»Gewiss, Madame.«
Und er erzählte so poetisch von seinem täglichen Leben, dass in dem Herzen dieser Bürgersleute, die des grünenden Rasens für gewöhnlich entbehren mussten und für die eine Landpartie das grösste Fest des Landes bildete, wieder völlig jene sinnlose Naturschwärmerei erwachte, der sie sich das ganze Jahr über hinter ihrem Ladentisch hinzugeben pflegten.
Das junge Mädchen hob jetzt sichtlich ergriffen den Kopf und betrachtete sich die beiden Ruderer. »Ja, ja, das ist ein Leben« sagte Herr Dufour, der jetzt zum ersten Male das Wort ergriff. »Noch etwas Kaninchen gefällig, meine Liebe?« fügte er hinzu. »Nein, danke Dir, lieber Freund!«
»Frieren Sie niemals so?« wandte sie sich jetzt wieder den jungen Leuten zu und zeigte auch deren entblösste Arme.
Diese fingen beide herzlich zu lachen an, und machten nun die Familie Dufour durch die Geschichte gruselig, welche sie von ihren Schwitzbädern und ihren Touren im Dunkel der Nacht erzählten. Dabei klopften sie sich mehrfach auf die Brust um den kräftigen Wiederhall derselben zu zeigen.
»Ach ja, Sie haben ein kräftiges Äussere,« sagte Herr Dufour, der nicht mehr auf die Zeit zurückkam, wo er die Engländer geschlagen hatte.
Das junge Mädchen sah sie sich abermals von der Seite an; der Flachskopf, dem beim Trinken etwas in die falsche Kehle gekommen war, hustete heftig und bespritzte bei dieser Gelegenheit die kirschrote Robe der Hausfrau, die zornig nach Wasser rief um die Flecken zu entfernen.
Unterdessen war die Luft entsetzlich schwül geworden und der Alkohol benebelte dazu auch noch die Sinne.
Herr Dufour, den ein heftiger Schluckser plagte, hatte seine Weste und den Oberknopf seines Beinkleides geöffnet, während seine Frau, die beinahe zu ersticken drohte, allmählich leise ihre Taille losheftelte. Der junge Mensch wedelte sich mit der Serviette frische Luft zu und schenkte sich immer wieder zu trinken ein. Die Großmutter, die sich zwar auch etwas angeheitert fühlte, blieb indessen ernst und zurückhaltend. Das junge Mädchen ließ sich äusserlich nichts merken; sein Auge nur leuchtete zuweilen schwärmerisch auf und seine brünette Haut zeigte hin und wieder auf den Wangen ein flüchtiges Rot.
Der Kaffee gab ihnen den Rest. Man sprach von Singen, und jeder gab sein Lied zum Besten, dem die anderen lebhaft Beifall klatschten. Alsdann erhob man sich mit einiger Mühe und während der weibliche Teil der Gesellschaft etwas Atem schöpfte, versuchte sich der männliche Teil, beiderseits stark angetrunken in gymnastischen Übungen. Schwerfällig, schlaff und mit geröteter Stirn fassten sie sich linkisch um die Hüften und suchten sich vergeblich in die Höhe zu heben; dabei drohten ihre Hemden fortwährend aus den Hosen hervorzurutschen und wie Fähnlein vor ihren Bäuchen zu flattern.
Die beiden Ruderer hatten indessen ihre Yollen ins Wasser geschoben und schlugen nun mit vollendeter Höflichkeit den Damen eine kleine Kahnpartie vor.
»Lieber Dufour, erlaubst Du? ich bitte Dich darum« rief seine Frau. Er sah sie mit halbtrunkener verständnisloser Miene an. Da näherte sich ihm der eine Ruderer, zwei Angelschnüre in der Hand haltend. Die Hoffnung auf einen Fischfang, dieses Ideal eines jeden Spiessbürgers, machte das Auge des wackeren Mannes wieder leuchten, und er gab seine Einwilligung zu allem, was man wollte. Unter der Brücke setzte er sich im Schatten hin, und ließ die Beine über’m Wasser baumeln, während der junge Flachskopf an seiner Seite bald selig entschlafen war.
Der eine Ruderer brachte das Opfer, Madame Dufour in seinen Kahn aufzunehmen.
»Zum kleinen Holz auf der englischen Insel« rief er beim Fortrudern dem anderen zu.
Der zweite Kahn entfernte sich viel langsamer. Der Bootführer blickte seine Gefährtin so eigentümlich an, dass sie gar keine rechten Gedanken mehr fassen konnte, und sich von einem eigentümlich einschläfernden Gefühl beschlichen fühlte.
Das junge Mädchen sass am Steuerruder und überliess sich ganz dem sanften Behagen einer Wasserfahrt. Sie fühlte ein solches Widerstreben zu denken, eine solche Schwere in den Gliedern, eine solche Hilflosigkeit sozusagen, als wäre sie in der Tat ernstlich berauscht. Sie war sehr rot geworden und ihr Atem ging kurz. Die leichten Geister des Weines, deren Wirkung die sengende Hitze um sie herum noch vermehrte, spiegelten ihr vor, dass alle Bäume am Ufer sich vor ihr verneigten. Ein undefinierbares Bedürfnis nach Genuss brachte ihr Blut noch mehr in Wallung als die brennende Hitze des Tages; und dazu verwirrte sie noch dieses Tete-a-Tete auf dem Wasser in einer bei der Hitze ganz menschenleeren Gegend mit dem jungen Manne, den ihre Schönheit entschieden anzog, der sie mit den Augen verschlang und dessen Begehrlichkeit so erkennbar war, wie das Licht der Sonne.
Der Umstand, dass sie keine Worte für ein Gespräch fand, vermehrte noch ihre Verlegenheit, und ängstlich ließ sie den Blick über’s Ufer schweifen. Schliesslich frag der junge Mann, ob er ihren Namen wissen dürfe.
»Henriette« sagte sie kurz.
»Schauen Sie«, rief er »ich heisse Henri.«
Beim Klange ihrer Stimmen wurden sie beide wieder ruhiger und sie fingen an, ihr Augenmerk auf den Fluss zu richten. Der andere Kahn hielt an und schien auf sie zu warten. Sein Führer rief dem jungen Manne zu.
»Wir wollen uns im Holze wieder treffen; wir hier fahren erst noch zu Robinson, weil Madame Durst hat.«
Er legte sich sodann in die Riemen und flog so schnell mit seinem Boot davon, dass er bald ihrem Gesichtskreise entschwunden war.
Unterdessen vernahmen die zwei von ferne her ein unbestimmtes dumpfes Donnern, welches jetzt näher und näher kam. Der Fluss selbst schien zu erzittern, als ob das dumpfe Geräusch aus seiner Tiefe emporstiege.
»Was hört man denn da nur immer?« fragte sie. Es war der Fall des Wehres, welches an der Spitze der Insel den Fluss durchschnitt. Er begann eine lange Beschreibung dieser Anlage, als plötzlich durch das Brausen des Wasserfalles der Gesang eines Vogels noch ganz von weitem an ihr Ohr schlug. »Horchen Sie!« sagte er: »Die Nachtigallen schlagen bei Tage; das ist ein Zeichen, dass die Weibchen brüten.«
Eine Nachtigall also! Noch niemals hatte sie eine Nachtigall gehört, und der Gedanke, einer solchen zu lauschen, erweckte in ihrem Herzen die Vorstellung von allerhand poetischen Liebesideen. Eine Nachtigall! Das heisst so viel, wie der unsichtbare Zeuge jener Liebes-Szenen, den einst Juliette auf ihrem Balkon anrief; jene Musik, mit der der Himmel die Küsse der Menschen begleitet; jener nie versagende Quell all der schmachtenden Romanzen, in denen für die armen kleinen Herzen liebesdürstender Mädchen sich ein himmlisches Zauberbild widerspiegelt.
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