an die schwarzen Weiber kommen; denn ich sah bereits mehrere, die mir einige Lust eingeflösst haben, auch mal in dieser Tinte unterzutauchen. Indessen habe ich zunächst etwas Besseres und ganz Originelles gefunden.
In Deinem letzten Briefe schreibst Du mir:
»Wenn ich erst mal weiß, wie man in einem Lande liebt, so kenne ich es genügend, um es beschreiben zu können, auch wenn ich es niemals gesehen habe.«
Nun so wisse denn, dass man hier mit einer wahren Raserei zu lieben pflegt. Man verspürt hier vom ersten Tage an eine Art Siedehitze, eine Aufwallung, eine ungestüme Anspannung der Begierden, einen bis in die Fingerspitzen gehenden Kitzel, wodurch unsere Liebesbrunst bis zur Erschlaffung entfacht und unsere ganze Sinnenlust, von der einfachen Berührung der Hände bis zu jenem unnennbaren Bedürfnis, um dessen willen wir so viele Dummheiten begehen, aufs Höchste gereizt wird.
Versteh’ mich, bitte, recht. Ich weiß nicht, ob das, was Du wahre Herzensliebe, die Liebe zweier Seelen, nennst, ob dieser Idealismus des Gemütes, mit einem Worte die platonische Liebe, unter diesem Himmelsstriche gedeihen könne. Aber jene andere Liebe, die der Sinne, die auch ihr Gutes, und zwar sehr viel Gutes hat, ist in diesem Klima geradezu schrecklich. Die Hitze, diese ewig kochende, fieberschwangere Luft, diese erstickenden südlichen Winde, diese Feuerflut, welche aus der nahegelegenen Wüste kommt und sengender, verzehrender wirkt wie eine wirkliche Flamme; dieser ewige Brand eines Landstriches, den eine riesige lechzende Sonnenglut bis auf die Steine ausdörrt, lassen unser Blut kochen, betäuben das Gehirn und machen uns zum reissenden Tiere.
Doch nun zu meiner Geschichte!
Ich übergehe die erste Zeit meines Aufenthaltes in Algier. Nachdem ich Bona, Constantine, Biskra und Setif besucht hatte, kam ich durch die Schluchten von Chabet nach Bougie. Wir hatten einen unvergleichlich schönen Weg mitten durch die Wälder der Kabylen zurückgelegt; derselbe zieht sich in einer Höhe von zweihundert Metern dem Meere entlang und folgt den Windungen des Hochgebirges bis zum herrlichen Golf von Bougie, der ebenso schön wie der von Neapel, Ajaccio und Douarnenez ist. Allerdings nehme ich hierbei die unvergleichliche Bucht von Porto an der Westküste Corsikas aus, mit ihrer Einfassung aus rotem Granit, innerhalb deren man die blutroten Steinriesen, im Volksmunde die »Calanches« von Piana genannt, erblickt.
Von weitem, ganz von weitem, bevor man um die große Bucht kommt, in der die stillen Wasser schlummern, erblickt man Bougie. Es ist an den steilen Hängen eines hohen, von Wäldern gekrönten Berges erbaut; ein weißer Pieck auf diesem grünen Hange, wie ein schäumender Wasserfall, der sich ins Meer ergiesst.
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