Nach zehn Minuten kam sie wieder, keuchend, ganz ausser sich, rot zum Ersticken. »Ah, diese Kanaille! diese Kanaille!« stammelte sie.
Man überstürzte sich mit Fragen; aber sie sagte nichts. Als der Graf in sie drang, sagte sie mit großer Würde: »Nein, das kann Sie nicht kümmern; ich kann es nicht sagen.«
Nun versammelte man sich um die große Suppenschüssel, aus der ein kräftiger Duft von Kohl emporstieg. Trotz der Eile, mit der es angerichtet war, war das Essen vorzüglich. Der Cider, den das Ehepaar Loiseau und die Schwestern aus Sparsamkeits-Rücksichten bestellt hatten, mundete vortrefflich. Die übrigen hatten Wein, Cornudet dagegen Bier bestellt. Letzterer hatte eine eigene Art die Flasche zu entkorken, einzuschenken und die schäumende Flüssigkeit zu betrachten, indem er das Glas etwas schräg hielt, und es alsdann zwischen sich und das Lampenlicht brachte, um die Farbe des Stoffes zu prüfen. Sein gleichfarbiger großer Bart schien beim Trinken vor Vergnügen zu zittern, seine Augen schielten, um den Anblick des Schoppens nicht zu verlieren, und man merkte, dass dies die eigentliche Beschäftigung sei, für die er geboren war. Man bemerkte, dass in seinem Innern eine Annäherung, eine Art geistiger Verbindung zwischen den beiden großen Leidenschaften stattfand, die ihn beseelten: dem Pale Ale und der Republik. Sicherlich konnte er das eine nicht kosten ohne an die andere zu denken.
Herr und Frau Follenvie assen am oberen Ende der Tafel mit. Er, mit seinem ewig rasselnden Kehlkopf hatte zu viel Brustklemmung, um während des Essens reden zu können; aber seine Frau machte dies reichlich wieder gut. Sie schilderte alle ihre Eindrücke bei der Ankunft der Preussen, was sie trieben, was sie sagten; sie verwünschte dieselben einmal, weil sie ihr viel Geld kosteten, sodann, weil sie zwei Söhne bei der Armee hatte. Ihre Anrede galt vor allem der Gräfin, weil es ihr sehr schmeichelte mit einer vornehmen Dame sich zu unterhalten.
Dann senkte sie etwas die Stimme, um von delikateren Sachen zu sprechen, während ihr Mann sie zuweilen mit den Worten unterbrach; »Sprich lieber nicht davon, Madame Follenvie.« Aber sie achtete nicht auf ihn und fuhr fort:
»Ja, Madame, diese Leute essen nichts, wie Kartoffeln mit Schweinebraten und dann wieder Schweinebraten mit Kartoffeln. Man muss nur nicht denken, dass sie reinlich seien. Oh nein. Überall machen sie ihren Schmutz hin, mit Erlaubnis zu sagen. Und wenn Sie erst mal ihre Übung ansehen würden den ganzen lieben Tag lang; sie sind da in einem Lager – vorwärts, rückwärts marschieren, rechts – um, links – um! Wenn sie wenigstens noch das Land bebauten, oder die Strassen verbesserten. Aber nein, Madame; diese Soldaten nützen zu gar nichts. Das arme Volk muss sie nur ernähren, damit sie das Abschlachten richtig lernen. – Ich bin nur eine alte einfache Frau, das muss ich sagen; aber wenn ich sie so ansehe, wie sie so den ganzen Tag mit den Beinen strampeln, so spreche ich oft zu mir selbst: Wie es Leute gibt, die so viele Erfindungen machen zum Wohle der Menschheit, so gibt es auch solche die zum Schaden derselben auf Böses sinnen. Ist es denn wirklich nicht ein Gräuel, dass sich die Leute gegenseitig umbringen, bloß weil sie Preussen, Engländer, Polen oder Franzosen sind? Wenn man sich an Jemandem für ein Unrecht zu rächen sucht, so ist das böse und wird verdammt; aber wenn man unsre jungen Burschen wie die Hasen niederknallt, so ist das gut und man zeichnet den aus, der das Meiste darin leistet. Nein, sehen Sie, das werde ich nie verstehen.«
»Der Krieg« warf Cornudet laut ein »ist eine Barbarei, sobald man den friedlichen Nachbar angreift; aber er ist eine heilige Pflicht, sobald es sich um die Verteidigung des Vaterlandes handelt.«
Die alte Frau senkte den Kopf.
»Jawohl, wenn man sich verteidigt, das ist etwas anderes. Aber müsste man dann nicht alle Könige umbringen, die so etwas nur zum Vergnügen treiben?«
»Bravo, Bürgerin!« rief Cornudet flammenden Auges. Herr Carré-Lamadon war in tiefes Nachdenken versunken. Obschon er für den Kriegsruhm schwärmte, so stellte er sich doch nach den Worten dieser einfachen Frau den Wohlstand vor, den so viele tausende, jetzt arbeitslose und deshalb kostspielige Hände dem Lande bringen müssten; wie viele Kraft, die man jetzt ungenützt erhalten müsste liesse sich da zu industriellen Zwecken verwenden, deren Bewältigung jetzt Jahrzehnte erforderte.
Loiseau hatte unterdessen seinen Platz verlassen und sich zu dem Wirt gesetzt. Der dicke Mann lachte, hustete und spuckte abwechselnd; sein dicker Bauch wackelte vor Vergnügen bei den Witzen seines Nachbarn. Er kaufte ihm sechs Fass Bordeaux ab zum nächsten Frühjahr, wenn die Preussen wieder abgezogen wären.
Das Souper war kaum zu Ende, als alle, von Müdigkeit überwältigt, ihre Zimmer aufsuchten.
Loiseau, der auf alles ein Auge hatte, ließ indessen seine Frau zu Bett gehen, während er selbst bald sein Auge bald sein Ohr an’s Schlüsselloch brachte, um »die Geheimnisse des Ganges,« wie er sie nannte, zu erforschen.
Nach Verlauf einer Stunde hörte er ein Geräusch, blickte schnell hindurch und gewahrte Fett-Kloss, die in einem spitzenbesetzten Schlafrock aus blauem Kaschmir noch unförmlicher aussah. Sie trug ein Nachtlicht und ging auf die Tür mit der bekannten Nummer am Ende des Ganges zu. Als sie nach einigen Minuten von dort zurück kam, öffnete sich seitwärts eine andere Türe. Cornudet nur im Hemd und Beinkleid kam hinter ihr her. Sie sprachen leise miteinander und blieben endlich stehen. Fett-Kloss schien ihm energisch den Eintritt in ihr Zimmer zu verwehren. Leider konnte Loiseau nicht alles verstehen; er fing nur einige Worte auf, als sie schliesslich doch lauter wurde. Cornudet drängte lebhaft.
»Gehen Sie doch!« sagte er, »seien sie nicht närrisch; was macht das Ihnen denn?«
»Nein, nein, Wertester«, sagte sie mit entrüsteter Miene, »es gibt Augenblicke, wo man so was nicht macht. Und dann, hier an diesem Orte wäre es geradezu eine Schmach.«
Er verstand sie entschieden nicht und fragte um den Grund.
»Warum?« sagte sie, mit noch erhobenerer Stimme. »Sie begreifen nicht, warum? Weil Preussen hier im Hause sind, vielleicht gleich im Zimmer nebenan.«
Er schwieg. Diese patriotische Scham einer Prostituierten, die unter den Augen des Feindes sozusagen, sich nicht preisgeben wollte, mochte doch in seinem Herzen noch einen Rest von Schamgefühl erwecken; denn er küsste sie nur und ging dann mit Katzentritten wieder auf sein Zimmer.
Loiseau war sehr erregt. Er verliess das Schlüsselloch, rannte im Zimmer hin und her, zog sein Nachthemd an, und lüftete die Decke, unter der seine Ehehälfte ruhte. »Hast Du mich lieb, Schatz?« fragte er sie mit einem Kusse weckend.
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