Man hörte nie wieder etwas von ihr; keiner von den Seeleuten, die auf ihr gedient hatten, kam zurück; man hielt das Schiff mit Mann und Maus für verschollen.
Die Martin wartete zehn Jahre auf ihren Mann, indem sie schlecht und recht ihre beiden Kinder und sich selbst durchzubringen suchte. Dann hielt der Fischer Levesque, Witwer mit einem Knaben, um ihre Hand an, weil sie allgemein für eine fleissige und brave Frau galt. Sie heirateten und hatten in den ersten drei Jahren noch zwei Kinder.
Sie lebten arbeitsam und fleissig, aber kümmerlich. Das Brot war teuer und Fleisch kannte man in der kleinen Fischerhütte kaum dem Namen nach. Im Winter, zurzeit der Stürme, blieb nichts andres übrig, als beim Bäcker Schulden zu machen. Die Kinder gediehen indessen vortrefflich.
»Die Martin-Levesque sind brave Leute«, hiess es allgemein. »Die Martin ist eine fleissige Frau und Levesque sucht als Fischer seinesgleichen.«
*
»Man sollte sagen, dass er uns kennt,« meinte jetzt das Mädchen, welches am Tore sass. »Vielleicht ist es irgend ein Armer aus Epreville oder Auzebosce.«
Aber die Mutter wollte das nicht zugeben. Nein, nein, das war keiner aus der Gegend hier, ganz gewiss nicht.
Als er nun immer noch nicht fortging und unausgesetzt auf das Haus der Martin-Levesque geheftet hielt, wurde die Martin endlich ungeduldig, und da die Furcht ihr Mut verlieh, so griff sie zu einer Hacke und begab sich vor das Tor.
»Was macht Ihr da?« schrie sie dem Landstreicher zu.
»Ich schöpfe frische Luft. Habt Ihr was dagegen?« antwortete er mit rauer Kehle.
»Was spioniert Ihr denn sozusagen immer ums Haus herum?« begann sie wieder.
»Ich führe nichts Böses im Schilde« sagte der Mann. »Man darf sich doch an der Strasse hinsetzen?«
Sie wusste hierauf nichts zu sagen und ging ins Haus zurück.
Die Zeit schritt langsam voran. Gegen Mittag verschwand der Mann, kam aber um fünf Uhr wieder. Am Abend sah man ihn nicht mehr.
Levesque kam erst bei Einbruch der Nacht zurück.
»Irgend ein Landstreicher oder gar was Schlimmeres!« entschied er, als man ihm die Sache mitteilte. Dann begab er sich sorglos zur Ruhe, während seine Gefährtin immer an den Landstreicher denken musste, der sie mit so eigentümlichen Augen angesehen hatte.
Am nächsten Tage war es ziemlich stürmisch, und da der Fischer sah, dass er heute nicht ausfahren konnte, so half er seiner Frau die Netze flicken.
Gegen neun Uhr kam das älteste Mädchen, eine Martin, die man um Brot geschickt hatte, zurückgelaufen und schrie schon von Weitem mit ängstlicher Miene:
»Mutter, da kommt er wieder.«
»Geh doch ’mal heraus, Levesque«, sagte sie, bleich vor Schrecken, »und sag ihm, er möge nicht hier so herumlauern, weil mich … das … noch ganz verrückt macht.«
Levesque, ein starker Mann mit ziegelroter Gesichtsfarbe und starkem roten Bart, scharfblickenden blauen Augen, den starken Hals zum Schutze gegen Wind und Wetter stets mit einem Wolltuch umhüllt, ging ruhig hinaus auf den Fremden zu.
Bald waren sie in lebhaftem Gespräch miteinander, während Mutter und Kinder neugierig und ängstlich von Weitem zusahen.
Mit einem Male stand der Fremde auf und schritt mit Levesque auf das Haus zu.
Erschreckt wich die Martin zurück.
»Gib ihm ein Stück Brot und ein Glas Apfelwein; er hat seit vorgestern nichts gegessen.«
Sie gingen ins Haus, gefolgt von Mutter und Kindern; der Landstreicher setzte sich und ass, das Auge unter all den neugierigen Blicken senkend.
Die Mutter stand vor ihm und sah ihn genau an; die beiden großen Mädchen, die Martins, lehnten mit dem Rücken an der Türe. Die eine trug das Kleinste auf dem Arm, und ihre neugierigen Augen folgten unaufhörlich allen Bewegungen des Fremden, während die zwei Kleineren, am Herde hockend, aufgehört hatten mit der Kohle zu spielen, als wollten auch sie den Unbekannten genau betrachten.
»Ihr kommt wohl weit her?« fragte Levesque, der sich auch einen Stuhl genommen hatte.
»Ich komme von Cette.«
»Zu Fuss, wie geht das zu?«
»Ja, zu Fuss. Wenn man kein Geld hat, kann man nicht fahren.«
»Wo geht denn die Reise hin?«
»Hierher.«
»Ihr kennt hier Jemanden?«
»Ich dächte wohl!«
Das Gespräch stockte. Er ass langsam, obschon er sichtlich hungrig war, und nahm nach jedem Bissen einen Schluck Apfelwein. Sein Gesicht war alt, runzelig, voller Falten, und er schien viel durchgemacht zu haben.
»Wie heisst Ihr?« frag ihn Levesque plötzlich.
»Ich heisse Martin«, sagte er, ohne den Kopf zu heben. Ein eigentümlicher Schauder überlief die Mutter. Sie trat einen Schritt vor, als wollte sie sich den Landstreicher aus nächster Nähe ansehen und stand ihm nun, die Arme hängen lassend, mit offenem Munde gegenüber. Niemand sprach ein Wort.
»Seid Ihr von hier?« fragte endlich Levesque.
»Jawohl, ich bin von hier.«
Und als er endlich den Kopf hob, begegnete sein Blick dem der Frau und beide sahen sich lange an, als wollten sie sich ganz ineinander versenken.
»Du bist’s, mein Mann«, sagte sie dann plötzlich mit ganz veränderter, tiefer und zitternder Stimme.
»Ja, ich bin’s«, entgegnete er zögernd.
Er rührte sich nicht und fuhr fort an dem Brote zu essen.
»Du bist’s wirklich, der Martin?« stammelte Levesque, mehr überrascht als ergriffen.
»Ja, ich bin’s«, sagte nochmals ruhig der andere.
»Aber woher kommst Du doch nur?« fragte nun der zweite Gatte.
»Von der afrikanischen Küste«, erzählte Jener. »Wir waren auf ein Riff geraten und nur drei von den Unseren konnten sich retten: Picard, Vatinel und ich. Die Wilden nahmen uns gefangen und hielten uns zwölf Jahre fest. Picard und Vatinel starben. Ein englischer Reisender hat mich losgekauft und nach Cette zurückgebracht. Da bin ich nun.«
Die Martin lag mit dem Gesicht auf dem Tisch und schluchzte laut.
»Was sollen wir nun anfangen?« rief Levesque.
»Ist das Dein Mann?« fragte Martin.
»Ja, das bin ich«, antwortete Levesque.
Sie sahen sich an und schwiegen abermals.
Dann deutete Martin, nachdem er die Kinder ringsum längere Zeit betrachtet hatte, mit einer Kopfbewegung auf die beiden Mädchen und fragte:
»Sind das meine?«
»Ja, das sind Deine«, sagte Levesque.
Er stand nicht auf, er umarmte sie nicht.
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