Sie blieben regungslos ohne den Mund zu öffnen.
»Bedenken Sie,« sagte der Offizier ruhig, mit der Hand nach dem Flusse deutend, »dass Sie in fünf Minuten auf dem Grunde des Wassers liegen werden. In fünf Minuten. Denken Sie an Ihre Angehörigen.«
Der Mont-Valerien donnerte weiter.
Die beiden Angler standen schweigend da. Der Deutsche erteilte in seiner Sprache einige Befehle. Dann schob er seinen Stuhl weiter zurück, um nicht zu nahe bei den Gefangenen zu sein. Zwölf Mann stellten sich, Gewehr bei Fuss, zwanzig Schritt vor ihnen auf.
»lch gebe Ihnen eine Minute Zeit; keine Sekunde länger.« begann der Offizier wieder.
Dann erhob er sich plötzlich, näherte sich den beiden Franzosen, nahm Morissot beim Arm, führte ihn etwas fort, und sagte ihm leise:
»Schnell das Losungswort. Ihr Kamerad wird nichts davon erfahren. Ich werde tuen, als hätte ich mich anders besonnen.
Morissot antwortete nichts.
Der Preusse wandte sich nun an Herrn Sauvage und stellte ihm dieselbe Frage.
Herr Sauvage antwortete nichts.
Nun standen beide wieder nebeneinander.
Der Offizier kommandierte; die Soldaten legten an.
Da fiel der Blick Morissot’s zufällig auf das Netz mit Fischen, welches einige Schritte vor ihnen im Grase liegen geblieben war.
Ein Sonnenstrahl ließ den Fischhaufen erglänzen, in dem sich noch Leben rührte. Morissot fühlte eine Anwandlung von Schwäche. Seine Augen füllten sich trotz aller Anstrengung mit Tränen.
»Adieu Herr Sauvage.« murmelte er.
»Adieu Herr Morissot,« antwortete dieser.
Sie drückten sich die Hände, während ein unüberwindbares Zittern ihren ganzen Körper durchlief. »Feuer!« kommandierte der Offizier.
Wie auf einen Schuss knallten die zwölf Gewehre.
Herr Sauvage fiel wie ein Klumpen vornüber. Morissot, der etwas grösser war, zuckte heftig, drehte sich um sich selbst und fiel quer über seinen Kameraden, das Gesicht zum Himmel gewandt, während das Blut aus seiner auf der Brust durchlöcherten Blouse rieselte.
Der Deutsche erteilte neue Befehle.
Seine Leute verschwanden und kamen bald darauf mit einigen Stricken und Steinen zurück, welch letztere sie an die Füsse der beiden Toten banden. Dann schleppten sie dieselben an’s Ufer.
Der Mont-Valerien hörte nicht auf zu grollen; er war jetzt wie ein Vulkan anzusehen.
Zwei Soldaten ergriffen Morissot am Kopf und bei den Füssen; zwei andere machten es ebenso mit Herrn Sauvage. Einen Augenblick schwenkten sie die leblosen Körper hin und her, dann schleuderten sie dieselben weit fort; sie beschrieben einen großen Bogen und tauchten dann aufrecht im Flusse unter, indem das Gewicht der Steine ihre Füsse zuerst herabzog.
Das Wasser klatschte laut auf, schäumte, rauschte und beruhigte sich dann wieder, während kleine Kreise, immer grösser werdend, sich bis zum Ufer hinzogen.
Ein leichter Blutstreifen färbte für einen Augenblick die klare Flut,
»Ein gutes Fressen für die Fische.« sagte halblaut der Offizier, den seine heitre Laune keinen Augenblick verlassen hatte.
Dann kehrte er ins Haus zurück.
Plötzlich bemerkte er die Fische in dem Netze wieder. Er hob sie auf, betrachtete sie lange und rief dann lachend: »Wilhelm!«
Ein Soldat mit einer weißen Schürze lief herbei. Der Preusse warf ihm das Netz mit den Fischen der beiden Erschossenen zu. »Du kannst mir gleich diese kleinen Tierchen da braten; sie sind noch ganz frisch. Sie werden köstlich schmecken.«
Dann rauchte er seine Pfeife weiter.
*
An Harry Alis.
Auf allen Strassen und Wegen rings um Goderville zogen die Landleute mit ihren Frauen dem Flecken zu, wo heute Markttag war. Die Männer gingen langsamen Schrittes und beugten sich bei jeder Bewegung ihrer langen, krummen Beine vornüber. Ihr Körper trug die Merkmale schwerer Arbeit. Das ewige Aufdrücken beim Pflügen hatte die linke Schulter emporgezogen, den Leib gekrümmt; und durch das Getreide-Mähen waren die Knie geknickt, um einen besseren Schwung nehmen zu können. Ihre blauen gesteiften Kittel, am Hals und an den Ärmelbördchen mit weißer Stickerei versehen, glänzten als ob sie lackiert wären. Der Wind blähte sie um den knochigen Körper auf, sodass sie einem Luftballon glichen, der im nächsten Augenblick aufsteigen soll und aus dem ein Kopf, zwei Arme und zwei Füsse hervorragen.
Die einen zogen eine Kuh, die anderen ein Kalb hinter sich her. Die Frauen trieben von rückwärts, mittels eines abgerissenen Zweiges, an dem noch die Blätter hafteten, das Tier zu schnellerem Gange an. Sie trugen am Arme große Körbe, aus denen hier die Köpfe von Hühnern, dort von Enten herausschauten. Sie machten kürzere aber lebhaftere Schritte als ihre Männer. Ihre eingefallene Brust war durch einen kleinen gestrickten Shawl, vorn mit einer Nadel zusammengehalten, verdeckt, während den Kopf ein oben zusammengebundenes Leinentuch schützte, auf dem eine Mütze sass.
Hin und wieder kam ein Karren im langsamen Trabe vorüber; zwei Männer vorn und eine Frau, die sich krampfhaft bei jedem Stosse festhielt, wurden tüchtig auf demselben durcheinander gerüttelt.
Auf dem Marktplatz von Goderville wogte ein buntes Gemenge von Menschen und Tieren; die Hörner der Kühe, die langhaarigen Filzhüte der reichen Bauern, die Mützen der Bäuerinnen ragten aus diesem Gewimmel empor. Kreischende, scharfe, gellende Stimmen bildeten ein fortgesetztes seltsames Geschrei, mit dem sich zuweilen ein lautes Gelächter aus der breiten Brust eines Bauern oder das langgezogene Gebrüll einer Kuh vermengte, die an der Wand eines Hauses angebunden war.
Alles roch nach Stall, Milch, Rauch, Heu und Schweiß; strömte jenen scharfen, halb tierischen, halb menschlichen Dunst aus, der den Landleuten eigen ist.
Meister Hauchecorne von Bréauté war in Goderville eingetroffen und steuerte dem Marktplätze zu, als er an der Erde ein Endchen Schnur bemerkte. Meister Hauchecorne, ein echter sparsamer Normanne, dachte, dass man alles aufheben müsse, was noch irgendwie verwendbar sei. Er bückte sich mühsam, denn er litt stark an Rheumatismus. Er hob das Endchen Schnur auf und wickelte es sorgsam zusammen, als er auf der Schwelle seines Hauses Meister Malandain, den Sattler, bemerkte, der ihm zuschaute. Sie hatten wegen eines Kummets einmal Streit miteinander gehabt und waren sich seitdem feindlich gesinnt geblieben. Meister Hauchecorne schämte sich etwas, von seinem Feinde dabei beobachtet zu werden, wie er in der Gosse ein Endchen Schnur auflas. Schnell verbarg er seinen Fund unter dem Kittel und dann in seiner Hosentasche. Hierauf stellte er sich, als suche er auf dem Boden etwas, das er nicht finden konnte und ging dann dem Markte zu den Kopf wegen seiner Schmerzen vornüber gebeugt.
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