»Was wünschen Sie?« fragte er nach einiger Zeit endlich.
»Wir möchten abreisen, mein Herr,« nahm der Graf das Wort.
»Nein.«
»Darf ich nach der Ursache der Verweigerung fragen?«
»Weil ich nicht will.«
»Ich möchte Ihnen, mein Herr, aber ergebenst bemerken, dass Ihr kommandierender General uns die Erlaubnis zur Reise nach Dieppe bewilligt hat; wir hätten, dächte ich, nichts begangen, um dieselbe zu verwirken.«
»Ich will aber nicht … Damit gut … Sie können gehn.«
Die drei Herrn entfernten sich unter einer Verbeugung.
Der Nachmittag verlief sehr traurig. Man konnte den Einfall des Deutschen nicht begreifen, und kam auf die sonderbarsten Ideen. Alle Welt hielt sich jetzt in der Küche auf und man besprach sich fortgesetzt unter den unglaublichsten Vermutungen. Wollte man sie vielleicht als Geiseln zurückhalten? – aber zu welchem Zweck? Oder sie als Gefangene fortschleppen? – Wohin? Oder wollte man eine gehörige Brandschatzung bei ihnen vornehmen? Bei diesem Gedanken erstarrte ihnen das Blut. Die Reichsten waren die Furchtsamsten. Sie sahen sich schon im Geiste Haufen von Gold in die Hände dieser zügellosen Soldateska legen, um nur ihr Leben zu retten. Sie zerbrachen sich den Kopf um nur eine glaubhafte Lüge zu ersinnen, ihren Reichtum zu verheimlichen und für arm, ganz arm zu gelten. Loiseau nestelte seine Uhrkette los und verbarg sie in der Tasche. Die einbrechende Nacht vermehrte noch ihre Furcht. Die Lampe wurde angezündet und Madame Loiseau schlug eine Partie Einunddreissig vor, da es noch zwei Stunden bis zum Diner war. Das wäre doch wenigstens eine Zerstreuung. Der Vorschlag wurde angenommen. Sogar Cornudet, der aus Höflichkeit seine Pfeife hatte ausgehen lassen, beteiligte sich.
Der Graf schlug die Karten – gab – und Fett-Kloss hatte auf den ersten Anhieb Einunddreissig. Bald verscheuchte das Interesse am Spiel die Furcht, die sie beseelt hatte. Cornudet bemerkte sogar, dass das Ehepaar Loiseau mogelte.
Als man sich zu Tische setzen wollte, erschien Herr Follenvie wieder.
»Der preussische Offizier lässt Fräulein Elisabeth Rousset fragen, ob sie ihre Ansicht noch nicht geändert habe,« sagte er mit seiner heiseren Stimme.
Fett-Kloss blieb ganz bleich stehen. Dann wurde sie plötzlich knallrot und so von Zorn erstickt, dass sie anfangs nicht sprechen konnte.
»Sie werden dieser Kanaille, diesem Schmutzfinken, diesem Lumpen von Preussen sagen, dass ich niemals wollen werde. Verstehen Sie wohl, nie, nie, niemals!«
Der dicke Wirt ging hinaus. Nun wurde Fett-Kloss von allen Seiten umringt, mit Fragen bestürmt, und energisch aufgefordert endlich das Geheimnis zu lüften, das über ihrer ersten Besprechung mit dem Offizier schwebte. Anfangs sträubte sie sich noch, aber der Ärger riss sie schliesslich mit fort. »Was er will? … Was er möchte? … Er will mit mir schlafen,« schrie sie auf. Niemand nahm an den Worten Anstoss, so groß war die Erregung über den Offizier. Cornudet stiess seinen Schoppen so heftig zurück, dass er vom Tisch fiel und klirrend zersprang. Das war ein Geschimpf über diesen elenden Schmutzian, ein zorniges Gemurmel, eine einstimmige Aufforderung zur Standhaftigkeit, als ob von jedem Einzelnen ein Teil dieses Opfers verlangt worden wäre. Der Graf erklärte mit Abscheu, dass diese Leute da schlimmer hausten, wie die Barbaren, Die Frauen namentlich bezeugten Fett-Kloss eine warme wohltuende Teilnahme. Die Ordensschwestern, die nur zu den Mahlzeiten unten erschienen, hatten den Kopf gesenkt und sagten nichts.
Als der erste Zorn verraucht war, setzte man sich nichtsdestoweniger zu Tische; aber alle waren einsilbig und nachdenklich.
Die Damen zogen sich frühzeitig zurück. Die Herrn, die nun sämtlich rauchten, arrangierten eine Partie Ecarté, zu der auch Herr Follenvie aufgefordert war. Man gedachte bei dieser Gelegenheit ihn geschickt über die Mittel auszufragen, wie man den Eigensinn des Offiziers brechen könnte. Aber er war nur auf sein Spiel bedacht und gab zerstreute Antworten. »An’s Spiel, meine Herrn; an’s Spiel!« wiederholte er stets. Seine Aufmerksamkeit war so gefesselt, dass er sogar das Ausspucken vergass, obgleich sich wahre Orgeltöne in seiner Brust entwickelten. Seine keuchende Kehle gab die ganze Skala des Asthma’s, von den höchsten bis zu den niedrigsten Noten wieder.
Sogar als seine Frau, die vor Müdigkeit umfiel, ihn holen wollte, weigerte er sich mit heraufzugehen. Da ging sie allein, denn sie pflegte früh als die erste mit der Sonne aufzustehen, während ihr Mann ein Nachtvogel war, der bis zur spätesten Stunde gern mit Bekannten aufzubleiben pflegte. »Leg’ mir mein Federbett an den Ofen,« rief er ihr nach und wandte sich dann wieder den Karten zu. Als man endlich einsah, dass aus ihm nichts herauszukriegen war, erklärte man, es sei Zeit zum Schlafengehen; und jeder suchte sein Bett auf.
Am anderen Morgen war alles bei Zeiten auf; man hegte eine unbestimmte Hoffnung, ein noch grösseres Verlangen nach der Abreise, einen Schrecken vor einem zweiten langweiligen Tage in dieser kleinen Herberge.
Aber ach! die Pferde blieben im Stalle, der Kutscher war nirgends zu sehen. Müssig umstand alles den Wagen.
Das Frühstück verlief sehr traurig. Gegen Fett-Kloss war eine gewisse Erkältung eingetreten; denn in der Nacht, die so manchen Ratschluss birgt, hatte man seine Ansicht etwas gemässigt. Man war jetzt fast ärgerlich gegen dieses Mädchen, weil sie es nicht verstanden hatte, heimlich dem Preussen zu Willen zu sein. Welch angenehme Überraschung wäre das am Morgen für ihre Reisegefährten gewesen. Was konnte es einfacheres geben? Wer hätte übrigens etwas davon erfahren? Warum konnte sie nicht den Schein wahren, und dem Offizier sagen, dass sie nur der Not weichend sich ihm ergebe? Übrigens für sie war das doch überhaupt nur nebensächlich.
Aber noch sprach niemand seine Gedanken offen aus.
Am Nachmittage, als man sich zum Sterben langweilte, schlug der Graf einen Spaziergang in der Umgegend vor. Jeder hüllte sich sorgfältig ein und die kleine Gesellschaft trat ihren Weg an, ausser Cornudet; der den Platz am Feuer vorzog, und den beiden Schwestern, die ihre Zeit in der Kirche oder der Pfarrwohnung zubrachten.
Die Kälte, die von Tag zu Tag intensiver wurde, prickelte ihnen empfindlich in Nase und Augen; jeder Schritt wurde ihren kalten Füssen zur Plage. Als sie nun draussen das weite Feld vor sich sahen, erschien ihnen die unbegrenzte weiße Fläche so öde und traurig, dass man sofort wieder den Rückweg einschlug.
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