Er grüßte und entschuldigte sich.
– Ich bitte um Entschuldigung, sagte er, wenn ich Ihnen an Stelle meines Bruders entgegentrete. Aber er hat mich beauftragt, Sie um eine Auskunft zu bitten, die er nicht gerne selbst erhalten möchte.
Dann blickte er ihr scharf ins Auge und sagte plötzlich:
– Wir wissen, dass Sie kein Kind von ihm haben.
Sie war einen Augenblick stutzig, gewann aber sogleich die Fassung wieder, setzte sich und blickte diesen Richter lächelnd an.
– Nein, ich habe kein Kind, antwortete sie einfach.
– Wir wissen auch, dass Sie nie in Italien gewesen sind.
Diesmal begann sie laut aufzulachen.
– Nein, ich bin nicht in Italien gewesen.
Mein Bruder war betroffen und sagte:
– Der Graf hat mich beauftragt, Ihnen dieses Geld zu geben und Ihnen zu erklären, dass er seine Beziehungen zu Ihnen abbräche.
Sie wurde wieder ernst, steckte das Geld ruhig in die Tasche und sagte naiv:
– Also… soll ich den Grafen nicht wiedersehen?
– Nein, meine Dame.
Sie schien das nicht zu erwarten und setzte ruhigen Tons hinzu:
– Schade. Ich liebte ihn sehr.
Als mein Bruder sah, dass sie so entschlossen war, fragte er sie, gleichfalls lächelnd: »Sagen Sie mir bitte nur, warum Sie diese lange und komplizierte Geschichte von der Reise und dem Kinde erfunden haben?«
Sie blickte meinen Bruder ganz erstaunt an, als ob er etwas sehr Dummes gefragt hatte, und antwortete:
– Das ist doch aber arg! Glauben Sie denn, eine arme kleine Bürgersfrau wie ich, an der garnichts dran ist, hätte einen Mann wie den Grafen von L…, einen Minister, einen Grandseigneur, einen reichen und verführerischen Gentleman, drei Jahre lang festhalten können, wenn ich nicht etwas hatte, womit ich ihn hielt? Nun, es ist jetzt zu Ende; schade drum! Aber es konnte ja nicht ewig so bleiben. Drei Jahre lang ist mir’s wenigstens gelungen. Bitte sagen Sie dem Grafen viele Grüße von mir.
Sie stand auf.
– Aber… das Kind, fing mein Bruder wieder an. Sie hatten doch ein Kind, das Sie ihm zeigen wollten.
– Gewiss, es ist das Kind meiner Schwester. Sie hat es mir geliehen. Wahrscheinlich stammt der Brief von ihr.
– Schön, aber alle diese Briefe aus Italien?
Sie setzte sich wieder und schüttelte sich vor Lachen.
– Oh, diese Briefe! sagte sie. Ein ganzes Gedicht. Der Graf war nicht umsonst Minister des Auswärtigen.
– Aber… wie denn…
– Das ist mein Geheimnis. Ich will niemand blosstellen.
Sie grüßte mit leicht spöttischem Lächeln und ging ohne jede Gemütsbewegung, wie eine Schauspielerin, deren Rolle zu Ende ist. –
»Und die Moral«, setzte Graf L… hinzu: »Traue keiner diesen lockren Vögeln!«
*
– Gräfin Samoris.
– Die Dame da unten in Schwarz?
– Sie selbst. Sie trauert um ihre Tochter, die sie getötet hat.
– Nicht doch! Was erzählen Sie mir da!
– Eine ganz einfache Geschichte ohne Verbrechen und Gewalttaten. Frau Samoris hat mit Herrn Rappaport nichts zu tun.
– Was war denn aber der Grund?
– Fast nichts. Viele Hetären, sagt man ja, sind zu anständigen Weibern geboren, und viele sogenannte anständige Damen sind geborene Hetären, nicht wahr? So ist Frau Rappaport – pardon! Frau Samoris – eine geborene Hetäre, und ihre Tochter war zum ehrbaren Weibe geboren.
– Ich verstehe Sie nicht recht.
– Ich werde es Ihnen gleich erklären. Die Gräfin Samoris gehört zu jenen Talmi-Fremden, wie sie auf Paris alljährlich zu Hunderten herabregnen. Sie war eine Gräfin aus Ungarn oder der Walachei, oder sonst woher, und tauchte eines Winters in einem Hause der Champs-Élysées, dieses Abenteurer-Viertels, auf, wo sie ihre Salons aller Welt öffnete.
Ich ging auch hin. Warum? werden Sie fragen. Ich weiß es selbst nicht recht. Ich ging hin, wie wir alle hingehen, weil dort gespielt wird, weil die Weiber gefällig und die Männer Gauner sind. Sie kennen ja diese Freibeuterwelt mit ihren mannigfachen Aushängeschildern, sie sind alle von edler Geburt, alle haben Titel, und alle sind auf den Gesandtschaften unbekannt, ausgenommen die Spione. Alle sprechen von Ehre, auch wenn von ihren Stiefeln die Rede ist, prahlen mit ihren Vorfahren und erzählen von ihrem Leben; sie sind allesamt Aufschneider, Lügner und Schelme, verdächtig wie ihre Karten, trügerisch wie ihre Namen, kurz, eine rechte Galgen-Aristokratie.
Ich liebe diese Leute! Es ist interessant, sie zu durchschauen, interessant, sie kennen zu lernen, amüsant, sie anzuhören; sie sind oft geistreich und nie banal, wie öffentliche Beamte. Ihre Weiber sind immer hübsch, mit einem kleinen Stich ins Ausländisch-Gaunerhafte, vom Geheimnis ihres Daseins umwittert, das sie vielleicht zur Hälfte in einem Korrektionshause verbracht haben. Im Allgemeinen haben sie prächtige Augen und unwahrscheinlich schönes Haar; sie liebe ich gleichfalls!
Frau Samoris ist der Typus dieser Abenteuerinnen. Sie ist elegant, üppig und noch schön, reizend und verschlagen; man spürt, sie ist lasterhaft bis ins Mark. Bei ihr amüsierte man sich besonders gut, man spielte, tanzte, soupierte… kurzum, man ging in ihrem Hause allen weltlichen Vergnügungen nach.
Sie hatte eine schon erwachsene Tochter, eine große und stolze Erscheinung. Sie war immer fröhlich, immer zu Kurzweil aufgelegt, immer über das ganze Gesicht lächelnd und von leidenschaftlicher Tanzlust. Aber sie war unschuldig, unwissend und von Herzen naiv; sie sah nichts, wusste nichts, verstand nichts und erriet nichts von alledem, was im Hause ihrer Mutter vorging.
– Woher wissen Sie das?
– Woher ich das weiß? Das ist bei der ganzen Sache das drolligste. Eines schönen Morgens klingelte es bei mir und mein Kammerdiener meldete einen Herrn Joseph Bonenthal, der mich zu sprechen wünschte. Ich fragte gleich:
– Wer ist dieser Herr?
– Ich weiß nicht recht, gnädiger Herr, sagte mein dienstbarer Geist, es ist vielleicht ein Diener.
Es war auch wirklich ein Diener, der bei mir in Stellung gehen wollte.
– Woher kommen Sie? fragte ich ihn.
– Von Frau Gräfin Samoris.
– Ach!… Aber in meinem Hause geht es anders zu, als bei ihr.
– Ich weiß wohl, gnädiger Herr, deshalb wollte ich grade zum gnädigen Herrn kommen. Ich habe von den Leuten da genug; das macht man wohl mal mit, aber man bleibt doch nicht da.
Da ich grade noch einen Diener brauchte, nahm ich ihn.
Einen Monat später starb Yveline Samoris auf geheimnisvolle Weise. Ich habe alle Einzelheiten ihres Todes von Joseph erfahren, der sie wiederum von seiner Freundin, der Kammerzofe der Gräfin, hatte.
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