Dann wurde es still in ganzem Hause. Aber bald erhob sich irgendwo, aus einer unbestimmten Richtung, entweder aus dem Keller oder aus dem Söller kommend, ein mächtiges einförmiges gleichmässiges Schnarchen. Es wechselte mit kurzen und langen Tönen ab, wie ein unter Druck erzitternder Dampfkessel. Herr Follenvie schlief.
Da man beschlossen hatte, am anderen Morgen um 8 Uhr abzureisen, so fand sich früh alles pünktlich im Gastzimmer ein; aber der Wagen, dessen Dach mit Schnee bedeckt war, stand einsam, ohne Kutscher und Pferde im Hofe. Vergeblich suchte man ersteren in den Ställen, im Futterraum, in den Remisen. Da beschloss man etwas spazieren zu gehen, um sich den Ort anzusehen. Sie befanden sich auf dem Platze, in dessen Hintergrunde die Kirche lag mit niedrigen Häusern auf beiden Seiten, in denen man preussische Soldaten bemerkte. Der erste, den sie sahen, klaubte Kartoffeln aus; der zweite reinigte den Laden eines Barbiers. Ein dritter, bärtig bis unter die Augen, küsste ein weinendes Baby und schaukelte es auf den Knien, um es zu beruhigen. Dicke Bäuerinnen, deren Männer bei der »mobilen Armee« waren, zeigten den gutwilligen Siegern durch Gebärden, was sie zu tun hätten. Da gab es Holz zu spalten, Suppe zu kochen, Kaffee zu mahlen; ja einer wusch sogar das Leinenzeug seiner Hauswirtin, einer ganz hilflosen Alten.
Erstaunt fragte der Graf den Küster, der gerade aus der Sakristei kam. »Ja, diese da,« sagte die alte Kirchenratte, »sind wackere Kerle. Es sind keine Preussen was man so sagt. Sie sind von weiter her, ich weiß nicht wo. Sie haben alle Frauen und Kinder daheim, und der Krieg macht ihnen wahrhaftig kein Vergnügen. Bei ihnen zu Hause wird man sicher auch nach den Männern jammern, und die Ihrigen werden nicht besser dran sein, wie bei uns. Hier ist man übrigens augenblicklich ganz zufrieden. Sie betragen sich gut und arbeiten so gut wie bei sich zu Hause. Sehen Sie, mein Herr, arme Leute müssen sich gegenseitig helfen … Die Großen sind es nur, die den Krieg führen …«
Cornudet, sehr entrüstet über dieses freundschaftliche Verhältnis zwischen Siegern und Besiegten, ging heim; er zog es vor im Hôtel zu bleiben. »Sie bevölkern wieder,« sagte Loiseau scherzend. »Sie machen manches wieder gut,« entgegnete Herr Carré-Lamadon erregt. Der Kutscher war nirgends zu finden. Schliesslich entdeckte man ihn in einer Kaffeeschenke, wo er sich mit dem Burschen des Offiziers freundschaftlich zusammen niedergelassen hatte.
»Hat man Ihnen denn nicht befohlen, um 8 Uhr anzuspannen?« fragte ihn der Graf.
»Ganz recht; aber nachher hat man anders befohlen.«
»Was?«
»Überhaupt nicht anzuspannen?«
»Wer hat das verboten?«
»Nun, der preussische Offizier.«
»Warum denn?«
»Ich weiß von nichts. Fragen Sie ihn. Man verbietet mir anzuspannen; nun so spann ich eben nicht an … Selbstredend.«
»Hat er Ihnen selbst das gesagt?«
»Nein, mein Herr; der Wirt hat mir seinen Befehl überbracht.«
»Wann denn?
»Gestern Abend, als ich schlafen ging.«
Die drei Herren gingen sehr beunruhigt heim. Man fragte nach Herrn Follenvie, aber das Mädchen erklärte, dass der Herr wegen seines Asthma’s nie vor zehn Uhr aufstände. Er hatte sogar ausdrücklich verboten ihn früher zu wecken; ausser im Falle eines Brandes.
Man wünschte den Offizier zu sprechen; aber das war absolut unmöglich, obschon er im Hôtel wohnte. Er verhandelte in Zivil-Angelegenheiten nur mit Herrn Follenvie. So musste man denn warten. Die Damen begaben sich wieder auf ihre Zimmer und suchten sich die Zeit zu vertreiben, so gut es ging.
Cornudet setzte sich an den Herd in der Küche, wo ein mächtiges Feuer brannte. Er ließ sich dort einen kleinen Kaffeetisch und eine Flasche Bier hinbringen; dann zog er seine Pfeife hervor die bei den Demokraten beinahe ebenso in Ansehen stand, wie er selbst; als ob sie dem Vaterlande diente, weil Cornudet sie im Gebrauch hatte. Es war eine prächtige Meerschaumpfeife, herrlich angeraucht, ebenso schwarz wie die Zähne ihres Herrn, wohlriechend, gekrümmelt, glänzend, handlich und ganz zu seinem Gesicht passend. So sass er still vor sich hin, die Augen bald auf das Herdfeuer bald auf den Schaum in seinem Glase geheftet. Jedes Mal wenn er getrunken hatte, fuhr er sich mit seinen langen hageren Fingern befriedigt durch das lange fettige Haar, und wischte sich dann den Schaum aus dem Schnurrbart.
Loiseau begab sich unter dem Vorwand, sich Bewegung zu machen hinaus und versuchte bei den Kneipwirten des Ortes seinen Wein anzubringen. Der Graf und der Fabrikant unterhielten sich über Politik; ihr Gespräch drehte sich um die Zukunft Frankreichs. Der eine baute seine Hoffnungen auf die Orleans der andere auf irgend einen unbekannten Retter, einen Held, der ihnen im letzten Augenblick der Verzweiflung entstehen würde: Einen du Guesclin, eine Jeanne d’Arc etwa, oder einen zweiten Napoleon. Ja, wenn der kaiserliche Prinz nicht noch so jung wäre. Cornudet hörte ihnen mit dem Lächeln eines Mannes zu, der weiter in die Zukunft blickt. Der Dampf seiner Pfeife hüllte die Küche ein.
Als es zehn Uhr schlug, erschien Follenvie. Man bestürmte ihn mit Fragen; aber er wiederholte drei bis viermal genau dieselbe Geschichte. »Herr Follenvie,« hat der Offizier zu mir gesagt. »Sie werden verbieten, dass man morgen den Wagen dieser Reisenden anspannt. Ich will nicht, dass sie ohne meine Erlaubnis abreisen; verstehen Sie? Gut also.«
Nun wollte man den Offizier aufsuchen. Der Graf schickte ihm seine Karte, auf der auch Herr Carré-Lamadon seinen Namen samt allen Titeln und Würden vermerkte. Der Preusse ließ zurücksagen, dass er den beiden Herrn gestatten würde, ihn nach seinem Frühstück, d. h. um ein Uhr aufzusuchen.
Die Damen erschienen wieder und trotz der allgemeinen Misstimmung nahm man etwas zu sich. Fett-Kloss schien krank und sichtlich sehr verwirrt.
Als man mit dem Kaffee fertig war, erschien eine Ordonanz, um die Herrn zu holen, denen sich Loiseau als dritter anschloss. Cornudet dagegen, den man um der Sache mehr Feierlichkeit zu geben, ebenfalls zur Beteiligung aufforderte, erklärte entschieden, dass er keine Beziehungen mit den Preussen zu haben wünsche. Er zog sich wieder an seinen Kamin zurück und bestellte eine neue Flasche.
Die drei Herrn gingen hinauf und wurden in das schönste Zimmer des Gasthofs geführt, wo sie der Offizier, auf einem Sessel ruhend, die Füsse am Kamin ausgestreckt und eine lange Porzellanpfeife im Munde, empfing. Ein greller Zimmerrock, ohne Zweifel aus der verlassenen Wohnung irgend eines Spiessbürgers geraubt, dessen schlechter Geschmack sich an ihm bekundete, umgab ihn statt der Uniform. Er erhob sich weder, noch begrüsste er sonst die Herrn; er würdigte sie nicht einmal eines Blickes. Es schien als wollte er ihnen mal eine Probe von der den siegreichen Soldaten eigenen Roheit geben.
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