Es war ein sehr vergnügter Nachmittag. Man fuhr zunächst zu den Quellen des Teiches, die am Fusse eines moosbewachsenen Felsens sich in ein klares Bassin ergossen, dessen Wasser stets wie kochend aufwirbelte. Dann bewegte sich der Kahn auf richtigen Wasserwegen, die in dem Walde von trockenem Schilf eingeschnitten waren. Der Graf, der zwischen seinen zwei Hunden sass, die witternd die Nase in die Luft streckten, führte die Ruder. Jeder seiner Ruderschläge brachte den Kahn ein gutes Stück vorwärts. Johanna steckte zuweilen die Hand in das frische Wasser und freute sich seiner eisigen Kühle, die ihr bis zum Herzen drang. Ganz im Hintergrunde sassen, in Shawles eingehüllt, die Gräfin und Julius. Sie lächelten wie zwei glückliche Menschen, die für ihr Glück aber keine Worte haben.
Der Abend brach mit langgezogenen kühlen Schauern herein; der Nordwind strich durch das welke Schilfrohr. Die Sonne war hinter den Tannen zur Ruhe gegangen. Der rötliche Himmel, mit scharlachfarbenen und grotesken Wölkchen bedeckt, ließ einen erfrieren, wenn man ihn nur anschaute.
Man kehrte in den Salon zurück, wo ein mächtiges Kaminfeuer brannte. Schon beim Eintritt wurde man warm und heiter gestimmt. Der Graf nahm in ausgelassener Laune seine Frau wie ein Kind auf seine athletischen Arme, hob sie bis zum Munde empor und drückte ihr zwei herzhafte glückliche Küsse auf beide Wangen.
Johanna betrachtete lächelnd diesen gutmütigen Riesen, den man lediglich um seines großen Schnurrbartes willen einen Währwolf nannte. »Wie man sich doch stets über die Leute täuschen kann!« dachte sie bei sich. Als sie dann fast unwillkürlich den Blick auf Julius richtete, der furchtbar bleich, das Auge starr auf den Grafen geheftet, in der Tür stand, näherte sie sich ihm voll Besorgnis. »Bist Du krank? Was fehlt Dir nur?« fragte sie ihn leise. »Nichts«, antwortete er zornig, »lass mich zufrieden. Ich friere.«
Als man sich in den Speisesaal begab, bat der Graf um die Erlaubnis, seine Hunde mitnehmen zu dürfen. Sie kamen alsbald herbei und pflanzten sich rechts und links von seinem Stuhle auf. Jeden Augenblick gab er ihnen einen Bissen von seinem Teller und streichelte ihren langen seidenweichen Behang. Die prächtigen Tiere zeigten sich sehr empfänglich für seine Liebkosungen, sie wedelten mit dem Schweif und zitterten vor freudiger Erregung.
Johanna und Julius machten nach dem Diner Miene, fortzufahren; allein der Graf hielt sie zurück, um ihnen einen Fischfang bei Fackelschein zu zeigen.
Sie mussten sich mit der Gräfin auf der Rampe aufstellen, die zum Teiche führte, während er, von einem Diener mit brennender Fackel und Wurfnetz begleitet, in seinen Kahn stieg. Die Nacht war klar und scharf; der Himmel mit Milliarden von Sternen besäet.
Die Fackel warf seltsame lebendige Feuerstrahlen auf das Wasser; ihr Licht erzitterte im Schilfrohr und brach sich an dem Rande des dichten Tannengehölzes. Plötzlich bei einer Wendung des Kahnes hob sich ein riesiger gespenstiger Schatten, der Schatten eines Menschen, an diesem hellerleuchteten Waldrande ab. Sein Haupt ragte über die Bäume hinaus und verlor sich im Äther, während die Füsse im Wasser zu stehen schienen. Dann erhob dieses unermessliche Wesen seine Arme, als wollte es die Sterne vom Himmel holen. Sie schnellten plötzlich empor, diese Arme, und sanken ebenso schnell wieder herab. Gleichzeitig hörte man ein leichtes Geräusch, wie wenn das Wasser gepeitscht würde.
Während die Barke langsam dahinglitt, schien die wunderbare Gestalt längs dem erleuchteten Holze hinzulaufen. Dann verschwand sie in dem unsichtbaren Horizont, um plötzlich wieder aufzutauchen. Sie war weniger groß aber genauer in ihren Umrissen; ihre Bewegungen wurden immer deutlicher, als sie sich jetzt auf der Façade des Schlosses abspiegelte.
»Ich habe acht gefangen, Gilberte«, rief die gewaltige Stimme des Grafen.
Die Ruder knirschten auf dem Grunde. Der riesige Schatten stand jetzt unbeweglich an der Mauer und wurde immer kleiner und schmaler. Sein Haupt schien herabzusinken, sein Körper abzumagern; und als Herr de Fourville die Stufen der Rampe heraufschritt, stets von dem Diener mit der Fackel gefolgt, war seine Figur wieder auf ihren gewöhnlichen Umfang zusammengeschmolzen, während das Licht alle seine Bewegungen auf dem Mauerwerk wiedergab.
In seinem Netz trug er acht große zappelnde Fische.
»Welch ein guter Mann, dieser Riese!« sagte Johanna unterwegs, als sie beide in warme Mäntel und Decken gehüllt, die man ihnen geliehen hatte, nach Peuples zurückfuhren. »Allerdings«, entgegnete Julius, der die Zügel führte, »nur schade, dass er sich in Gesellschaft zuweilen so gehen lässt.«
Acht Tage später fuhren sie zu den Couteliers, welche dem ersten Adel des Landes angehörten. Ihr Wohnsitz Reminil stiess an den Flecken Cany. Das neue Schloss, unter Ludwig XIV. erbaut, lag ganz versteckt in einem herrlichen, von Mauern umgebenen Parke. Auf einer Anhöhe sah man die Ruinen des alten Schlosses. Reich galonierte Diener geleiteten den Besuch in einen imposanten Saal. In der Mitte desselben stand auf einer Art Säule eine ungeheure Vase aus Sèvres; und in dem Sockel war unter einer Kristallplatte ein eigenhändiger Brief des Königs verwahrt, mittels welchen derselbe dem Marquis Leopold, Hervé, Joseph, Germer de Varneville de Rollebosc de Coutelier dieses wahrhaft königliche Geschenk übersandte.
Johanna und Julius waren noch in der Betrachtung dieses Prachtstückes versunken, als der Marquis und die Marquise eintraten. Die Dame war stark gepudert, liebenswürdig aus Gewohnheit und geziert in dem Bestreben herablassend zu sein. Der Herr, stark von Figur mit blonden geradeauf stehenden Haaren, legte in alle seine Bewegungen, in seine Sprache und in seine ganze Haltung etwas Gemessenes, um die Erhabenheit seiner Person darzutun.
Sie gehörten zu jener Art von steifen Leuten, deren Geist, deren Gemüt und Redensarten stets auf Stelzen zu gehen scheinen.
Sie führten allein das Wort, ohne lange auf Antworten zu warten, mit einem indifferenten Lächeln; es war, als betrachteten sie es als eine ihnen durch Geburt auferlegte Pflicht, die kleinen Edelleute der Umgegend höflich bei sich aufzunehmen.
Johanna und Julius waren wie erstarrt, bemühten sich aber höflich zu sein. Es war ihnen unbequem, lange zu bleiben und doch konnten sie den geeigneten Augenblick zum Aufbruch nicht finden. Schliesslich machte die Marquise ihrerseits dem Besuch ein Ende indem sie mit ungezwungener natürlicher Haltung das Gespräch beschloss, wie eine Königin die in höflicher Form eine Audienz aufhebt.
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