Als sie geendet hatte, sprach keiner ein Wort; so ausgezeichnet schienen ihre Ausführungen gewirkt zu haben.
Sofort nach dem Essen begab man sich schnell hinauf und erst ziemlich spät am anderen Morgen kamen die Reisenden wieder zusammen.
Das Frühstück verlief ruhig. Man wollte das Samenkorn, das die alte Schwester ausgestreut hatte, erst aufgehen lassen, um dann die Frucht umso besser einzuheimsen.
Die Gräfin schlug Nachmittags einen Spaziergang vor. Wie verabredet, nahm der Graf den Arm von Fett-Kloss und blieb mit ihr etwas hinter den anderen zurück.
Er sprach mit ihr in vertraulichem, väterlichem etwas herablassendem Tone, wie ihn gesetzte Herren bei solchen Mädchen gern anwenden. Er nannte sie »mein Kind,« behandelte sie zugleich aber ein wenig von oben herab, sich mit seiner unbestreitbaren Ehrenhaftigkeit brüstend.
»Sie ziehen also vor,« sagte er direkt auf sein Ziel lossteuernd, »uns mit Ihnen zugleich all den Gewalttätigkeiten auszusetzen, die eine Schlappe der preussischen Truppen zur Folge haben muss, statt in eine jener kleinen Gefälligkeiten einzuwilligen, die Sie doch sonst im Leben so oft gewährt haben?«
Fett-Kloss antwortete nichts.
Jetzt fasste er sie bei ihrer Gutherzigkeit, bei ihrer Vernunft, bei ihrem weichen Gemüt an. Er selbst wisse recht gut, stets der »Herr Graf« zu bleiben und doch dabei höflich, entgegenkommend und liebenswürdig zu sein, wenn es erforderlich wäre. Er pries den Dienst, den sie ihnen leisten würde, und sprach von ihrer Erkenntlichkeit. »Und dann weißt Du, mein Kind,« fuhr er sie plötzlich duzend fort, »er dürfte sich rühmen, ein Mädchen besessen zu haben, wie er sie bei sich zu Hause wohl selten finden wird.«
Fett-Kloss antwortete wieder nichts und eilte der Gesellschaft nach.
Sobald sie wieder zu Hause kamen, flüchtete sie auf ihr Zimmer und kam nicht wieder zum Vorschein. Unten war man in der höchsten Aufregung«. Was würde sie beginnen? Welch ein Missgeschick, wenn sie sich endgültig weigern würde.
Zu Diner-Stunde erwartete man sie vergeblich. Herr Follenvie erschien und verkündete, dass Fräulein Rousset sich unwohl fühle und man sich nur zu Tische setzen möchte. Alles spitzte die Ohren. »Ist es so weit?« fragte der Graf den Wirt ganz leise. »Jawohl.« Er hütete sich seinen Gefährten laut etwas zu sagen; aber er machte ihnen ein leichtes Zeichen mit dem Kopfe. Ein Seufzer der Erleichterung entstieg jeder Brust; alle Gesichter hellten sich auf. »Sapperlot!« schrie Loiseau »ich gebe Sekt, wenn es hier welchen gibt,« Madame Loiseau fiel vor Schreck fast auf den Rücken, als gleich darauf der Wirt mit vier Flaschen unterm Arm zurückkam. Jeder war jetzt lustig und mitteilsam geworden; eine ausgelassene Freude bewegte aller Herzen. Dem Grafen erschien jetzt plötzlich Frau Carré-Lamadon reizend und der Fabrikant sagte der Gräfin allerlei Artigkeiten. Die Unterhaltung wurde lebhaft und mit allerlei Scherzen gewürzt.
»Still!« rief plötzlich Loiseau mit ängstlicher Miene die Hände aufhebend. Alles schwieg überrascht, beinahe erschreckt. Dann spitzte er die Ohren machte »Pst« mit beiden Händen, hob die Augen zur Decke empor, lauschte nochmals und sagte dann seine gewöhnliche Miene wieder annehmend: »Beruhigen Sie sich; es geht alles gut.«
Man verstand ihn zuerst nicht; aber dann fing alles an zu lachen.
Nach einer halben Stunde wiederholte er denselben Witz und so mehrmals noch im Verlaufe des Abends. Er tat als ob er jemand im oberen Stock anriefe, ihm zweideutige gute Ratschläge gebe, wie sie in seinem Weinreisenden-Gehirn entstanden. Zuweilen murmelte er auch ein »Armes Mädchen!« zwischen den Zähnen, oder er rief: »Infamer Preusse, pack Dich.« Hin und wieder, wenn niemand daran dachte, rief er mit zitternder Stimme: »Genug, genug!« und fügte wie im Selbstgespräch hinzu: »Hoffentlich sehen wir sie noch wieder; wenn er sie nur nicht umbringt, der Elende!«
Obschon diese Scherze wahrhaftig recht geschmacklos waren, so amüsierte sich doch alles und keiner nahm sie ihm übel. Denn die Entrüstung richtet sich unwillkürlich nach der Umgebung, und bei jenen war die Luft allmählich mit zweideutiger Vorstellungen geladen.
Beim Dessert fingen sogar die Damen an geistreiche pikante Anspielungen zu machen, ihre Augen glänzten nach dem reichlichen Weingenusse. Der Graf, der selbst bei solchen Gelegenheiten sein würdevolles Benehmen zu wahren wusste, brachte einen geistreichen Vergleich über das Ende eines Winteraufenthaltes am Nordpol und die Freude der Schiffbrüchigen, welche den Weg nach dem Süden wieder offen sahen.
»Ich trinke auf unsere Befreiung,« rief Loiseau etwas angetrunken sein Glas erhebend. Alle sprangen auf und stiessen an. Selbst die beiden Ordensschwestern liessen sich durch die Heiterkeit der anderen Damen verleiten, von dem Champagner zu kosten, den sie noch nie getrunken hatten. Sie meinten, er schmecke wie Brauselimonade, nur viel feiner.
»Schade, dass kein Klavier vorhanden ist«; meinte Loiseau, »sonst könnten wir eine Quadrille tanzen.«
Cornudet hatte fast kein Wort gesprochen und kaum eine Miene verzogen. Er schien vielmehr in ernste Gedanken versunken und zerrte zuweilen mit grimmiger Miene an seinem großen Barte, als wollte er ihn noch länger ziehen. Als man endlich um Mitternacht aufbrach, patschte ihm Loiseau, der etwas turkelig war, auf den Bauch und sagte lallend: »Sie sind heute nicht bei Laune, Bürger; »Sie sprechen ja kein Wort.« Cornudet drehte sich unwillig herum, mass die Gesellschaft mit einem zornigen wilden Blick und sagte: »Ich erkläre Ihnen offen, dass Sie eine große Gemeinheit begangen haben.« Er stand auf, und ging hinaus fortwährend »eine große Gemeinheit!« murmelnd.
Im ersten Augenblick war man verblüfft. Selbst Loiseau stierte mit dummen Augen vor sich hin. Aber dann gewann er seine muntere Stimmung wieder und sagte plötzlich lachend: »Sie sind zu sauer, ja, zu sauer.« Als man ihn nicht verstand, erzählte er »die Geheimnisse des Ganges«, wobei er sich vor Lachen ausschütten wollte. Auch die Damen amüsierten sich köstlich. Der Graf und Frau Carré-Lamadon lachten Tränen. Sie fanden es unglaublich.
»Wie? Sie wissen gewiss? Er wollte …«
»Ich sage Ihnen ja, dass ich es gesehen habe.«
»Und sie hat sich geweigert?«
»Weil der Preusse im Zimmer nebenan wohnt.«
Читать дальше