Nur Cornudet hielt sich abseits; er stand dieser Sache ganz fremd gegenüber.
Man war so in der Verteilung der Rollen vertieft, dass man Anfang nicht bemerkte, wie Fett-Kloss aus der Kirche zurückkam. Aber ein leises »Pst« des Grafen warnte sie noch rechtzeitig. Bei ihrem Erscheinen schwieg plötzlich alles still und eine gewisse Verlegenheit hielt anfangs jeden ab, sie anzureden. »War es hübsch bei der Taufe?« fragte endlich die Gräfin, welche durch ihre Erziehung mehr an die Doppelzüngigkeit des Salons gewöhnt war.
Fett-Kloss, noch ganz bewegt, schilderte alles, sowohl die Gesichter als die Haltung der Einzelnen; sogar das Innere der Kirche. »Es tut einem zuweilen so gut, zu beten,« fügte sie hinzu.
Bis zum Frühstück bemühten sich die Damen liebenswürdig gegen sie zu sein, um sie vertrauensseliger und für ihre Vorschläge zugänglicher zu machen.
Bei Tisch begann man sofort die Annäherungsversuche. Zunächst führte man ein allgemeines Gespräch über den Opfermut. Man führte Beispiele aus alter Zeit an: Judith und Holofernes, dann, ohne rechte Veranlassung Lucrecia und Sextus; Kleopatra, die ihre zahlreichen Feinde einen nach dem anderen in ihrem Bett zu ihren Sklaven umwandelte. Dann tischte man eine Geschichte auf, so fantastisch, wie sie nur im Gehirn dieser unwissenden Millionäre entstehen konnte, wonach nämlich die Römerinnen bei Kapua den Hannibal und mit ihm seine Lieutenants und die Scharen seiner Söldner in ihren Armen eingeschläfert hätten. Man führte der Reihe nach alle Frauen an, die einen Eroberer auf seiner Siegeslaufbahn abhielten, ihren Leib zum Schlachtfeld machten, ihn als Waffe, als Mittel der Herrschaft verwendeten und durch ihre heroischen Liebesopfer die Welt von einem verhassten schändlichen Wesen befreiten; die ihre Keuschheit der Rache und der Pflicht opferten.
Man sprach sogar mit verschleierten Ausdrücken von jener vornehmen Engländerin, die sich eine furchtbare ansteckende Krankheit einimpfen ließ um sie auf Bonaparte zu übertragen, der nur durch ein Wunder der Ansteckung entging, indem ihm zur Stunde des gefährlichen Rendezvous plötzlich die Manneskraft fehlte.
Alles dieses erzählte man in ganz leichter und zufälliger Weise; nur zuweilen brach man absichtlich in lauten Beifall aus, um zur Nacheiferung anzuspornen. Man hätte schliesslich glauben sollen, dass die einzige Aufgabe der Frau hier auf Erden, ein ewiges Opfer ihrer Person, eine beständige Hingabe an die Launen der Soldateska sei.
Die beiden Ordensschwestern schienen nichts zu verstehen; sie waren in tiefe Gedanken versunken. Fett-Kloss sagte nichts.
Man ließ ihr den Nachmittag über Zeit zum Nachdenken. Aber statt sie, wie bisher »Madame« zu nennen, sagte man jetzt »mein Fräulein« zu ihr, ohne dass man sich selbst über den Grund dazu Rechenschaft gab. Aber es war, als hätte man die Achtung vor ihr um einen Grad heruntersetzen, ihr das Gefühl ihrer Schande näher legen wollen.
In dem Augenblick, wo die Suppe aufgetragen wurde, erschien Herr Follenvie. »Der preussische Offizier lässt Fräulein Elisabeth Rousset fragen, ob sie ihre Ansicht noch nicht geändert hat?« wiederholte er seine stehende Phrase.
»Nein, mein Herr,« antwortete Fett-Kloss trocken. Aber beim Essen fiel die Gesellschaft aus der Rolle. Loiseau brachte einige schlechtgewählte Redensarten vor. Jeder klopfte sich an die Stirn und suchte nach irgendwelchen neuen Beispielen, als die Gräfin, ohne Überlegung vielleicht, in dem unbestimmten Bedürfnisse Trost in der Religion zu suchen, die ältere der Ordensschwestern nach den großen Taten aus dem Leben der Heiligen fragte. Da hatten freilich manche von ihnen Dinge begangen, die nach unseren Begriffen ein Verbrechen gewesen wären. Aber die Kirche billigte zweifelsohne solche Dinge, wenn sie zur Ehre Gottes oder zum Heile des Nächsten vollbracht waren. Das war ein kräftiges Argument, von dem die Gräfin ihren Nutzen zog. Jedenfalls brachte ihr die Schwester einen ganz unverhofften mächtigen Beistand, mochte sie nun beabsichtigt haben ihr zu helfen, oder mochte sie rein ohne das geringste Verständnis für die Sachlage ihre Meinung aussprechen. Was sie da sagte war über jeden Zweifel erhaben; ihr Glaube war unerschütterlich wie ein Fels; ohne Zögern, ohne Gewissensbisse gab sie ihre Opferwilligkeit zu erkennen. Sie begriff das Opfer Abrahams, wie sie sagte, vollständig; denn sie würde unbedingt Vater und Mutter töten, wenn sie den Befehl des Himmels dazu erhielte. Ihrer Meinung nach könne Gott nichts missfallen, was zu einem löblichen Zwecke geschehe. Die Gräfin hatte ihren Vorteil wahrgenommen, und sie, ohne dass sie es merkte, eine erbauliche Umschreibung des alten Grundsatzes »der Zweck heiligt die Mittel« ausführen lassen.
»Sie denken also Schwester,« fragte sie »dass Gott jedes Opfer annimmt, und die Tat verzeiht, wenn der Beweggrund ein reiner ist?«
»Wer wollte das bezweifeln, Madame? Eine an sich tadelnswerte Handlung wird durch die Absicht, die uns leitet, verdienstlich.«
So fuhren sie noch lange fort, den Willen Gottes auseinanderzusetzen, seine Entscheidungen gewissermassen vorweg zu nehmen; sie schrieben ihm schliesslich ein Interesse an Dingen zu, die ihn in der Tat gar nichts angingen.
Alles dieses war natürlich geschickt verschleiert; aber jedes Wort der ehrwürdigen Schwester legte eine Bresche in die Widerstandskraft der Prostituierten. Dann lenkte die Unterhaltung sich auf das Ordenshaus, die Oberin, die Schwester selbst und ihre kleine Nachbarin, die Schwester Nicephora. Man hatte sie nach Havre berufen, um dort im Lazareth die Pflege der Blatternkranken zu übernehmen. Sie beschrieb das Aussehen dieser armen Soldaten und schilderte alle Einzelnheiten der Krankheit. Und während sie nun durch die Laune dieses Preussen zurückgehalten würden, stürbe vielleicht eine ganze Anzahl Franzosen, die durch ihre Pflege hätten gerettet werden können. Die Pflege kranker Soldaten sei ihre Spezialität. Sie wäre in der Krim, in Italien, in Österreich mitgewesen. Während sie so ihren Reisegefährten erzählte, entpuppte sie sich vor deren Augen plötzlich als eine jener wackren mutigen Ordensfrauen, die dafür geschaffen zu sein scheinen, im Kampfgewühl die Verwundeten aufzuheben und mit einem Wort die rohesten Schmierfinken zum Gehorsam zu bringen. Sie war eine echte Schwester Ra-ta-plan, deren gefurchtes mit zahllosen Löchern bedecktes Gesicht selbst ein Bild der Verwüstung des Krieges bot.
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