Die vier Damen gingen voraus, während die drei Herren in einiger Entfernung folgten.
Loiseau, der die Lage erfasst hatte, fragte plötzlich, ob »dieses Mädchen da« sie noch lange in dieser Patsche sitzen lassen wollte. Der Graf, stets ritterlich, erklärte, man könne von einem Weibe ein solches Opfer nicht verlangen, es müsse von ihr selbst ausgehen. Herr Carré-Lamadon meinte, dass wenn die Franzosen, wie verlautete, einen Offensiv-Rückstoss von Dieppe aus machen würden, so könne das Treffen entschieden nur bei Tôtes stattfinden. Diese Ansicht machte die anderen bedenklich. »Ob man sich nicht zu Fuss davon machen wollte?« meinte Loiseau wieder. Der Graf zuckte die Achseln. »Woran denken Sie bei dem Schnee? Mit unseren Frauen? Und dann würde man sofort die Verfolgung aufnehmen, uns einholen, und als Gefangene der Gnade und Ungnade der Soldateska überliefern.« Das war richtig und man schwieg.
Die Damen sprachen von Toilette; aber ein gewisser Zwang schien auf ihnen zu lasten.
Plötzlich an der Strassenecke erschien der Offizier. Sein hoher schlanker Wuchs hob sich bei dem lichten Schnee noch deutlicher ab; er ging mit gebogenen Knien mit jener eigentümlichen Haltung der Soldaten, die ihre sorgfältig gewichsten Stiefel nicht beschmutzen wollen.
Er grüsste flüchtig die Damen und sah hochmütig auf die Herrn, welche übrigens noch Selbstgefühl genug besassen, den Hut nicht zu lüften, wenngleich Loiseau schon mit der Hand nach dem Kopfe fuhr.
Fett-Kloss war bis über die Ohren rot geworden; den drei Frauen war es ein peinliches Gefühl, von dem Offizier so in Gesellschaft dieser Prostituierten getroffen zu werden, gegen die er sich so unritterlich benommen hatte.
Das Gespräch drehte sich jetzt natürlich um ihn, um seine Haltung, sein Gesicht. Madame Carré-Lamadon, die ja viel mit Offizieren verkehrte und sie als Kennerin beurteilte, fand ihn durchaus nicht übel. Sie bedauerte sogar, dass er kein Franzose sei. Er würde jedenfalls einen hübschen Husaren abgegeben haben, in der alle Damen sich vernarrt hätten.
Zu Hause angekommen wusste man wieder nicht, was beginnen. Scharfe Worte fielen sogar wegen ganz nebensächlicher Dinge. Das Diner verlief rasch und fast schweigsam. Jeder ging bald zu Bett, in der Hoffnung die Zeit mit Schlafen totzuschlagen.
Am anderen Morgen erschien alles mit abgespannten Mienen und in verdriesslicher Stimmung. Die Damen sprachen kaum noch mit Fett-Kloss.
Eine Glocke läutete; in der Kirche fand eine Taufe statt. Fett-Kloss hatte ein Kind, das bei Landleuten in Yvetot aufgezogen wurde. Sie sah es das ganze Jahr nicht und dachte kaum daran; aber der Gedanke an die stattfindende Taufe erweckte plötzlich in ihr ein heftiges zärtliches Verlangen nach demselben. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen bei der Taufe zugegen zu sein.
Sobald sie fortgegangen war, sahen sich alle an: man steckte die Köpfe zusammen, denn man fühlte unwillkürlich, dass jetzt endlich eine Entscheidung eintreten müsse. Loiseau hatte einen Einfall: Man sollte dem Offizier vorschlagen, Fett-Kloss allein da zu behalten und die übrigen abreisen zu lassen.
Herr Follenvie übernahm diesen Auftrag, aber er war im Handumdrehen wieder da. Der Deutsche, der sichtlich Menschenkenner war, hatte ihn einfach an die Luft gesetzt. Es blieb dabei, allen die Abreise zu versagen, wenn sein Wunsch nicht erfüllt würde.
Da brach die pöbelhafte Gesinnung der Madame Loiseau sich endlich Bahn. »Wir können hier doch nicht bis zu unserem Ende bleiben. Da dieses Mädchen nun einmal ein Geschäft daraus macht, mit aller Welt zu gehn, so finde ich es sehr lächerlich, wenn sie sich jetzt ziert. In Rouen nahm sie alles mit, was kam, und wenn es ein Kutscher war! Allerdings, Madame, z. B. den Kutscher von der Präfektur! Ich weiß es genau; er kaufte seinen Wein bei uns. Und heute, wo es sich darum handelt, uns aus der Verlegenheit zu reissen, spielt sie die Spröde, diese Rotznase …! Ich finde meinerseits, dass dieser Offizier sich sehr anständig benimmt. Er hat jedenfalls längere Zeit schon fasten müssen; und da wären wir drei Frauen ihm doch jedenfalls noch lieber gewesen. Aber nein; er begnügt sich mit diesem Allerwelts-Mädchen. Er hat Rücksicht gegen die verheirateten Damen. Bedenken Sie nur, dass er der Herr ist. Er braucht nur zu sagen: »Ich will,« und seine Soldaten schleppen uns mit Gewalt zu ihm hin.«
Ein Schauder durchrieselte die beiden anderen Damen. Die Augen der hübschen Madame Carré-Lamadon glänzten und sie war ordentlich blass geworden, als befände sie sich schon in der Gewalt des Offiziers.
Die Herren, welche sich etwas abseits besprochen hatten, kamen näher heran. Loiseau, ganz ausser sich, wollte diese »Elende« an Händen und Füssen gebunden, dem Feinde ausliefern. Aber der Graf, der eine angeborene Diplomaten-Natur besass, denn seine Vorfahren waren durch drei Generationen bei der Gesandtschaft gewesen, liebte nicht die Gewalt. »Sie muss selbst die Entscheidung treffen« sagte er.
Nun schmiedete man einen Plan.
Die Damen drängten sich zusammen, ihre Stimmen wurden leise, und jeder gab in der allgemeinen Beratung seine Ansicht kund. Es war übrigens sehr amüsant. Diese Damen fanden die sonderbarsten Redewendungen, die zartesten Ausdrücke, um die schmutzigsten Dinge zu sagen. Ein Uneingeweihter würde nichts verstanden haben; so vorsichtig deutete man alles an. Aber da die leichte Schamhülle, welche jede Frau von Welt besitzt, nur die äussere Oberfläche bedeckt, so gefielen sie sich eigentlich in diesem närrischen Abenteuer; es machte ihnen im Grunde des Herzens riesigen Spaß. Sie plauderten von Liebessachen, mit den schnalzenden Lippen eines Koches, der ein leckeres Souper bereitet.
Ihre Munterkeit kehrte von selbst zurück, so scherzhaft erschien ihnen schliesslich die ganze Geschichte. Der Graf fand sogar den Mut zu einigen riskanten Witzen, die aber so fein gegeben waren, dass alles lächelte.
Loiseau fand schon etwas derbere Ausdrücke, aber man war ihm nicht böse darob. Und der Gedanke, den seine Frau so rücksichtslos ausgesprochen hatte: »Wenn es das Geschäft dieses Mädchens nun einmal ist, warum macht sie hier eine Ausnahme?« beherrschte sie alle. Die reizende Madame Carré-Lamadon schien sogar heimlich zu denken, dass sie an jener ihrer Stelle hier am wenigsten eine Ausnahme machen würde.
Man durchdachte sorgfältig den Angriffsplan, wie bei einer belagerten Festung. Jeder prägte sich die Rolle ein, die er zu spielen hatte, die Beweise, die er vorbringen wollte, die Kunstgriffe, die er anwenden musste. Man ordnete den Angriff, die Kampfesmittel und den Sturm, um diese lebende Feste zu zwingen, den Feind aufzunehmen.
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